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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Fürstengunst oder Beifallsgeschrei des Volkes thaten. Es gibt bekanntlich jetzt
mehr Volks- als Fürstenhöflinge; das Geschäft der Erstem ist heut zu Tag leichter,
bequemer, sicherer. Die Augsburger Allgemeine Zeitung hat darüber im Sommer
ein trefflich Kapitel geschrieben, welches recht vielen jener Leute zu empfehlen ist,
die sich allein "auf der Höhe des Zeitbewußtseins" wähnen, die nur für sich daS
Recht beanspruchen, "die Tragweite" der heutigen Bewegung richtig bemessen und
den Weg zum allgemeinen Heil "anbahnen" zu können. -- Man muß sie jedoch in
ihren Clubs, oder vielleicht noch besser in den Bierhäusern ihrer Coterien hören,
um zu erkennen, mit wie arroganter Verachtung von ihnen jede Persönlichkeit
und Ansicht behandelt wird, welche nicht auf der linken Seite des reformirten Bet-
hauses ihren Platz und ihre freilich oft nur sogenannte Vertretung findet. Sagte
man zu ihrer Entschuldigung: es sind großen Theils junge Idealisten -- so braucht
man nur an einem einzigen Tage die Reichsversammlung zu besuchen, um gerade
von der Linken aus jeden Anklang einer idealistischen oder poetischen Auffassung
der Dinge durch ein höhnendes Echo beantwortet, um gerade von den Männern
der Linken die "Prosessorenpolitik" ans das Geringschätzigste schmähen zu hören.
Sie fordern die entschiedenste Praxis, erheben aber entsetzlich Gelärm, wenn eines
der phantastischen Schlagirörter ihrer Seite mit ironischer Bewunderung von einem
Redner der Gegenparteien in seiner paukenartigen Hohlheit zur Schau ausgestellt
wird. Freilich wollen sie eine Praxis; die Praxis der Anarchie, die Praxis der
permanenten Revolution. Zu dieser bedarf es allerdings keiner politischen Weis¬
heit, sondern nur gesunder Fäuste, ausgiebiger Lungen und eines Mundes, wel¬
cher jeden Gedanken hervorsprudelt, selbst ohne den eignen Kopf zu fragen, ob der
Gedanke ein Lebensrecht hat. Aber das politische Gewissen, die politische Kon¬
sequenz , ehrliches Gedächtniß für die eigne Vergangenheit in den politischen Kund¬
gebungen ? O, wenn doch Herr v. Vincke nicht so ein gefährlich gutes Gedächtniß
für alle Einzelvorgänge des Parlaments, Vorparlaments und Fünfzigerausschusses,
wenn er doch nicht eine so juristisch geschulte Logik, nicht eine so bedenkliche Be¬
reitschaft aller parlamentarischen Erinnerungen besäße! Die Linke haßt ihn, nächst
Bassermann, am ingrimmigsten.

Bei solchen Voraussetzungen ist es wunderbar genug, daß trotzdem einzelne
Persönlichkeiten des Parlaments für ihre Worte selbst bei der äußersten Linken
eine rücksichtsvolle Aufmerksamkeit zu erringen wissen. Das mächtigste Beispiel
dafür ist Heinrich v. Gagern, wie allbekannt. Deshalb ist hier nichts über seine
rein parlamentarische Stellung beizufügen. Aber während der Tage, wo sich die
Nothwendigkeit des Rücktritts des Herrn v. Schmerling vom Prästdeutenstuhl des
Ministeriums entschied, als gleichzeitig die Frage sehr unentschieden schwebte, ob
jetzt bereits der "kühne Griff" zu wagen und Heinrich v. Gagern an seine Stelle
zu setzen, oder ob er aufzusparen sei für den Vorsitz im ersten Ministerium der
definitiven Centralgewalt: da konnte man es nicht eben undeutlich aus mancherlei


Fürstengunst oder Beifallsgeschrei des Volkes thaten. Es gibt bekanntlich jetzt
mehr Volks- als Fürstenhöflinge; das Geschäft der Erstem ist heut zu Tag leichter,
bequemer, sicherer. Die Augsburger Allgemeine Zeitung hat darüber im Sommer
ein trefflich Kapitel geschrieben, welches recht vielen jener Leute zu empfehlen ist,
die sich allein „auf der Höhe des Zeitbewußtseins" wähnen, die nur für sich daS
Recht beanspruchen, „die Tragweite" der heutigen Bewegung richtig bemessen und
den Weg zum allgemeinen Heil „anbahnen" zu können. — Man muß sie jedoch in
ihren Clubs, oder vielleicht noch besser in den Bierhäusern ihrer Coterien hören,
um zu erkennen, mit wie arroganter Verachtung von ihnen jede Persönlichkeit
und Ansicht behandelt wird, welche nicht auf der linken Seite des reformirten Bet-
hauses ihren Platz und ihre freilich oft nur sogenannte Vertretung findet. Sagte
man zu ihrer Entschuldigung: es sind großen Theils junge Idealisten — so braucht
man nur an einem einzigen Tage die Reichsversammlung zu besuchen, um gerade
von der Linken aus jeden Anklang einer idealistischen oder poetischen Auffassung
der Dinge durch ein höhnendes Echo beantwortet, um gerade von den Männern
der Linken die „Prosessorenpolitik" ans das Geringschätzigste schmähen zu hören.
Sie fordern die entschiedenste Praxis, erheben aber entsetzlich Gelärm, wenn eines
der phantastischen Schlagirörter ihrer Seite mit ironischer Bewunderung von einem
Redner der Gegenparteien in seiner paukenartigen Hohlheit zur Schau ausgestellt
wird. Freilich wollen sie eine Praxis; die Praxis der Anarchie, die Praxis der
permanenten Revolution. Zu dieser bedarf es allerdings keiner politischen Weis¬
heit, sondern nur gesunder Fäuste, ausgiebiger Lungen und eines Mundes, wel¬
cher jeden Gedanken hervorsprudelt, selbst ohne den eignen Kopf zu fragen, ob der
Gedanke ein Lebensrecht hat. Aber das politische Gewissen, die politische Kon¬
sequenz , ehrliches Gedächtniß für die eigne Vergangenheit in den politischen Kund¬
gebungen ? O, wenn doch Herr v. Vincke nicht so ein gefährlich gutes Gedächtniß
für alle Einzelvorgänge des Parlaments, Vorparlaments und Fünfzigerausschusses,
wenn er doch nicht eine so juristisch geschulte Logik, nicht eine so bedenkliche Be¬
reitschaft aller parlamentarischen Erinnerungen besäße! Die Linke haßt ihn, nächst
Bassermann, am ingrimmigsten.

Bei solchen Voraussetzungen ist es wunderbar genug, daß trotzdem einzelne
Persönlichkeiten des Parlaments für ihre Worte selbst bei der äußersten Linken
eine rücksichtsvolle Aufmerksamkeit zu erringen wissen. Das mächtigste Beispiel
dafür ist Heinrich v. Gagern, wie allbekannt. Deshalb ist hier nichts über seine
rein parlamentarische Stellung beizufügen. Aber während der Tage, wo sich die
Nothwendigkeit des Rücktritts des Herrn v. Schmerling vom Prästdeutenstuhl des
Ministeriums entschied, als gleichzeitig die Frage sehr unentschieden schwebte, ob
jetzt bereits der „kühne Griff" zu wagen und Heinrich v. Gagern an seine Stelle
zu setzen, oder ob er aufzusparen sei für den Vorsitz im ersten Ministerium der
definitiven Centralgewalt: da konnte man es nicht eben undeutlich aus mancherlei


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[0157] Fürstengunst oder Beifallsgeschrei des Volkes thaten. Es gibt bekanntlich jetzt mehr Volks- als Fürstenhöflinge; das Geschäft der Erstem ist heut zu Tag leichter, bequemer, sicherer. Die Augsburger Allgemeine Zeitung hat darüber im Sommer ein trefflich Kapitel geschrieben, welches recht vielen jener Leute zu empfehlen ist, die sich allein „auf der Höhe des Zeitbewußtseins" wähnen, die nur für sich daS Recht beanspruchen, „die Tragweite" der heutigen Bewegung richtig bemessen und den Weg zum allgemeinen Heil „anbahnen" zu können. — Man muß sie jedoch in ihren Clubs, oder vielleicht noch besser in den Bierhäusern ihrer Coterien hören, um zu erkennen, mit wie arroganter Verachtung von ihnen jede Persönlichkeit und Ansicht behandelt wird, welche nicht auf der linken Seite des reformirten Bet- hauses ihren Platz und ihre freilich oft nur sogenannte Vertretung findet. Sagte man zu ihrer Entschuldigung: es sind großen Theils junge Idealisten — so braucht man nur an einem einzigen Tage die Reichsversammlung zu besuchen, um gerade von der Linken aus jeden Anklang einer idealistischen oder poetischen Auffassung der Dinge durch ein höhnendes Echo beantwortet, um gerade von den Männern der Linken die „Prosessorenpolitik" ans das Geringschätzigste schmähen zu hören. Sie fordern die entschiedenste Praxis, erheben aber entsetzlich Gelärm, wenn eines der phantastischen Schlagirörter ihrer Seite mit ironischer Bewunderung von einem Redner der Gegenparteien in seiner paukenartigen Hohlheit zur Schau ausgestellt wird. Freilich wollen sie eine Praxis; die Praxis der Anarchie, die Praxis der permanenten Revolution. Zu dieser bedarf es allerdings keiner politischen Weis¬ heit, sondern nur gesunder Fäuste, ausgiebiger Lungen und eines Mundes, wel¬ cher jeden Gedanken hervorsprudelt, selbst ohne den eignen Kopf zu fragen, ob der Gedanke ein Lebensrecht hat. Aber das politische Gewissen, die politische Kon¬ sequenz , ehrliches Gedächtniß für die eigne Vergangenheit in den politischen Kund¬ gebungen ? O, wenn doch Herr v. Vincke nicht so ein gefährlich gutes Gedächtniß für alle Einzelvorgänge des Parlaments, Vorparlaments und Fünfzigerausschusses, wenn er doch nicht eine so juristisch geschulte Logik, nicht eine so bedenkliche Be¬ reitschaft aller parlamentarischen Erinnerungen besäße! Die Linke haßt ihn, nächst Bassermann, am ingrimmigsten. Bei solchen Voraussetzungen ist es wunderbar genug, daß trotzdem einzelne Persönlichkeiten des Parlaments für ihre Worte selbst bei der äußersten Linken eine rücksichtsvolle Aufmerksamkeit zu erringen wissen. Das mächtigste Beispiel dafür ist Heinrich v. Gagern, wie allbekannt. Deshalb ist hier nichts über seine rein parlamentarische Stellung beizufügen. Aber während der Tage, wo sich die Nothwendigkeit des Rücktritts des Herrn v. Schmerling vom Prästdeutenstuhl des Ministeriums entschied, als gleichzeitig die Frage sehr unentschieden schwebte, ob jetzt bereits der „kühne Griff" zu wagen und Heinrich v. Gagern an seine Stelle zu setzen, oder ob er aufzusparen sei für den Vorsitz im ersten Ministerium der definitiven Centralgewalt: da konnte man es nicht eben undeutlich aus mancherlei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/157>, abgerufen am 26.08.2024.