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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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möglichen Versammlungsorten der Abgeordneten verkehren sehen, selbst in den
Parlamentssitzungen zeigte sich sein blaues Halstuch in den verschiedensten Ecken
des Hauses. Der protestantische und katholische Ultramontanismus, welcher sich
bis da ziemlich klösterlich im grauen Hause verhalten hatte, schickte jetzt seinen
schlagtodtigen Hrn. G frörerund den feinstimmigen Westphalen Iunkmann täglich
mit neuen Donnerworten gegen den lutherischen König von Preußen in den Bür-
gerverein, wo der Wein am wohlfeilsten und besten ist. Die Männer der äußer¬
sten Rechte", viel Preußen, Hannoveraner und Baiern, denen eigentlich die ge-
sammte neue Gestaltung der deutschen Staatsverhältnisse ein Gräuel, und die nur
in bestimmten Fragen bis zu gewissen Punkten dem unwiderstehlichen Drama der
Bewegung folgten um wenigstens zu retten, was zu retten war -- sie lächelten
jetzt in ihrem vortrefflich organisirten Club (gewöhnlich Caffe-Milani genannt, ob¬
gleich er seine Versammlungen anderswo hält), äußerten sich nach Außen vorsichtig
und machten einige wundersam schwärmerische Bemerkungen über das herrliche
deutsche Reich mit Oestreich.

Da geschah's. Schmerling trat.mit seinem Unterstaatssecretär Würth aus dem
Ministerium, und Gagerns Ernennung ward in der Versammlung verkündet, nach¬
dem man sie bereits am Morgen offiziell in der Oberpostamtszeitung gelesen.
Jeder Einzelne fühlte die Schwere der Entscheidung, welche an diesem Augenblicke
hing, als Heinrich v. Gagern gegen Ende der Sitzung die Tribüne bestieg, Ab¬
schied nehmend von der Versammlung als Vorsitzender, sie begrüßend als Mini¬
sterpräsident. Eine Stille, wie man sie nie gehört hatte beim Austreten eines
Redners, lagerte sich über dem Hause, als Gagerns tiefer Baß , ohne alle retho-
rischen Kunstmittel, aber durchbebt von innerer Bewegung, die angedeuteten
Worte ertönen ließ. Und als er geschlossen, ward der trotz aller Frivolität dennoch
schüchterne Versuch einiger Leute, dem ersten Manne Deutschlands, welcher jetzt
auf des deutschen Reiches erster Stelle gestellt war, sogleich den persönlichen Mi߬
muth zu erkennen zu geben, von einem nachhaltigen starken Beifall der weit
überzähligen besseren Elemente des Hauses niedergedrückt.

So war's geschehen. Aber welche Umwälzung in den innern Verhältnissen und
Parteistellungen des Hauses gleichzeitig stattgefunden hatte, das ließ sich allerdings
bei der nächstfolgenden Verhandlung, welche wiederum den Grundrechten galt, nur
für denjenigen wahrnehmen , der nicht unvorbereitet auf die Galerie getreten war.
Mehrere Abstimmungen zeigten, daß die Majorität der Centren nur noch höchst
zweifelhaft.

Nun kam der 18. December, kam Gagerns ministerieller Antrag in Betreff
Oestreichs, mit ihm die volle Entscheidung des Bruches, welcher bereits vor¬
handen , aber doch noch nicht zur Grellheit der Entscheidung gekommen war. Als
Gagern seinen Vortrag geendet hatte, während dessen die parlamentarischen Hilfs¬
mittel der äußersten Linken, Scharren, Pochen, Pfuirufen, telegraphische Hilft-


möglichen Versammlungsorten der Abgeordneten verkehren sehen, selbst in den
Parlamentssitzungen zeigte sich sein blaues Halstuch in den verschiedensten Ecken
des Hauses. Der protestantische und katholische Ultramontanismus, welcher sich
bis da ziemlich klösterlich im grauen Hause verhalten hatte, schickte jetzt seinen
schlagtodtigen Hrn. G frörerund den feinstimmigen Westphalen Iunkmann täglich
mit neuen Donnerworten gegen den lutherischen König von Preußen in den Bür-
gerverein, wo der Wein am wohlfeilsten und besten ist. Die Männer der äußer¬
sten Rechte«, viel Preußen, Hannoveraner und Baiern, denen eigentlich die ge-
sammte neue Gestaltung der deutschen Staatsverhältnisse ein Gräuel, und die nur
in bestimmten Fragen bis zu gewissen Punkten dem unwiderstehlichen Drama der
Bewegung folgten um wenigstens zu retten, was zu retten war — sie lächelten
jetzt in ihrem vortrefflich organisirten Club (gewöhnlich Caffe-Milani genannt, ob¬
gleich er seine Versammlungen anderswo hält), äußerten sich nach Außen vorsichtig
und machten einige wundersam schwärmerische Bemerkungen über das herrliche
deutsche Reich mit Oestreich.

Da geschah's. Schmerling trat.mit seinem Unterstaatssecretär Würth aus dem
Ministerium, und Gagerns Ernennung ward in der Versammlung verkündet, nach¬
dem man sie bereits am Morgen offiziell in der Oberpostamtszeitung gelesen.
Jeder Einzelne fühlte die Schwere der Entscheidung, welche an diesem Augenblicke
hing, als Heinrich v. Gagern gegen Ende der Sitzung die Tribüne bestieg, Ab¬
schied nehmend von der Versammlung als Vorsitzender, sie begrüßend als Mini¬
sterpräsident. Eine Stille, wie man sie nie gehört hatte beim Austreten eines
Redners, lagerte sich über dem Hause, als Gagerns tiefer Baß , ohne alle retho-
rischen Kunstmittel, aber durchbebt von innerer Bewegung, die angedeuteten
Worte ertönen ließ. Und als er geschlossen, ward der trotz aller Frivolität dennoch
schüchterne Versuch einiger Leute, dem ersten Manne Deutschlands, welcher jetzt
auf des deutschen Reiches erster Stelle gestellt war, sogleich den persönlichen Mi߬
muth zu erkennen zu geben, von einem nachhaltigen starken Beifall der weit
überzähligen besseren Elemente des Hauses niedergedrückt.

So war's geschehen. Aber welche Umwälzung in den innern Verhältnissen und
Parteistellungen des Hauses gleichzeitig stattgefunden hatte, das ließ sich allerdings
bei der nächstfolgenden Verhandlung, welche wiederum den Grundrechten galt, nur
für denjenigen wahrnehmen , der nicht unvorbereitet auf die Galerie getreten war.
Mehrere Abstimmungen zeigten, daß die Majorität der Centren nur noch höchst
zweifelhaft.

Nun kam der 18. December, kam Gagerns ministerieller Antrag in Betreff
Oestreichs, mit ihm die volle Entscheidung des Bruches, welcher bereits vor¬
handen , aber doch noch nicht zur Grellheit der Entscheidung gekommen war. Als
Gagern seinen Vortrag geendet hatte, während dessen die parlamentarischen Hilfs¬
mittel der äußersten Linken, Scharren, Pochen, Pfuirufen, telegraphische Hilft-


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[0160] möglichen Versammlungsorten der Abgeordneten verkehren sehen, selbst in den Parlamentssitzungen zeigte sich sein blaues Halstuch in den verschiedensten Ecken des Hauses. Der protestantische und katholische Ultramontanismus, welcher sich bis da ziemlich klösterlich im grauen Hause verhalten hatte, schickte jetzt seinen schlagtodtigen Hrn. G frörerund den feinstimmigen Westphalen Iunkmann täglich mit neuen Donnerworten gegen den lutherischen König von Preußen in den Bür- gerverein, wo der Wein am wohlfeilsten und besten ist. Die Männer der äußer¬ sten Rechte«, viel Preußen, Hannoveraner und Baiern, denen eigentlich die ge- sammte neue Gestaltung der deutschen Staatsverhältnisse ein Gräuel, und die nur in bestimmten Fragen bis zu gewissen Punkten dem unwiderstehlichen Drama der Bewegung folgten um wenigstens zu retten, was zu retten war — sie lächelten jetzt in ihrem vortrefflich organisirten Club (gewöhnlich Caffe-Milani genannt, ob¬ gleich er seine Versammlungen anderswo hält), äußerten sich nach Außen vorsichtig und machten einige wundersam schwärmerische Bemerkungen über das herrliche deutsche Reich mit Oestreich. Da geschah's. Schmerling trat.mit seinem Unterstaatssecretär Würth aus dem Ministerium, und Gagerns Ernennung ward in der Versammlung verkündet, nach¬ dem man sie bereits am Morgen offiziell in der Oberpostamtszeitung gelesen. Jeder Einzelne fühlte die Schwere der Entscheidung, welche an diesem Augenblicke hing, als Heinrich v. Gagern gegen Ende der Sitzung die Tribüne bestieg, Ab¬ schied nehmend von der Versammlung als Vorsitzender, sie begrüßend als Mini¬ sterpräsident. Eine Stille, wie man sie nie gehört hatte beim Austreten eines Redners, lagerte sich über dem Hause, als Gagerns tiefer Baß , ohne alle retho- rischen Kunstmittel, aber durchbebt von innerer Bewegung, die angedeuteten Worte ertönen ließ. Und als er geschlossen, ward der trotz aller Frivolität dennoch schüchterne Versuch einiger Leute, dem ersten Manne Deutschlands, welcher jetzt auf des deutschen Reiches erster Stelle gestellt war, sogleich den persönlichen Mi߬ muth zu erkennen zu geben, von einem nachhaltigen starken Beifall der weit überzähligen besseren Elemente des Hauses niedergedrückt. So war's geschehen. Aber welche Umwälzung in den innern Verhältnissen und Parteistellungen des Hauses gleichzeitig stattgefunden hatte, das ließ sich allerdings bei der nächstfolgenden Verhandlung, welche wiederum den Grundrechten galt, nur für denjenigen wahrnehmen , der nicht unvorbereitet auf die Galerie getreten war. Mehrere Abstimmungen zeigten, daß die Majorität der Centren nur noch höchst zweifelhaft. Nun kam der 18. December, kam Gagerns ministerieller Antrag in Betreff Oestreichs, mit ihm die volle Entscheidung des Bruches, welcher bereits vor¬ handen , aber doch noch nicht zur Grellheit der Entscheidung gekommen war. Als Gagern seinen Vortrag geendet hatte, während dessen die parlamentarischen Hilfs¬ mittel der äußersten Linken, Scharren, Pochen, Pfuirufen, telegraphische Hilft-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/160>, abgerufen am 23.12.2024.