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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Schon damals war es bei den gebildeten Politikern auch Süddeutschlands
klar, daß Preußen nur einen großen Entschluß fassen dürfe, um an die Spitze
der deutschen Bewegung zu treten. Schon damals aber erkannte in Preußen
selbst der Obscurantismus, daß eine solche Erhebung ihm verderblich werden müsse.
Und doch mußte es endlich dahin kommen. Oestreich und das übrige Deutschland
mußten sich mehr und mehr abstoßen, trotz aller Sympathien, die zwischen beiden
Völkern stattfanden, Preußen dagegen mußte sich trotz aller Abneigung d°en süd¬
deutschen Brüdern öffnen. Der Grund ist einfach.

In Oestreichs Interesse lag es, wenn es nicht allen Schwerpuuct verlieren
sollte, sich in seiner im Ganzen abgerundeten Form zu erhalten. Daß einzelne
Stücke von Baiern vielleicht mehr in das östreichische Gebiet gehören, wie ein"
zelne Stücke von Böhmen und Mähren mehr in das Preußisch-Deutsche, ist hier
Nebensache. Preußen dagegen ist seiner Natur nach ein unfertiger Staat; wenn
es überhaupt existiren wollte, so mußte es beständig auf weitere Ausdehnung be¬
dacht sein. So kam es, daß trotz des entschiedenen Uebergewichts, welches Oest¬
reich durch Metternich zum Unheil Deutschlands über Preußen behauptete --die
Einverleibung vou Krakau war das letzte verhängnißvolle Symptom dieses Ein¬
flusses ; daß trotz des Systems der Reaction, welches Preußen dem konstitutionellen
Deutschland entfremdete, dem Staat Friedrich des Großen dennoch in allen wichti¬
gen Fragen die Hegemonie zufiel. Dem Zollverein widerstrebte ebenso die speci¬
fisch preußische Partei als die radicale in Süddeutschland, und doch mußte er
geschlossen werden.

Wenn also die Epigonen unserer Romantik mit ihrer Sehnsucht, das römische
Reich zugleich mit der Kirche Gregors VII, wiederherzustellen, nach Wien blickten,
wenn auch der alte Kanzler aus andern Gründen die Hurter, Werner, Schlegel,
Jarcke in seine Dienste zog, und dem Walten der ultramontanen Preußenfeinde
in Baiern, Görres, Philipps -- den Hauptghibellinen Gfrörer nicht zu vergesse"
-- nicht mit Unlust zusehen, so war der Inhalt ihrer Wünsche mit den Interessen
Oestreichs eben so wenig in Einklang. Er trug das Seinige dazu bei, Oestreich
als ein dem übrigen Deutschland fremdes Gebiet einsehn zu lassen, und es fiel
auch Niemand ein, an einem Factum zu zweifeln, welches die Zollsperre, die Censur
und die übrigen Polizeiinstitute hinlänglich constatirten, bis in der Märzrevolution
eine vollständige Vereinigung der Begriffe eintrat.

Im Anfang wollte man die Einheit des "Reichs" -- und damit die Herr¬
schaft zugleich im adriatischen Meere und in den nördlichen Seen vom alten histo¬
rischen Frankfurt aus begründen. Das romantische "Reich" sollte die illegitimen
Mächte Oestreich und Preußen zu Boden schlagen. Und in der That geriet!)
Oestreich in Gefahr, und nur die alten Generale aus Metternichs Schule haben sie
abgewendet.

Darauf hat man sich bequemt, die Wünsche des Herzens an das Historische


Schon damals war es bei den gebildeten Politikern auch Süddeutschlands
klar, daß Preußen nur einen großen Entschluß fassen dürfe, um an die Spitze
der deutschen Bewegung zu treten. Schon damals aber erkannte in Preußen
selbst der Obscurantismus, daß eine solche Erhebung ihm verderblich werden müsse.
Und doch mußte es endlich dahin kommen. Oestreich und das übrige Deutschland
mußten sich mehr und mehr abstoßen, trotz aller Sympathien, die zwischen beiden
Völkern stattfanden, Preußen dagegen mußte sich trotz aller Abneigung d°en süd¬
deutschen Brüdern öffnen. Der Grund ist einfach.

In Oestreichs Interesse lag es, wenn es nicht allen Schwerpuuct verlieren
sollte, sich in seiner im Ganzen abgerundeten Form zu erhalten. Daß einzelne
Stücke von Baiern vielleicht mehr in das östreichische Gebiet gehören, wie ein»
zelne Stücke von Böhmen und Mähren mehr in das Preußisch-Deutsche, ist hier
Nebensache. Preußen dagegen ist seiner Natur nach ein unfertiger Staat; wenn
es überhaupt existiren wollte, so mußte es beständig auf weitere Ausdehnung be¬
dacht sein. So kam es, daß trotz des entschiedenen Uebergewichts, welches Oest¬
reich durch Metternich zum Unheil Deutschlands über Preußen behauptete —die
Einverleibung vou Krakau war das letzte verhängnißvolle Symptom dieses Ein¬
flusses ; daß trotz des Systems der Reaction, welches Preußen dem konstitutionellen
Deutschland entfremdete, dem Staat Friedrich des Großen dennoch in allen wichti¬
gen Fragen die Hegemonie zufiel. Dem Zollverein widerstrebte ebenso die speci¬
fisch preußische Partei als die radicale in Süddeutschland, und doch mußte er
geschlossen werden.

Wenn also die Epigonen unserer Romantik mit ihrer Sehnsucht, das römische
Reich zugleich mit der Kirche Gregors VII, wiederherzustellen, nach Wien blickten,
wenn auch der alte Kanzler aus andern Gründen die Hurter, Werner, Schlegel,
Jarcke in seine Dienste zog, und dem Walten der ultramontanen Preußenfeinde
in Baiern, Görres, Philipps — den Hauptghibellinen Gfrörer nicht zu vergesse»
— nicht mit Unlust zusehen, so war der Inhalt ihrer Wünsche mit den Interessen
Oestreichs eben so wenig in Einklang. Er trug das Seinige dazu bei, Oestreich
als ein dem übrigen Deutschland fremdes Gebiet einsehn zu lassen, und es fiel
auch Niemand ein, an einem Factum zu zweifeln, welches die Zollsperre, die Censur
und die übrigen Polizeiinstitute hinlänglich constatirten, bis in der Märzrevolution
eine vollständige Vereinigung der Begriffe eintrat.

Im Anfang wollte man die Einheit des „Reichs" — und damit die Herr¬
schaft zugleich im adriatischen Meere und in den nördlichen Seen vom alten histo¬
rischen Frankfurt aus begründen. Das romantische „Reich" sollte die illegitimen
Mächte Oestreich und Preußen zu Boden schlagen. Und in der That geriet!)
Oestreich in Gefahr, und nur die alten Generale aus Metternichs Schule haben sie
abgewendet.

Darauf hat man sich bequemt, die Wünsche des Herzens an das Historische


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[0176] Schon damals war es bei den gebildeten Politikern auch Süddeutschlands klar, daß Preußen nur einen großen Entschluß fassen dürfe, um an die Spitze der deutschen Bewegung zu treten. Schon damals aber erkannte in Preußen selbst der Obscurantismus, daß eine solche Erhebung ihm verderblich werden müsse. Und doch mußte es endlich dahin kommen. Oestreich und das übrige Deutschland mußten sich mehr und mehr abstoßen, trotz aller Sympathien, die zwischen beiden Völkern stattfanden, Preußen dagegen mußte sich trotz aller Abneigung d°en süd¬ deutschen Brüdern öffnen. Der Grund ist einfach. In Oestreichs Interesse lag es, wenn es nicht allen Schwerpuuct verlieren sollte, sich in seiner im Ganzen abgerundeten Form zu erhalten. Daß einzelne Stücke von Baiern vielleicht mehr in das östreichische Gebiet gehören, wie ein» zelne Stücke von Böhmen und Mähren mehr in das Preußisch-Deutsche, ist hier Nebensache. Preußen dagegen ist seiner Natur nach ein unfertiger Staat; wenn es überhaupt existiren wollte, so mußte es beständig auf weitere Ausdehnung be¬ dacht sein. So kam es, daß trotz des entschiedenen Uebergewichts, welches Oest¬ reich durch Metternich zum Unheil Deutschlands über Preußen behauptete —die Einverleibung vou Krakau war das letzte verhängnißvolle Symptom dieses Ein¬ flusses ; daß trotz des Systems der Reaction, welches Preußen dem konstitutionellen Deutschland entfremdete, dem Staat Friedrich des Großen dennoch in allen wichti¬ gen Fragen die Hegemonie zufiel. Dem Zollverein widerstrebte ebenso die speci¬ fisch preußische Partei als die radicale in Süddeutschland, und doch mußte er geschlossen werden. Wenn also die Epigonen unserer Romantik mit ihrer Sehnsucht, das römische Reich zugleich mit der Kirche Gregors VII, wiederherzustellen, nach Wien blickten, wenn auch der alte Kanzler aus andern Gründen die Hurter, Werner, Schlegel, Jarcke in seine Dienste zog, und dem Walten der ultramontanen Preußenfeinde in Baiern, Görres, Philipps — den Hauptghibellinen Gfrörer nicht zu vergesse» — nicht mit Unlust zusehen, so war der Inhalt ihrer Wünsche mit den Interessen Oestreichs eben so wenig in Einklang. Er trug das Seinige dazu bei, Oestreich als ein dem übrigen Deutschland fremdes Gebiet einsehn zu lassen, und es fiel auch Niemand ein, an einem Factum zu zweifeln, welches die Zollsperre, die Censur und die übrigen Polizeiinstitute hinlänglich constatirten, bis in der Märzrevolution eine vollständige Vereinigung der Begriffe eintrat. Im Anfang wollte man die Einheit des „Reichs" — und damit die Herr¬ schaft zugleich im adriatischen Meere und in den nördlichen Seen vom alten histo¬ rischen Frankfurt aus begründen. Das romantische „Reich" sollte die illegitimen Mächte Oestreich und Preußen zu Boden schlagen. Und in der That geriet!) Oestreich in Gefahr, und nur die alten Generale aus Metternichs Schule haben sie abgewendet. Darauf hat man sich bequemt, die Wünsche des Herzens an das Historische

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/176>, abgerufen am 26.08.2024.