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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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unnöthig. Unsere Freunde von der Paulskirche sind bei dem besten Willen vor¬
wärts und geradeaus zu gehen, diesem und jenem Irrwische durch Sumpf und
Haide schon oft nachgelaufen und haben schon oft Projecte gehabt, die sie wieder aufge¬
ben mußten, z. B. bei der Wassenstillstandsgeschichte, in den Grundrechten, die in
'diesem Augenblick wie ein schwerfälliger Kauffahrer im Winternebel draußen her¬
umkreuzen, und keinen Ankergrund finden können, und in einigen Dutzend an¬
deren großen und kleinen Dingen. Mitunter traf sich's wohl auch, daß man noch
zu rechter Zeit deu Irrwisch von der Straßenlaterne unterschied und beschmutzte
Stiefel und nasse Füße abgerechnet, baldigst und wohlbehalten wieder auf die
breite Chaussee zurückkehrte. Das geschah unter anderm am 4. und 5. December,
wo der Verfassungsausschuß über die Mcdiatisationsfrage Bericht erstattete und
sich zu allgemeiner Ueberraschung nicht die Hälfte so viel Redner erhoben, als
Amendements und selbstständige Anträge gestellt waren. Man war nach kurzem
Rausche, in welchem einige die geduldige Karte Deutschlands mit allerlei neuen
Strichen und Farben für die organische oder unorganische Neueiutheilung, Ver¬
schmelzung, Arrondirung oder Zerfällung seiner Gebiete mit großem Behagen
bemalt hatten, binnen wenig Wochen doch schon so weit ernüchtert worden, daß
Moritz Mohl, welcher Schande halber bei seinem Geisteskindlein von Mediatisa-
tionsprojcct die Pflichten eines guten Vaters erfüllen mußte, doch selbst aufrichtig
genug meinte, er glaube nicht, daß er irgend Jemand zu seiner Ansicht bekehren
werde, der nicht schon vorher dazu bekehrt sei. Aber leider war eben auch vor¬
her Niemand dazu bekehrt und wer es war, scheute sich wenigstens es zu bekennen. --

Man hat in unzähligen Brochüren und Zeitungsartikeln sich mühselig über
die Frage hin und hergcquält, ob unsre Nationalversammlung mediatisiren dürfe
und die verschiedensten Antworten darauf vernommen. Eigentlich liegt die Sache
ganz einfach; wer sich im April oder Mai nach den Anordnungen und unter den
Augen der Altenburger, Dessauer oder Waldeckischen Regierung nach Frankfurt
wählen ließ, konnte nur dann im October oder November ans ihre Mediatisirung
antragen, wenn er überhaupt mit allen und jeden bis Dato giltigen Rechtsbegriffen
in Staat und Politik gebrochen, wenn er die Revolution als den wahren Stand¬
punkt der Nationalversammlung ansehe.

Und doch, wenn das Experiment nicht allzu gefährlich gewesen wäre, so hätte
ich der Verhandlung in der Paulskirche ein anderes Ende gewünscht. Ich hätte
gerne das Todesurtheil über zehn oder zwölf Souveränitäten gehört, nur um
einmal das giftige große und kleine Gewürm der Gemeinheit und Verrä¬
therei, das sich nach wie vor in seinen Schlupfwinkeln versteckt und dort agitirt
und intriguirt, an's Tageslicht herauskriechen zu sehen. Der vergangene Sommer
und Herbst hat mit allen seinen Greueln wenigstens das Gute gebracht, daß wir
nun klar zu sehen vermögen, wessen die unteren Schichten unseres Volkes betreffen¬
den Falls fähig sind. Die Fäulniß in den höheren Regionen dagegen ist seit der


unnöthig. Unsere Freunde von der Paulskirche sind bei dem besten Willen vor¬
wärts und geradeaus zu gehen, diesem und jenem Irrwische durch Sumpf und
Haide schon oft nachgelaufen und haben schon oft Projecte gehabt, die sie wieder aufge¬
ben mußten, z. B. bei der Wassenstillstandsgeschichte, in den Grundrechten, die in
'diesem Augenblick wie ein schwerfälliger Kauffahrer im Winternebel draußen her¬
umkreuzen, und keinen Ankergrund finden können, und in einigen Dutzend an¬
deren großen und kleinen Dingen. Mitunter traf sich's wohl auch, daß man noch
zu rechter Zeit deu Irrwisch von der Straßenlaterne unterschied und beschmutzte
Stiefel und nasse Füße abgerechnet, baldigst und wohlbehalten wieder auf die
breite Chaussee zurückkehrte. Das geschah unter anderm am 4. und 5. December,
wo der Verfassungsausschuß über die Mcdiatisationsfrage Bericht erstattete und
sich zu allgemeiner Ueberraschung nicht die Hälfte so viel Redner erhoben, als
Amendements und selbstständige Anträge gestellt waren. Man war nach kurzem
Rausche, in welchem einige die geduldige Karte Deutschlands mit allerlei neuen
Strichen und Farben für die organische oder unorganische Neueiutheilung, Ver¬
schmelzung, Arrondirung oder Zerfällung seiner Gebiete mit großem Behagen
bemalt hatten, binnen wenig Wochen doch schon so weit ernüchtert worden, daß
Moritz Mohl, welcher Schande halber bei seinem Geisteskindlein von Mediatisa-
tionsprojcct die Pflichten eines guten Vaters erfüllen mußte, doch selbst aufrichtig
genug meinte, er glaube nicht, daß er irgend Jemand zu seiner Ansicht bekehren
werde, der nicht schon vorher dazu bekehrt sei. Aber leider war eben auch vor¬
her Niemand dazu bekehrt und wer es war, scheute sich wenigstens es zu bekennen. —

Man hat in unzähligen Brochüren und Zeitungsartikeln sich mühselig über
die Frage hin und hergcquält, ob unsre Nationalversammlung mediatisiren dürfe
und die verschiedensten Antworten darauf vernommen. Eigentlich liegt die Sache
ganz einfach; wer sich im April oder Mai nach den Anordnungen und unter den
Augen der Altenburger, Dessauer oder Waldeckischen Regierung nach Frankfurt
wählen ließ, konnte nur dann im October oder November ans ihre Mediatisirung
antragen, wenn er überhaupt mit allen und jeden bis Dato giltigen Rechtsbegriffen
in Staat und Politik gebrochen, wenn er die Revolution als den wahren Stand¬
punkt der Nationalversammlung ansehe.

Und doch, wenn das Experiment nicht allzu gefährlich gewesen wäre, so hätte
ich der Verhandlung in der Paulskirche ein anderes Ende gewünscht. Ich hätte
gerne das Todesurtheil über zehn oder zwölf Souveränitäten gehört, nur um
einmal das giftige große und kleine Gewürm der Gemeinheit und Verrä¬
therei, das sich nach wie vor in seinen Schlupfwinkeln versteckt und dort agitirt
und intriguirt, an's Tageslicht herauskriechen zu sehen. Der vergangene Sommer
und Herbst hat mit allen seinen Greueln wenigstens das Gute gebracht, daß wir
nun klar zu sehen vermögen, wessen die unteren Schichten unseres Volkes betreffen¬
den Falls fähig sind. Die Fäulniß in den höheren Regionen dagegen ist seit der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/188>, abgerufen am 23.12.2024.