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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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mit dem vollen Bewußtsein ihrer Gewichtigkeit, aber sie ist ihm kein Einfall, kein
sich selbst überraschender Gedanke, sondern ein organisch construirtes Werk, eine
wirkliche Arbeit der Lebensaufgabe. Er hilft am Bau der Weltgeschichte, verachtet
aber das trotzdem oft so nöthige Steinezuiragen zur Tagesgeschichte. Darum,
wenn dereinst unsere Gegenwart Geschichte sein wird, so werden die Historiker jene
Rede für das absolute Veto als ein Document in ihre Werke aufnehmen, und
werden dazu schreiben: daß nach solchen Beweisführungen das absolute Veto nicht
beschlossen ward, ist nur aus dein unentwickelten Standpunkte der Parteien zu
erklären, welche noch nicht genug politische Bildung hatten, um entschiedenen
Wortes auszusprechen, was sie in der endlichen Fassung des betreffenden Para¬
graphen thatsächlich annahmen. Sie wollten das Phantom ihrer absoluten Sou¬
veränität nicht aufgeben und übertrugen den unklar gedachten Gedanken auch in
jenen Beschluß, indem sie einer formellen Höflichkeit gegen das sogenannte Volk
und der Schmeichelei ihrer eignen Eitelkeit die undeutbare Feststellung der staats-
gestaltcnden Mächte zu einander opferten.

Die Vetvbestimmuug war eine der letzten Grundrechtsfragen, über welche
noch die seit längerer Zeit vorhandenen Parteistellungen entschieden. Man kennt
diese alten Parteien und wer sie nicht kennt, findet sie in den soeben erschie¬
nenen "Brustbildern aus dem Parlament" (Leipzig, Gustav Mayer) klar und voll¬
ständig nach langer Anschauung geschildert. Unterdessen hatte das Ergebniß der
französischen Präsidentenwahl, die zur Entscheidung drängende östreichisch-deutsche
Kaiserfrage alle Situationen so entschieden geändert, daß von einem fernern Bestand
der bisherigen parlamentarischen Gruppen keine Rede sein konnte. Hrn. v. Schmerlings
Austritt aus dem Ministerium ward unabweisbar. Es ist schwer, eine Schilderung der
Aufregung, der wahrhaft fieberischer Bewegung zu geben, welche in diesen Tagen
dnrch die Clubs tobte und in den gewöhnlichen Gesellschaftsränmen der verschie¬
denen Theile des Parlaments nachklang. Denn auch hinsichtlich der Gesellschafts¬
räume scheidet sich das Parlament ziemlich genau in die beiden Haupttheile links
und rechts. Es gehört dies einer tiefer eingehenden Parlamentsgeschichte an. Den
englischen Hof konnte man jedoch im Allgemeinen als diejenige Mittags- und
Abendgesellschaft betrachten, welche Preußen an Deutschlands Spitze und Oest¬
reich nach seinem Ministerprogramm vom November freigelassen wissen wollte von
der bundesstaatlichen Vereinigung mit Deutschland. Sie sah bald ein, daß Schmer¬
ling ohne die höchste Gefahr für Herstellung eines neuen deutschen Reiches nicht
beibehalten werden konnte. Dagegen entflammte plötzlich unter den Oestreichern,
deren jetziger Führer aus einmal der vorher so oft als schwarzgelb bezeichnete Ba¬
ron Somaruga ward, ein wunderbar deutsch-einheitliches Fieber auf.

Es war wohl nur Verläumdung, wenn man behauptete, Herr v. Somaruga,
der ehemals schwarzgelbe, sei nur Schmerlings unbewußter Maschinenmeister. Man
hat den weißen Paletot des schmalen Herrn v. Somaruga niemals so eifrig an allen .


mit dem vollen Bewußtsein ihrer Gewichtigkeit, aber sie ist ihm kein Einfall, kein
sich selbst überraschender Gedanke, sondern ein organisch construirtes Werk, eine
wirkliche Arbeit der Lebensaufgabe. Er hilft am Bau der Weltgeschichte, verachtet
aber das trotzdem oft so nöthige Steinezuiragen zur Tagesgeschichte. Darum,
wenn dereinst unsere Gegenwart Geschichte sein wird, so werden die Historiker jene
Rede für das absolute Veto als ein Document in ihre Werke aufnehmen, und
werden dazu schreiben: daß nach solchen Beweisführungen das absolute Veto nicht
beschlossen ward, ist nur aus dein unentwickelten Standpunkte der Parteien zu
erklären, welche noch nicht genug politische Bildung hatten, um entschiedenen
Wortes auszusprechen, was sie in der endlichen Fassung des betreffenden Para¬
graphen thatsächlich annahmen. Sie wollten das Phantom ihrer absoluten Sou¬
veränität nicht aufgeben und übertrugen den unklar gedachten Gedanken auch in
jenen Beschluß, indem sie einer formellen Höflichkeit gegen das sogenannte Volk
und der Schmeichelei ihrer eignen Eitelkeit die undeutbare Feststellung der staats-
gestaltcnden Mächte zu einander opferten.

Die Vetvbestimmuug war eine der letzten Grundrechtsfragen, über welche
noch die seit längerer Zeit vorhandenen Parteistellungen entschieden. Man kennt
diese alten Parteien und wer sie nicht kennt, findet sie in den soeben erschie¬
nenen „Brustbildern aus dem Parlament" (Leipzig, Gustav Mayer) klar und voll¬
ständig nach langer Anschauung geschildert. Unterdessen hatte das Ergebniß der
französischen Präsidentenwahl, die zur Entscheidung drängende östreichisch-deutsche
Kaiserfrage alle Situationen so entschieden geändert, daß von einem fernern Bestand
der bisherigen parlamentarischen Gruppen keine Rede sein konnte. Hrn. v. Schmerlings
Austritt aus dem Ministerium ward unabweisbar. Es ist schwer, eine Schilderung der
Aufregung, der wahrhaft fieberischer Bewegung zu geben, welche in diesen Tagen
dnrch die Clubs tobte und in den gewöhnlichen Gesellschaftsränmen der verschie¬
denen Theile des Parlaments nachklang. Denn auch hinsichtlich der Gesellschafts¬
räume scheidet sich das Parlament ziemlich genau in die beiden Haupttheile links
und rechts. Es gehört dies einer tiefer eingehenden Parlamentsgeschichte an. Den
englischen Hof konnte man jedoch im Allgemeinen als diejenige Mittags- und
Abendgesellschaft betrachten, welche Preußen an Deutschlands Spitze und Oest¬
reich nach seinem Ministerprogramm vom November freigelassen wissen wollte von
der bundesstaatlichen Vereinigung mit Deutschland. Sie sah bald ein, daß Schmer¬
ling ohne die höchste Gefahr für Herstellung eines neuen deutschen Reiches nicht
beibehalten werden konnte. Dagegen entflammte plötzlich unter den Oestreichern,
deren jetziger Führer aus einmal der vorher so oft als schwarzgelb bezeichnete Ba¬
ron Somaruga ward, ein wunderbar deutsch-einheitliches Fieber auf.

Es war wohl nur Verläumdung, wenn man behauptete, Herr v. Somaruga,
der ehemals schwarzgelbe, sei nur Schmerlings unbewußter Maschinenmeister. Man
hat den weißen Paletot des schmalen Herrn v. Somaruga niemals so eifrig an allen .


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/159>, abgerufen am 23.07.2024.