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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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ihm ins Grab zu sinken. Am eifrigsten betrieb er bekanntlich die Vereinigung der
thüringschen Staaten. Wie es scheint schloß er aus den mancherlei tollen Strei¬
chen, die im Sommer und Herbst dort verübt worden waren und sein Eingreifen
nöthig machten, auf eine tiefgewurzelte Abneigung der Einzelstaatler Unterthanen
der einzelnen Staaten ist jetzt noch ein verpönter Ausdruck, und Staatsbürger,
Sachsen-Koburg-Gothischer - oder Sachsen-Meining-Hildburghansner Staats¬
bürger, klingt gar zu abgeschmackt) gegen ihre betreffenden Regierungen und Dy¬
nastien. Vielleicht war ihm auch etwas von den gesammtthüring'schen Plänen und
Umtrieben ans den Hundstagen des letzten Sommers zu Ohren gekommen -- ge¬
nug hier glaubte er ein fruchtbares Feld für seine Projecte gefunden zu haben. --
In den Zeitungen war öfters von den Unterhandlungen die Rede, welche der
Reichskommissar Mühlenfels zu Gotha deshalb eröffnet hatte, man orakelte schon
von glücklichen Resultaten, kannte sie wohl auch bis auf die Arrangements über
das Budget des zukünftigen thüring'schen Staates haarklein, schon jubelten einige
doctrinäre Pfarrer und Schullehrer im Reichsanzeiger, man sprach von der Er¬
richtung einer thüringscheu Kirche, Brigade, Landesirrenhaus -- bis sich zuletzt
ergab, daß alles Wind gewesen war. Unterhandelt hatte man, das ist wahr,
auch recht gründliche Memoires über einschlägige Gegenstände ausgearbeitet, gele¬
sen, replicirt, duplicirt, aber als Resultat herausgebracht, wovon Jeder von vorne
herein schon bei sich überzeugt war, daß es besser sei, wen" jeder Staat in seiner
unbeeinträchtigten Selbstständigkeit verbliebe.

Es gibt keine ergötzlichere Episode, eine wahre Clown-Scene in der großen
Tragödie des letzten Jahres, als die Geschichte der thüringschen Einheit, von
der im Juni und Juli die Spatzen auf den Dächern zwitscherten und jetzt Nie¬
mand ein Sterbenswörtchen wissen will. Man kann sich wohl anch darüber är¬
gern, doch wird es besser sein, den Aerger für größere Dinge zu sparen und
hier nur mit vollen Backen zu lachen. Wohl dem, der einst behagliche Muße
und eine mit ächtem Humor getränkte Feder dafür besitzt -- er kann mit leichter
Mühe hier zu einem unübertreffliche" Stoffe gelangen. Damit der verehrte Leser
aber nicht etwa glaube, ich flunkere, so will ich mit ein Paar Strichen Grau in
Grau -- ihm die Umrisse der Vorgänge, auf die ich mich beziehe, vorführen. Ne¬
benbei sei noch die Ansicht ausgesprochen, daß man aus dem, was in Thüringen
geschah, auf ganz Deutschland schließen darf, so weit es überhaupt bei dieser Frage
betheiligt ist, also auf alle Staaten, die sich die höhnische Bezeichnung "kleine"
sogar von den Baiern, Hanoveranern, Sachsen n. s. w. gefallen lassen müssen.
Und zweitens wollen wir Gott dafür loben, daß unsere kleinen Zeitungen von
Fremden, z. B. den Engländern nicht gelesen werden. Wir haben neuerlich so
Viel bitteres von ihnen hinunterschlucken müssen über unsere große Politik, aber wo¬
hin hätten wir uns verkriechen sollen, wenn sie eine Ahnung von unserer kleinen,
por unserer schmutzigen Familienwäsche haben könnten? --


ihm ins Grab zu sinken. Am eifrigsten betrieb er bekanntlich die Vereinigung der
thüringschen Staaten. Wie es scheint schloß er aus den mancherlei tollen Strei¬
chen, die im Sommer und Herbst dort verübt worden waren und sein Eingreifen
nöthig machten, auf eine tiefgewurzelte Abneigung der Einzelstaatler Unterthanen
der einzelnen Staaten ist jetzt noch ein verpönter Ausdruck, und Staatsbürger,
Sachsen-Koburg-Gothischer - oder Sachsen-Meining-Hildburghansner Staats¬
bürger, klingt gar zu abgeschmackt) gegen ihre betreffenden Regierungen und Dy¬
nastien. Vielleicht war ihm auch etwas von den gesammtthüring'schen Plänen und
Umtrieben ans den Hundstagen des letzten Sommers zu Ohren gekommen — ge¬
nug hier glaubte er ein fruchtbares Feld für seine Projecte gefunden zu haben. —
In den Zeitungen war öfters von den Unterhandlungen die Rede, welche der
Reichskommissar Mühlenfels zu Gotha deshalb eröffnet hatte, man orakelte schon
von glücklichen Resultaten, kannte sie wohl auch bis auf die Arrangements über
das Budget des zukünftigen thüring'schen Staates haarklein, schon jubelten einige
doctrinäre Pfarrer und Schullehrer im Reichsanzeiger, man sprach von der Er¬
richtung einer thüringscheu Kirche, Brigade, Landesirrenhaus — bis sich zuletzt
ergab, daß alles Wind gewesen war. Unterhandelt hatte man, das ist wahr,
auch recht gründliche Memoires über einschlägige Gegenstände ausgearbeitet, gele¬
sen, replicirt, duplicirt, aber als Resultat herausgebracht, wovon Jeder von vorne
herein schon bei sich überzeugt war, daß es besser sei, wen» jeder Staat in seiner
unbeeinträchtigten Selbstständigkeit verbliebe.

Es gibt keine ergötzlichere Episode, eine wahre Clown-Scene in der großen
Tragödie des letzten Jahres, als die Geschichte der thüringschen Einheit, von
der im Juni und Juli die Spatzen auf den Dächern zwitscherten und jetzt Nie¬
mand ein Sterbenswörtchen wissen will. Man kann sich wohl anch darüber är¬
gern, doch wird es besser sein, den Aerger für größere Dinge zu sparen und
hier nur mit vollen Backen zu lachen. Wohl dem, der einst behagliche Muße
und eine mit ächtem Humor getränkte Feder dafür besitzt — er kann mit leichter
Mühe hier zu einem unübertreffliche» Stoffe gelangen. Damit der verehrte Leser
aber nicht etwa glaube, ich flunkere, so will ich mit ein Paar Strichen Grau in
Grau — ihm die Umrisse der Vorgänge, auf die ich mich beziehe, vorführen. Ne¬
benbei sei noch die Ansicht ausgesprochen, daß man aus dem, was in Thüringen
geschah, auf ganz Deutschland schließen darf, so weit es überhaupt bei dieser Frage
betheiligt ist, also auf alle Staaten, die sich die höhnische Bezeichnung „kleine"
sogar von den Baiern, Hanoveranern, Sachsen n. s. w. gefallen lassen müssen.
Und zweitens wollen wir Gott dafür loben, daß unsere kleinen Zeitungen von
Fremden, z. B. den Engländern nicht gelesen werden. Wir haben neuerlich so
Viel bitteres von ihnen hinunterschlucken müssen über unsere große Politik, aber wo¬
hin hätten wir uns verkriechen sollen, wenn sie eine Ahnung von unserer kleinen,
por unserer schmutzigen Familienwäsche haben könnten? —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/190>, abgerufen am 23.12.2024.