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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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zeichnetest, was auf dich eindrang, in zierlichen Arabesken um den Rand deiner
Traumfiguren. Nun hat man dich mitten unter das Volk gestoßen, du sollst dir
selbst forthelfen, du sollst den Droschken und groben Eckenstehern, die dich mit
ihren Lasten überlaufen, aus dem Wege gehn, und es kommt dir unheimlich vor
in den gedrängten Straßen der gemüthlvsen Weltstadt, du möchtest dich wieder
in eine wohnlich eingerichtete Ruine mit gemalten Glasscheiben zurückziehen und
in anmuthigen Dämmerungen einer widerstaudloscn Welt gebieten. Schüttle das
Nachtgefieder ab, mein Vaterland, du mußt alle deine Sinne zusammennehmen,
um vorwärts zu kommen.




Das Wesen der Romantik liegt in der unbedingten Geltung der Phrasen,
mit denen man einen beliebigen Sinn verbinden mag. Vielleicht erinnert sich der
geneigte Leser noch, daß ich ihm vor einiger Zeit in einem "Neupolitischen
Katechismus" einige dieser modernen Phrasen analysirt habe, z. B. die Phrase
von der Volkssouveränität. Ich beabsichtige heute, einer zweiten Phrase
ihr Recht widerfahren zu lassen: der Phrase von der Einheit Deutschlands.

Die Kölnische Zeitung äußerte sich vor einiger Zeit dahin, sie sehe ein, daß
Oestreich von dem übrigen Deutschland getrennt und das letztere der preußischen
Hegemonie anvertraut werden müsse, obgleich sie wohl wisse, daß damit eine
Theilung Deutschlands ausgesprochen sei. Herr Jacob Venedey, Hofphraseur der
Paulskirche, gerieth über ein so unerhörtes Attentat gegen die Unteilbarkeit der
deutschen Nation in den angemessenen Harnisch, und kündigte Herrn Dumont so
lange seine Freundschaft auf, bis das "unglückselige" Subject, das einen solchen
Gedanken habe wagen können, so wie der eben so unglückselige Redacteur, der in
dem Verbrechen seine Hand im Spiele gehabt, auf irgend eine Weise, wenn anch
nur durch Entfernung von ihren Posten, beschädigt würden. Man hat ihm dar¬
auf eine Stelle aus einem Briefe citirt, den ich früher an den kosmopolitischen
Idealisten Julius Fröbel geschrieben. Ich muß nun gestehen, daß ich mich keines¬
wegs in der Lage finde, die Ansicht der Kölnischen Zeitung von der "Theilung"
Deutschlands zu, theilen; ich finde zwar, daß Staaten zuweilen durch Theilung
gewinnen, wie Niederland bei seiner "Theilung" von der spanischen Monarchie
u. s. w., aber meine Ansicht ist, daß man von einer Theilung nur da reden kann,
wo ein Ganzes vorliegt.

Wie es nnn mit der historischen Einheit Deutschlands beschaffen ist, kann
uns ein kurzer Rückblick auf die Geschichte lehren. In unserer Zeit, wo jeder
Wohlgekleidcte und auch der brave Mann im groben Kittel über das europäische
Gleichgewicht Orakelsprüche fallen läßt, wo man aber das Studium dessen, was
man sonst Politik nannte, als Schmachvolles Erbtheil der "Zopfzeit" mit souveräner
Verachtung bei Seite wirst; wo Herr Schuselka, der ständige Referent des östrei¬
chischen Reichstags, in der Ostdeutschen Post neben andern interessanten Entdeckungen,


zeichnetest, was auf dich eindrang, in zierlichen Arabesken um den Rand deiner
Traumfiguren. Nun hat man dich mitten unter das Volk gestoßen, du sollst dir
selbst forthelfen, du sollst den Droschken und groben Eckenstehern, die dich mit
ihren Lasten überlaufen, aus dem Wege gehn, und es kommt dir unheimlich vor
in den gedrängten Straßen der gemüthlvsen Weltstadt, du möchtest dich wieder
in eine wohnlich eingerichtete Ruine mit gemalten Glasscheiben zurückziehen und
in anmuthigen Dämmerungen einer widerstaudloscn Welt gebieten. Schüttle das
Nachtgefieder ab, mein Vaterland, du mußt alle deine Sinne zusammennehmen,
um vorwärts zu kommen.




Das Wesen der Romantik liegt in der unbedingten Geltung der Phrasen,
mit denen man einen beliebigen Sinn verbinden mag. Vielleicht erinnert sich der
geneigte Leser noch, daß ich ihm vor einiger Zeit in einem „Neupolitischen
Katechismus" einige dieser modernen Phrasen analysirt habe, z. B. die Phrase
von der Volkssouveränität. Ich beabsichtige heute, einer zweiten Phrase
ihr Recht widerfahren zu lassen: der Phrase von der Einheit Deutschlands.

Die Kölnische Zeitung äußerte sich vor einiger Zeit dahin, sie sehe ein, daß
Oestreich von dem übrigen Deutschland getrennt und das letztere der preußischen
Hegemonie anvertraut werden müsse, obgleich sie wohl wisse, daß damit eine
Theilung Deutschlands ausgesprochen sei. Herr Jacob Venedey, Hofphraseur der
Paulskirche, gerieth über ein so unerhörtes Attentat gegen die Unteilbarkeit der
deutschen Nation in den angemessenen Harnisch, und kündigte Herrn Dumont so
lange seine Freundschaft auf, bis das „unglückselige" Subject, das einen solchen
Gedanken habe wagen können, so wie der eben so unglückselige Redacteur, der in
dem Verbrechen seine Hand im Spiele gehabt, auf irgend eine Weise, wenn anch
nur durch Entfernung von ihren Posten, beschädigt würden. Man hat ihm dar¬
auf eine Stelle aus einem Briefe citirt, den ich früher an den kosmopolitischen
Idealisten Julius Fröbel geschrieben. Ich muß nun gestehen, daß ich mich keines¬
wegs in der Lage finde, die Ansicht der Kölnischen Zeitung von der „Theilung"
Deutschlands zu, theilen; ich finde zwar, daß Staaten zuweilen durch Theilung
gewinnen, wie Niederland bei seiner „Theilung" von der spanischen Monarchie
u. s. w., aber meine Ansicht ist, daß man von einer Theilung nur da reden kann,
wo ein Ganzes vorliegt.

Wie es nnn mit der historischen Einheit Deutschlands beschaffen ist, kann
uns ein kurzer Rückblick auf die Geschichte lehren. In unserer Zeit, wo jeder
Wohlgekleidcte und auch der brave Mann im groben Kittel über das europäische
Gleichgewicht Orakelsprüche fallen läßt, wo man aber das Studium dessen, was
man sonst Politik nannte, als Schmachvolles Erbtheil der „Zopfzeit" mit souveräner
Verachtung bei Seite wirst; wo Herr Schuselka, der ständige Referent des östrei¬
chischen Reichstags, in der Ostdeutschen Post neben andern interessanten Entdeckungen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/170>, abgerufen am 23.12.2024.