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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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tilgt, selbst manche der Abgeordneten tragen noch Waffen bei sich, wenn sie am
Abend ihre Wohnungen verlassen; auch der Mordanschlag auf Gagern im November
schien keine Polizeiphantasie gewesen zu sein. Nur Vater Jcchn's Bart wallt wie
ehedem; ich glaube überhaupt, es war nur eine Verleumdung, als seine Gegner
behaupteten, der Alte habe sich denselben in den Septembertagen aus Furcht ab¬
geschnitten.

Die Reichsversammlung nimmt sich in der reformirten Kirche lange nicht so
gewaltig aus, als im Hause Se. Pauls. Die Verkleidung der Kanzel und des
Altars in den Präsidentenstuhl nebst Zubehör zeigt sich auf den ersten Blick sehr
provisorisch. Germania ist verschwunden, der schwarze Reichsadler auf dem goldnen
Schild erinnert gefährlich an das Material einiger Theile der Rüstung Don QnixoteS,
die schwarzrothgoldnen Fahnen hängen ziemlich trübselig in den Raum herein. Auch
an den Abgeordneten selber ersieht man's, daß Winter geworden; ihre Reihen
sind gelichtet, jeder hat sich auf's Bequemste eingerichtet, die grünen, schwarzen
und philisterhaft gestickten Sammtkäppchen auf häufig noch vollkommen jugendlichen
Häuptern sind nicht geeignet, ihren Trägern einen frischmuntern Ausdruck zu ver¬
leihen. Oben auf den Galerien ist's ziemlich leer, besonders auf jener Abtheilung,
zu welcher vollkommen freier Zutritt stattfindet und wo früher die faustgerechten
Bundesgenossen der Linken des Signals ihrer Führer harrten, um sich mit bei-
oder mißfälligen Aeußerungen am Verhandlungsgange zu betheiligen und damit
der Linken Gelegenheit zu einigen Phrasen von der Ueberzeugung des "souveränen
Volkes" zu geben. Diese bundesgenössische Abtheilung der Galerie befindet sich
jetzt gerade über den Häuptern ihrer Lieblinge; dadurch ist die telegraphische Ver¬
bindung mit diesen bedeutend erschwert. Nur an dem Tage, als Gagern seinen
ministeriellen Antrag brachte, waren Veranstaltungen zu neuer Einrichtung einer
Telegraphenlinie getroffen. Man hatte einige gute Freunde auf der mit Karten zu
betretenden Abtheilung postirt, und diese telegraphirten den empfangenen Befehl
nach jenseits. Allein durch die Verlangsamung der Beförderung des Signals ver¬
lor dieses selber an Kraft, kurz der ganze Mechanismus der schönen Klatsch-,
Poch-, Pfeif- und Strampelmaschine hatte mit der Sitzänderung in der reformirten
Kirche eine schwere Beschädigung erlitten. Auch dämpften die Strohdecken vor den
Abgeordnetenplätzen jene höchst parlamentarischen Fußäußerungen, womit früher
die Linke ihrer moralischen Entrüstung Lust zu machen liebte. Der Tribune und
dem Präsidentenstuhle gegenüber lief die Damengalerie; zu beiden Seiten des
Bureaus lugen die Diplomaten aus den in Logen verwandelten Kapellen.
Ich kann nicht sagen, daß ich dort jemals einem besonders interessanten Gesicht
begegnet bin, dagegen stets der schärfsten Aufmerksamkeit auf die Verhandlungen.
Der schärfsten Aufmerksamkeit! Freilich , ob einer Aufmerksamkeit, welche das
Werk deutscher Einigung hoch und unwiderstehlich genug erachtet, um sich wohl
oder übel demselben anzuschließen, oder einer Aufmerksamkeit, welche hohnlächelnd


""Njioten. l. ISiv. 19

tilgt, selbst manche der Abgeordneten tragen noch Waffen bei sich, wenn sie am
Abend ihre Wohnungen verlassen; auch der Mordanschlag auf Gagern im November
schien keine Polizeiphantasie gewesen zu sein. Nur Vater Jcchn's Bart wallt wie
ehedem; ich glaube überhaupt, es war nur eine Verleumdung, als seine Gegner
behaupteten, der Alte habe sich denselben in den Septembertagen aus Furcht ab¬
geschnitten.

Die Reichsversammlung nimmt sich in der reformirten Kirche lange nicht so
gewaltig aus, als im Hause Se. Pauls. Die Verkleidung der Kanzel und des
Altars in den Präsidentenstuhl nebst Zubehör zeigt sich auf den ersten Blick sehr
provisorisch. Germania ist verschwunden, der schwarze Reichsadler auf dem goldnen
Schild erinnert gefährlich an das Material einiger Theile der Rüstung Don QnixoteS,
die schwarzrothgoldnen Fahnen hängen ziemlich trübselig in den Raum herein. Auch
an den Abgeordneten selber ersieht man's, daß Winter geworden; ihre Reihen
sind gelichtet, jeder hat sich auf's Bequemste eingerichtet, die grünen, schwarzen
und philisterhaft gestickten Sammtkäppchen auf häufig noch vollkommen jugendlichen
Häuptern sind nicht geeignet, ihren Trägern einen frischmuntern Ausdruck zu ver¬
leihen. Oben auf den Galerien ist's ziemlich leer, besonders auf jener Abtheilung,
zu welcher vollkommen freier Zutritt stattfindet und wo früher die faustgerechten
Bundesgenossen der Linken des Signals ihrer Führer harrten, um sich mit bei-
oder mißfälligen Aeußerungen am Verhandlungsgange zu betheiligen und damit
der Linken Gelegenheit zu einigen Phrasen von der Ueberzeugung des „souveränen
Volkes" zu geben. Diese bundesgenössische Abtheilung der Galerie befindet sich
jetzt gerade über den Häuptern ihrer Lieblinge; dadurch ist die telegraphische Ver¬
bindung mit diesen bedeutend erschwert. Nur an dem Tage, als Gagern seinen
ministeriellen Antrag brachte, waren Veranstaltungen zu neuer Einrichtung einer
Telegraphenlinie getroffen. Man hatte einige gute Freunde auf der mit Karten zu
betretenden Abtheilung postirt, und diese telegraphirten den empfangenen Befehl
nach jenseits. Allein durch die Verlangsamung der Beförderung des Signals ver¬
lor dieses selber an Kraft, kurz der ganze Mechanismus der schönen Klatsch-,
Poch-, Pfeif- und Strampelmaschine hatte mit der Sitzänderung in der reformirten
Kirche eine schwere Beschädigung erlitten. Auch dämpften die Strohdecken vor den
Abgeordnetenplätzen jene höchst parlamentarischen Fußäußerungen, womit früher
die Linke ihrer moralischen Entrüstung Lust zu machen liebte. Der Tribune und
dem Präsidentenstuhle gegenüber lief die Damengalerie; zu beiden Seiten des
Bureaus lugen die Diplomaten aus den in Logen verwandelten Kapellen.
Ich kann nicht sagen, daß ich dort jemals einem besonders interessanten Gesicht
begegnet bin, dagegen stets der schärfsten Aufmerksamkeit auf die Verhandlungen.
Der schärfsten Aufmerksamkeit! Freilich , ob einer Aufmerksamkeit, welche das
Werk deutscher Einigung hoch und unwiderstehlich genug erachtet, um sich wohl
oder übel demselben anzuschließen, oder einer Aufmerksamkeit, welche hohnlächelnd


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/153>, abgerufen am 23.12.2024.