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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Ich weiß nicht, wo der große Gedanke eines Gesammtthüringens zuerst gebo¬
ren wurde. Meine Forschungen stehen vor einigen langen Tafeln ans behaglichem
schattigem Rasen am Abhänge der Wartburg still, an und auf denen in einem
sonnigen SMsommertage l847 zu schäumendem Gerstensaft glühende Toaste auf
die Wiedervereinigung der zerstückelten Glieder der schönen Thuringia Erschallten.
Es war das thüring'sche Sängerfest, früher lange Jahre hindurch ein harmloses
bier- und bratwurstseliges Bürgcrvcrgnügen, aber auch wie seine anderen Kame¬
raden im Süden und Westen politisch geworden; kein Wunder in einer Zeit, wo
Niemand seinen Schlafrock aus - und den Leibrock anziehen durfte, ohne eine po¬
litische Tendenz damit zu verbinden. -- Aus der dicken Finsterniß der früheren
Entwicklungsgeschichte der besagten Idee, blitzt nur ein einziger Lichtpunkt auf,
das ist die tragische Gestalt eines Studio zu Jena, dem bei der Theilung des
schwarz-roth-goldnen Burschendentschlands -- wobei bekanntlich das Princip der
Stammeseigenthümlichkeit als das allein maßgebende galt -- die Landgrafschast
Thüringen mit der hohen Leuchtenburg im Saalthale als Residenz zufiel. Ein
Paar Jahre später zog er auch wirklich auf diese seine Residenz ein, welche da¬
mals eine Herzvglich sächsisch - gothaische Straf- und Correctionsanstalt war, und
schaute von dort in die Gebiete von zwölf bis vierzehn großen und kleinen Her¬
ren herunter, deren Kronen vor seinem Landgrafenhut aus dem Burgkeller zu Jena
sich aber nicht beugen wollten. --

Als man nun im März 1848 in Weimar acht Tage vor der Berliner Ka¬
tastrophe schon im voraus ihre Parodie in einem unvergleichlichen Nevolutiönchen
spielte, hörte man am Abend des großen Tages, an dem Alles, Hof, Beamte,
Soldaten, Studenten, Bürger, Bauern, Weiber und Kinder in einem Meer von
Seligkeit schwamm, nachdem man viele Stunden Todesangst hatte ausstehen müs¬
sen, hie und da lallende Stimmen, welche den Großherzog von Weimar zum Kö¬
nig oder Großherzog von Thüringen ausriefen. Vormittags freilich hatten die
Bauern, die mit leeren Geldsäckcn nach der Stadt gezogen kamen, um dort das
Kammervermögen auf offenem Markt zu theilen, gemeint, da der Großherzog das
nicht herausgeben wolle, so sei es besser, einen deutschen Kaiser zu macheu, der
koste weniger als so ein Großherzog. Am Abend aber war die Stimmung ganz
umgeschlagen, und da trat der große Gedanke zum ersten Male neben vielen
andern in der Kneipe und aus der Straße geborenen Geistesbrüderlein in die
Welt.

Demokratische und constitutionelle Vereine, womit das Land nach den ersten
warmen Frühlingsregen Ende April sich zu begrünen begann (fast in jedem Orte,
wo ein Wirthshaus war, sprießte einer empor, und wo zwei waren, stets zwei, na¬
türlich immer ein konstitutioneller und ein demokratischer) wetteiferten in mütterlicher
Zärtlichkeit gegen die kleine Geburt, und es hätte wahrhaftig eines neuen Sa-
lomo bedurft, um die wahre Mutter derselben zu entdecken. So aber blieb das


Ich weiß nicht, wo der große Gedanke eines Gesammtthüringens zuerst gebo¬
ren wurde. Meine Forschungen stehen vor einigen langen Tafeln ans behaglichem
schattigem Rasen am Abhänge der Wartburg still, an und auf denen in einem
sonnigen SMsommertage l847 zu schäumendem Gerstensaft glühende Toaste auf
die Wiedervereinigung der zerstückelten Glieder der schönen Thuringia Erschallten.
Es war das thüring'sche Sängerfest, früher lange Jahre hindurch ein harmloses
bier- und bratwurstseliges Bürgcrvcrgnügen, aber auch wie seine anderen Kame¬
raden im Süden und Westen politisch geworden; kein Wunder in einer Zeit, wo
Niemand seinen Schlafrock aus - und den Leibrock anziehen durfte, ohne eine po¬
litische Tendenz damit zu verbinden. — Aus der dicken Finsterniß der früheren
Entwicklungsgeschichte der besagten Idee, blitzt nur ein einziger Lichtpunkt auf,
das ist die tragische Gestalt eines Studio zu Jena, dem bei der Theilung des
schwarz-roth-goldnen Burschendentschlands — wobei bekanntlich das Princip der
Stammeseigenthümlichkeit als das allein maßgebende galt — die Landgrafschast
Thüringen mit der hohen Leuchtenburg im Saalthale als Residenz zufiel. Ein
Paar Jahre später zog er auch wirklich auf diese seine Residenz ein, welche da¬
mals eine Herzvglich sächsisch - gothaische Straf- und Correctionsanstalt war, und
schaute von dort in die Gebiete von zwölf bis vierzehn großen und kleinen Her¬
ren herunter, deren Kronen vor seinem Landgrafenhut aus dem Burgkeller zu Jena
sich aber nicht beugen wollten. —

Als man nun im März 1848 in Weimar acht Tage vor der Berliner Ka¬
tastrophe schon im voraus ihre Parodie in einem unvergleichlichen Nevolutiönchen
spielte, hörte man am Abend des großen Tages, an dem Alles, Hof, Beamte,
Soldaten, Studenten, Bürger, Bauern, Weiber und Kinder in einem Meer von
Seligkeit schwamm, nachdem man viele Stunden Todesangst hatte ausstehen müs¬
sen, hie und da lallende Stimmen, welche den Großherzog von Weimar zum Kö¬
nig oder Großherzog von Thüringen ausriefen. Vormittags freilich hatten die
Bauern, die mit leeren Geldsäckcn nach der Stadt gezogen kamen, um dort das
Kammervermögen auf offenem Markt zu theilen, gemeint, da der Großherzog das
nicht herausgeben wolle, so sei es besser, einen deutschen Kaiser zu macheu, der
koste weniger als so ein Großherzog. Am Abend aber war die Stimmung ganz
umgeschlagen, und da trat der große Gedanke zum ersten Male neben vielen
andern in der Kneipe und aus der Straße geborenen Geistesbrüderlein in die
Welt.

Demokratische und constitutionelle Vereine, womit das Land nach den ersten
warmen Frühlingsregen Ende April sich zu begrünen begann (fast in jedem Orte,
wo ein Wirthshaus war, sprießte einer empor, und wo zwei waren, stets zwei, na¬
türlich immer ein konstitutioneller und ein demokratischer) wetteiferten in mütterlicher
Zärtlichkeit gegen die kleine Geburt, und es hätte wahrhaftig eines neuen Sa-
lomo bedurft, um die wahre Mutter derselben zu entdecken. So aber blieb das


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[0191] Ich weiß nicht, wo der große Gedanke eines Gesammtthüringens zuerst gebo¬ ren wurde. Meine Forschungen stehen vor einigen langen Tafeln ans behaglichem schattigem Rasen am Abhänge der Wartburg still, an und auf denen in einem sonnigen SMsommertage l847 zu schäumendem Gerstensaft glühende Toaste auf die Wiedervereinigung der zerstückelten Glieder der schönen Thuringia Erschallten. Es war das thüring'sche Sängerfest, früher lange Jahre hindurch ein harmloses bier- und bratwurstseliges Bürgcrvcrgnügen, aber auch wie seine anderen Kame¬ raden im Süden und Westen politisch geworden; kein Wunder in einer Zeit, wo Niemand seinen Schlafrock aus - und den Leibrock anziehen durfte, ohne eine po¬ litische Tendenz damit zu verbinden. — Aus der dicken Finsterniß der früheren Entwicklungsgeschichte der besagten Idee, blitzt nur ein einziger Lichtpunkt auf, das ist die tragische Gestalt eines Studio zu Jena, dem bei der Theilung des schwarz-roth-goldnen Burschendentschlands — wobei bekanntlich das Princip der Stammeseigenthümlichkeit als das allein maßgebende galt — die Landgrafschast Thüringen mit der hohen Leuchtenburg im Saalthale als Residenz zufiel. Ein Paar Jahre später zog er auch wirklich auf diese seine Residenz ein, welche da¬ mals eine Herzvglich sächsisch - gothaische Straf- und Correctionsanstalt war, und schaute von dort in die Gebiete von zwölf bis vierzehn großen und kleinen Her¬ ren herunter, deren Kronen vor seinem Landgrafenhut aus dem Burgkeller zu Jena sich aber nicht beugen wollten. — Als man nun im März 1848 in Weimar acht Tage vor der Berliner Ka¬ tastrophe schon im voraus ihre Parodie in einem unvergleichlichen Nevolutiönchen spielte, hörte man am Abend des großen Tages, an dem Alles, Hof, Beamte, Soldaten, Studenten, Bürger, Bauern, Weiber und Kinder in einem Meer von Seligkeit schwamm, nachdem man viele Stunden Todesangst hatte ausstehen müs¬ sen, hie und da lallende Stimmen, welche den Großherzog von Weimar zum Kö¬ nig oder Großherzog von Thüringen ausriefen. Vormittags freilich hatten die Bauern, die mit leeren Geldsäckcn nach der Stadt gezogen kamen, um dort das Kammervermögen auf offenem Markt zu theilen, gemeint, da der Großherzog das nicht herausgeben wolle, so sei es besser, einen deutschen Kaiser zu macheu, der koste weniger als so ein Großherzog. Am Abend aber war die Stimmung ganz umgeschlagen, und da trat der große Gedanke zum ersten Male neben vielen andern in der Kneipe und aus der Straße geborenen Geistesbrüderlein in die Welt. Demokratische und constitutionelle Vereine, womit das Land nach den ersten warmen Frühlingsregen Ende April sich zu begrünen begann (fast in jedem Orte, wo ein Wirthshaus war, sprießte einer empor, und wo zwei waren, stets zwei, na¬ türlich immer ein konstitutioneller und ein demokratischer) wetteiferten in mütterlicher Zärtlichkeit gegen die kleine Geburt, und es hätte wahrhaftig eines neuen Sa- lomo bedurft, um die wahre Mutter derselben zu entdecken. So aber blieb das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/191>, abgerufen am 23.12.2024.