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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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anzuknüpfen. Die Einheit Deutschlands sollte bestehen, das römische Kaiserthum
bestehen, und ihr zu Liebe war man geneigt, selbst die Idee des konstitutionellen
Staats , die in dem projectirten ungeheuern Mittelreich nicht wohl durchzuführen
wäre, über Bord zu werfen. So Herr Welcker, der Chef der modernen Ghibel-
linen. Wenn die Radikalen mit diesen aus einer Tonart spielen, so ist das Motiv
freilich ein sehr verschiedenes; sie schwärmen nicht gerade im Herzen für Windisch-
grätz und Jellachich, die sie früher verwünschten, aber sie wollen den einen Krieger¬
staat durch den andern in Schach halten.

Sie verrechnen sich. Kommt das Mittelreich zu Staude, so siegt auch in
Preußen die Partei der heiligen Allianz, und die beiden Staaten drücken wieder
mit gemeinsamer Macht auf die Kleineren. In der Scheidung beider Gebiete
liegt für beide die Freiheit, d. h. die vernünftige Staatsentwicklung; in der Ver¬
einigung die Unfreiheit und zugleich die politische Ohnmacht, denn ganz Europa
würde sich gegen den neuen Cäsar verbinden, und dieser würde, um nicht Miß--
trauen zu erregen, in jedem einzelnen Falle nachzugeben genöthigt sein. Selbst
die alten Schwärmer für "das ganze Deutschland," Arndt und Jahr, haben sich
von dieser Ueberzeugung durchdringen lassen.

Was wir also wollen, ist das letzte Facit einer dreihundertjährigen Geschichte
zu ziehn: Auflösung des alten, wüsten Römerreichs, das nur noch durch seine
Schneemasse das freie Wachsthum der jungen Pflanzenwelt niederdrückte, und de¬
finitive Feststellung der beiden Staatsformen, welche die innere Nothwendigkeit
gebietet. Aber soll die Scheidung stattfinden, so sei es offen; jedes unnatürliche
Band, welches z. B. Deutschland in der allernächsten Zeit zwingen könnte, sich
der italienischen Frage wegen mit den Franzosen am Rhein zu schlagen, würde
verhängnißvoll sein. Deutschlands Aufgabe geht nach Nordwesten; die Niederlande
werden sich seinem Wachsthum nicht lange entziehn können, der Sund wird sich
ihm öffnen, seine Flotten werden der russischen Hegemonie auf der Ostsee entge¬
gentreten und es wird in der neuen Welt und in Indien, im Wetteifer mit seinen
britischen Stammverwandten, den Schauplatz seiner Thätigkeit suchen. Oestreichs
Feld ist die Donau, das schwarze Meer und das Mittelländische. In der Türkei,
in Italien wachsen seine Lorbeer". Beide Staaten werden befreundet neben ein¬
ander gehn, so lange sie ihre getrennte Bahn nicht verkennen; sie werden sich
hassen, sobald eine unnatürliche Fessel sie aneinander schmieden will.




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anzuknüpfen. Die Einheit Deutschlands sollte bestehen, das römische Kaiserthum
bestehen, und ihr zu Liebe war man geneigt, selbst die Idee des konstitutionellen
Staats , die in dem projectirten ungeheuern Mittelreich nicht wohl durchzuführen
wäre, über Bord zu werfen. So Herr Welcker, der Chef der modernen Ghibel-
linen. Wenn die Radikalen mit diesen aus einer Tonart spielen, so ist das Motiv
freilich ein sehr verschiedenes; sie schwärmen nicht gerade im Herzen für Windisch-
grätz und Jellachich, die sie früher verwünschten, aber sie wollen den einen Krieger¬
staat durch den andern in Schach halten.

Sie verrechnen sich. Kommt das Mittelreich zu Staude, so siegt auch in
Preußen die Partei der heiligen Allianz, und die beiden Staaten drücken wieder
mit gemeinsamer Macht auf die Kleineren. In der Scheidung beider Gebiete
liegt für beide die Freiheit, d. h. die vernünftige Staatsentwicklung; in der Ver¬
einigung die Unfreiheit und zugleich die politische Ohnmacht, denn ganz Europa
würde sich gegen den neuen Cäsar verbinden, und dieser würde, um nicht Miß--
trauen zu erregen, in jedem einzelnen Falle nachzugeben genöthigt sein. Selbst
die alten Schwärmer für „das ganze Deutschland," Arndt und Jahr, haben sich
von dieser Ueberzeugung durchdringen lassen.

Was wir also wollen, ist das letzte Facit einer dreihundertjährigen Geschichte
zu ziehn: Auflösung des alten, wüsten Römerreichs, das nur noch durch seine
Schneemasse das freie Wachsthum der jungen Pflanzenwelt niederdrückte, und de¬
finitive Feststellung der beiden Staatsformen, welche die innere Nothwendigkeit
gebietet. Aber soll die Scheidung stattfinden, so sei es offen; jedes unnatürliche
Band, welches z. B. Deutschland in der allernächsten Zeit zwingen könnte, sich
der italienischen Frage wegen mit den Franzosen am Rhein zu schlagen, würde
verhängnißvoll sein. Deutschlands Aufgabe geht nach Nordwesten; die Niederlande
werden sich seinem Wachsthum nicht lange entziehn können, der Sund wird sich
ihm öffnen, seine Flotten werden der russischen Hegemonie auf der Ostsee entge¬
gentreten und es wird in der neuen Welt und in Indien, im Wetteifer mit seinen
britischen Stammverwandten, den Schauplatz seiner Thätigkeit suchen. Oestreichs
Feld ist die Donau, das schwarze Meer und das Mittelländische. In der Türkei,
in Italien wachsen seine Lorbeer». Beide Staaten werden befreundet neben ein¬
ander gehn, so lange sie ihre getrennte Bahn nicht verkennen; sie werden sich
hassen, sobald eine unnatürliche Fessel sie aneinander schmieden will.




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[0177] anzuknüpfen. Die Einheit Deutschlands sollte bestehen, das römische Kaiserthum bestehen, und ihr zu Liebe war man geneigt, selbst die Idee des konstitutionellen Staats , die in dem projectirten ungeheuern Mittelreich nicht wohl durchzuführen wäre, über Bord zu werfen. So Herr Welcker, der Chef der modernen Ghibel- linen. Wenn die Radikalen mit diesen aus einer Tonart spielen, so ist das Motiv freilich ein sehr verschiedenes; sie schwärmen nicht gerade im Herzen für Windisch- grätz und Jellachich, die sie früher verwünschten, aber sie wollen den einen Krieger¬ staat durch den andern in Schach halten. Sie verrechnen sich. Kommt das Mittelreich zu Staude, so siegt auch in Preußen die Partei der heiligen Allianz, und die beiden Staaten drücken wieder mit gemeinsamer Macht auf die Kleineren. In der Scheidung beider Gebiete liegt für beide die Freiheit, d. h. die vernünftige Staatsentwicklung; in der Ver¬ einigung die Unfreiheit und zugleich die politische Ohnmacht, denn ganz Europa würde sich gegen den neuen Cäsar verbinden, und dieser würde, um nicht Miß-- trauen zu erregen, in jedem einzelnen Falle nachzugeben genöthigt sein. Selbst die alten Schwärmer für „das ganze Deutschland," Arndt und Jahr, haben sich von dieser Ueberzeugung durchdringen lassen. Was wir also wollen, ist das letzte Facit einer dreihundertjährigen Geschichte zu ziehn: Auflösung des alten, wüsten Römerreichs, das nur noch durch seine Schneemasse das freie Wachsthum der jungen Pflanzenwelt niederdrückte, und de¬ finitive Feststellung der beiden Staatsformen, welche die innere Nothwendigkeit gebietet. Aber soll die Scheidung stattfinden, so sei es offen; jedes unnatürliche Band, welches z. B. Deutschland in der allernächsten Zeit zwingen könnte, sich der italienischen Frage wegen mit den Franzosen am Rhein zu schlagen, würde verhängnißvoll sein. Deutschlands Aufgabe geht nach Nordwesten; die Niederlande werden sich seinem Wachsthum nicht lange entziehn können, der Sund wird sich ihm öffnen, seine Flotten werden der russischen Hegemonie auf der Ostsee entge¬ gentreten und es wird in der neuen Welt und in Indien, im Wetteifer mit seinen britischen Stammverwandten, den Schauplatz seiner Thätigkeit suchen. Oestreichs Feld ist die Donau, das schwarze Meer und das Mittelländische. In der Türkei, in Italien wachsen seine Lorbeer». Beide Staaten werden befreundet neben ein¬ ander gehn, so lange sie ihre getrennte Bahn nicht verkennen; sie werden sich hassen, sobald eine unnatürliche Fessel sie aneinander schmieden will. Grtniboten. l. ,«4s.22

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/177>, abgerufen am 23.07.2024.