Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Publicum oder das Volk immer im unklaren darüber, ja selbst hohen nud höch¬
sten Orts wußte man nicht klug zu werden, ob diese Idee einer Thnringia loyal
oder mißliebig sei.

Bis zum Juli und August hatten die Constitutionellen natürlich sicher vor¬
ausgesetzt' daß es dereinst wenn nicht einen König, doch wenigstens einen Land¬
grafen von Thüringen abwerfen werde, der ans der ehrwürdigen Wartburg wohnen
müßte, wobei sie allerdings übersahen, daß keine fahrbare Chaussee zur Wartburg
hinausführt. Die demokratische Partei dagegen, frei von aller Romantik, wie sich
bei ihr von selbst versteht, speculirte auf den Präsidentenstuhl einer gesammtthü"
ringischen Republik. Es wäre eine fette und behagliche Stelle geworden, und
außerdem war ihm auch eine reiche Mitgabe an Land und Leuten zugedacht: Alles,
was ihre Augen erreichten, und noch mehr dazu. Kein Wunder, daß die Be¬
scheidenheit der Constitutionellen in großen Mißcredit gerieth. Sie gedachten dem
neuen Thüringen nichts weiter zu geben, als die Länder und Ländchen der kleinen
Herren im Thüringer Walde, die von den magern Höhen des Gebirges nur einige
bescheidene Griffe in die gesegneten Ebenen draußen wage", in welcher zwar nicht
Milch und Honig fließt, aber dafür sehr viel Korn und Obst wächst und reiche
Bäuerlein sitzen und viele Steuern zahlen. Wagler sie doch kaum das altehr-
roürdige Erfurt den Fängen des schwarzen Adlers zu entreißen, obgleich sie ihr
Gewissen damit trösteten, daß die Landgrafen in besseren Zeiten einst die Schutz-
herren dieser Hauptstadt von ganz Thüringen waren. Aber wie ein wohlgernn-
deter, mit fetten Bröcklein höchst appetitlich durchkneteter Kloß -- eine andere
Phantasie würde statt "Kloß" "Herz" gesetzt haben - sollte die versprochene thü¬
ringische Republik in der Mitte der großen deutschen daliegen; das war die
lockende Aussicht, welche die Demokratischen dem Volte zeigten, und dadurch fes¬
selten sie. Trotz aller Vorstellungen, Bitten, Ermahnungen, Drohungen der
Anderen schwärmte das Publikum eine Zeit lang höchst demokratisch. Da kam
die fatale Katastrophe des Septembers und mit ihr einige Tausend Blan- und
Grünröcke nebst Rossen und Geschützen ins Land, die Demagogie wurde plötzlich
und gänzlich bankerott, und klein und immer kleiner und verkroch sich in Maus¬
löcher. Der Plan einer Thnringia aber, bis dahin wie ein reiches Kind von
Allen gepflegt und geliebkost, lief nun als ein herrenloser und zerlumpter Schlingel
durchs Land, eine Beute der Gensdarmen und der Polizei, die noch vor kurzem
ehrerbietig vor ihm den Hut gezogen, damit sie mit Prügeln verschont würden.
Was jetzt das Publikum für Gesichter machte! Haufenweise fielen sie über den
armen Landstreicher her, schimpften und höhnten, trieben ihn mit derben Knittel-
schlägen von zedem warmen Plätzchen, wo er sich niedersetzen wollte, denn es war
mittlerweile sehr kühles Herbstwetter geworden und ihn fror bitterlich.

Menschli chem Ermessen nach hätte der holde Plan eines thüringischen Reiches schon
damals in elender Verkümmerung geendet, wenn sich nicht ein hoher Gönner seiner


Publicum oder das Volk immer im unklaren darüber, ja selbst hohen nud höch¬
sten Orts wußte man nicht klug zu werden, ob diese Idee einer Thnringia loyal
oder mißliebig sei.

Bis zum Juli und August hatten die Constitutionellen natürlich sicher vor¬
ausgesetzt' daß es dereinst wenn nicht einen König, doch wenigstens einen Land¬
grafen von Thüringen abwerfen werde, der ans der ehrwürdigen Wartburg wohnen
müßte, wobei sie allerdings übersahen, daß keine fahrbare Chaussee zur Wartburg
hinausführt. Die demokratische Partei dagegen, frei von aller Romantik, wie sich
bei ihr von selbst versteht, speculirte auf den Präsidentenstuhl einer gesammtthü»
ringischen Republik. Es wäre eine fette und behagliche Stelle geworden, und
außerdem war ihm auch eine reiche Mitgabe an Land und Leuten zugedacht: Alles,
was ihre Augen erreichten, und noch mehr dazu. Kein Wunder, daß die Be¬
scheidenheit der Constitutionellen in großen Mißcredit gerieth. Sie gedachten dem
neuen Thüringen nichts weiter zu geben, als die Länder und Ländchen der kleinen
Herren im Thüringer Walde, die von den magern Höhen des Gebirges nur einige
bescheidene Griffe in die gesegneten Ebenen draußen wage», in welcher zwar nicht
Milch und Honig fließt, aber dafür sehr viel Korn und Obst wächst und reiche
Bäuerlein sitzen und viele Steuern zahlen. Wagler sie doch kaum das altehr-
roürdige Erfurt den Fängen des schwarzen Adlers zu entreißen, obgleich sie ihr
Gewissen damit trösteten, daß die Landgrafen in besseren Zeiten einst die Schutz-
herren dieser Hauptstadt von ganz Thüringen waren. Aber wie ein wohlgernn-
deter, mit fetten Bröcklein höchst appetitlich durchkneteter Kloß — eine andere
Phantasie würde statt „Kloß" „Herz" gesetzt haben - sollte die versprochene thü¬
ringische Republik in der Mitte der großen deutschen daliegen; das war die
lockende Aussicht, welche die Demokratischen dem Volte zeigten, und dadurch fes¬
selten sie. Trotz aller Vorstellungen, Bitten, Ermahnungen, Drohungen der
Anderen schwärmte das Publikum eine Zeit lang höchst demokratisch. Da kam
die fatale Katastrophe des Septembers und mit ihr einige Tausend Blan- und
Grünröcke nebst Rossen und Geschützen ins Land, die Demagogie wurde plötzlich
und gänzlich bankerott, und klein und immer kleiner und verkroch sich in Maus¬
löcher. Der Plan einer Thnringia aber, bis dahin wie ein reiches Kind von
Allen gepflegt und geliebkost, lief nun als ein herrenloser und zerlumpter Schlingel
durchs Land, eine Beute der Gensdarmen und der Polizei, die noch vor kurzem
ehrerbietig vor ihm den Hut gezogen, damit sie mit Prügeln verschont würden.
Was jetzt das Publikum für Gesichter machte! Haufenweise fielen sie über den
armen Landstreicher her, schimpften und höhnten, trieben ihn mit derben Knittel-
schlägen von zedem warmen Plätzchen, wo er sich niedersetzen wollte, denn es war
mittlerweile sehr kühles Herbstwetter geworden und ihn fror bitterlich.

Menschli chem Ermessen nach hätte der holde Plan eines thüringischen Reiches schon
damals in elender Verkümmerung geendet, wenn sich nicht ein hoher Gönner seiner


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0192" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278180"/>
          <p xml:id="ID_601" prev="#ID_600"> Publicum oder das Volk immer im unklaren darüber, ja selbst hohen nud höch¬<lb/>
sten Orts wußte man nicht klug zu werden, ob diese Idee einer Thnringia loyal<lb/>
oder mißliebig sei.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_602"> Bis zum Juli und August hatten die Constitutionellen natürlich sicher vor¬<lb/>
ausgesetzt' daß es dereinst wenn nicht einen König, doch wenigstens einen Land¬<lb/>
grafen von Thüringen abwerfen werde, der ans der ehrwürdigen Wartburg wohnen<lb/>
müßte, wobei sie allerdings übersahen, daß keine fahrbare Chaussee zur Wartburg<lb/>
hinausführt. Die demokratische Partei dagegen, frei von aller Romantik, wie sich<lb/>
bei ihr von selbst versteht, speculirte auf den Präsidentenstuhl einer gesammtthü»<lb/>
ringischen Republik. Es wäre eine fette und behagliche Stelle geworden, und<lb/>
außerdem war ihm auch eine reiche Mitgabe an Land und Leuten zugedacht: Alles,<lb/>
was ihre Augen erreichten, und noch mehr dazu. Kein Wunder, daß die Be¬<lb/>
scheidenheit der Constitutionellen in großen Mißcredit gerieth. Sie gedachten dem<lb/>
neuen Thüringen nichts weiter zu geben, als die Länder und Ländchen der kleinen<lb/>
Herren im Thüringer Walde, die von den magern Höhen des Gebirges nur einige<lb/>
bescheidene Griffe in die gesegneten Ebenen draußen wage», in welcher zwar nicht<lb/>
Milch und Honig fließt, aber dafür sehr viel Korn und Obst wächst und reiche<lb/>
Bäuerlein sitzen und viele Steuern zahlen. Wagler sie doch kaum das altehr-<lb/>
roürdige Erfurt den Fängen des schwarzen Adlers zu entreißen, obgleich sie ihr<lb/>
Gewissen damit trösteten, daß die Landgrafen in besseren Zeiten einst die Schutz-<lb/>
herren dieser Hauptstadt von ganz Thüringen waren. Aber wie ein wohlgernn-<lb/>
deter, mit fetten Bröcklein höchst appetitlich durchkneteter Kloß &#x2014; eine andere<lb/>
Phantasie würde statt &#x201E;Kloß" &#x201E;Herz" gesetzt haben - sollte die versprochene thü¬<lb/>
ringische Republik in der Mitte der großen deutschen daliegen; das war die<lb/>
lockende Aussicht, welche die Demokratischen dem Volte zeigten, und dadurch fes¬<lb/>
selten sie. Trotz aller Vorstellungen, Bitten, Ermahnungen, Drohungen der<lb/>
Anderen schwärmte das Publikum eine Zeit lang höchst demokratisch. Da kam<lb/>
die fatale Katastrophe des Septembers und mit ihr einige Tausend Blan- und<lb/>
Grünröcke nebst Rossen und Geschützen ins Land, die Demagogie wurde plötzlich<lb/>
und gänzlich bankerott, und klein und immer kleiner und verkroch sich in Maus¬<lb/>
löcher. Der Plan einer Thnringia aber, bis dahin wie ein reiches Kind von<lb/>
Allen gepflegt und geliebkost, lief nun als ein herrenloser und zerlumpter Schlingel<lb/>
durchs Land, eine Beute der Gensdarmen und der Polizei, die noch vor kurzem<lb/>
ehrerbietig vor ihm den Hut gezogen, damit sie mit Prügeln verschont würden.<lb/>
Was jetzt das Publikum für Gesichter machte! Haufenweise fielen sie über den<lb/>
armen Landstreicher her, schimpften und höhnten, trieben ihn mit derben Knittel-<lb/>
schlägen von zedem warmen Plätzchen, wo er sich niedersetzen wollte, denn es war<lb/>
mittlerweile sehr kühles Herbstwetter geworden und ihn fror bitterlich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_603" next="#ID_604"> Menschli chem Ermessen nach hätte der holde Plan eines thüringischen Reiches schon<lb/>
damals in elender Verkümmerung geendet, wenn sich nicht ein hoher Gönner seiner</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0192] Publicum oder das Volk immer im unklaren darüber, ja selbst hohen nud höch¬ sten Orts wußte man nicht klug zu werden, ob diese Idee einer Thnringia loyal oder mißliebig sei. Bis zum Juli und August hatten die Constitutionellen natürlich sicher vor¬ ausgesetzt' daß es dereinst wenn nicht einen König, doch wenigstens einen Land¬ grafen von Thüringen abwerfen werde, der ans der ehrwürdigen Wartburg wohnen müßte, wobei sie allerdings übersahen, daß keine fahrbare Chaussee zur Wartburg hinausführt. Die demokratische Partei dagegen, frei von aller Romantik, wie sich bei ihr von selbst versteht, speculirte auf den Präsidentenstuhl einer gesammtthü» ringischen Republik. Es wäre eine fette und behagliche Stelle geworden, und außerdem war ihm auch eine reiche Mitgabe an Land und Leuten zugedacht: Alles, was ihre Augen erreichten, und noch mehr dazu. Kein Wunder, daß die Be¬ scheidenheit der Constitutionellen in großen Mißcredit gerieth. Sie gedachten dem neuen Thüringen nichts weiter zu geben, als die Länder und Ländchen der kleinen Herren im Thüringer Walde, die von den magern Höhen des Gebirges nur einige bescheidene Griffe in die gesegneten Ebenen draußen wage», in welcher zwar nicht Milch und Honig fließt, aber dafür sehr viel Korn und Obst wächst und reiche Bäuerlein sitzen und viele Steuern zahlen. Wagler sie doch kaum das altehr- roürdige Erfurt den Fängen des schwarzen Adlers zu entreißen, obgleich sie ihr Gewissen damit trösteten, daß die Landgrafen in besseren Zeiten einst die Schutz- herren dieser Hauptstadt von ganz Thüringen waren. Aber wie ein wohlgernn- deter, mit fetten Bröcklein höchst appetitlich durchkneteter Kloß — eine andere Phantasie würde statt „Kloß" „Herz" gesetzt haben - sollte die versprochene thü¬ ringische Republik in der Mitte der großen deutschen daliegen; das war die lockende Aussicht, welche die Demokratischen dem Volte zeigten, und dadurch fes¬ selten sie. Trotz aller Vorstellungen, Bitten, Ermahnungen, Drohungen der Anderen schwärmte das Publikum eine Zeit lang höchst demokratisch. Da kam die fatale Katastrophe des Septembers und mit ihr einige Tausend Blan- und Grünröcke nebst Rossen und Geschützen ins Land, die Demagogie wurde plötzlich und gänzlich bankerott, und klein und immer kleiner und verkroch sich in Maus¬ löcher. Der Plan einer Thnringia aber, bis dahin wie ein reiches Kind von Allen gepflegt und geliebkost, lief nun als ein herrenloser und zerlumpter Schlingel durchs Land, eine Beute der Gensdarmen und der Polizei, die noch vor kurzem ehrerbietig vor ihm den Hut gezogen, damit sie mit Prügeln verschont würden. Was jetzt das Publikum für Gesichter machte! Haufenweise fielen sie über den armen Landstreicher her, schimpften und höhnten, trieben ihn mit derben Knittel- schlägen von zedem warmen Plätzchen, wo er sich niedersetzen wollte, denn es war mittlerweile sehr kühles Herbstwetter geworden und ihn fror bitterlich. Menschli chem Ermessen nach hätte der holde Plan eines thüringischen Reiches schon damals in elender Verkümmerung geendet, wenn sich nicht ein hoher Gönner seiner

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/192
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/192>, abgerufen am 23.12.2024.