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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Heerd zu erwerben, entgegen zu kommen. Die Gelegenheit zu diesem Erwerb ist
der beste Antrieb zur Sparsamkeit für Dienstboten und Tagcarbciter. Der Mie¬
ther einer Wohnung empfindet seine Abhängigkeit von dem Besitzer derselben zu
sehr, als daß er nicht darnach streben sollte, durch ein eigenes Häuschen freier
und unabhängiger zu werden. Könnte ich in jedes jungen Mannes Brust, der
zum Dienen bestimmt ist, den lebhaften Wunsch und das Streben nach einem
bequemen, freundlichen, mit einem Garten umgebenen Hause pflanzen, so würde
ich mehr für seine moralische Fortbildung thun, als alle Prediger durch Hinwei¬
sung auf die Folgen einer leichtsinnig verlebten Jugend vermögen. Der Mensch
bedarf zur Beihilfe im Streben nach Sittlichkeit eines erreichbaren, nicht zu fer¬
nen Zieles. Eine kasernenartige Wohnung, wie sie den landwirthschaftlichen Ar¬
beitern auf großen Gütern oder den Gehilfen in einer Fabrik angeboten wird,
hat wenig Anlockendes für deu nach Familienglück strebenden Mann. Dieser sehnt
sich nach den mühevollen Geschäften des Tages nach Ruhe und Frieden, im Sommer
nach einem Sonntage, wo er im Schatten eines Baumes oder einer Laube, um-
geben von seinen spielenden Kindern, von den Mühen der Werktage ausruhet.
Dieser Genuß kauu ihm nur werde", wenn er über einen Raum, sei er auch uoch
so klein, gebiete", ihn bepflanzen und nach seinem Willen verschönern kaun. Ent¬
behrt er dieser äußerlichen Hilfe zum genußreichen Familienleben; ist er gezwun¬
gen stündlich zwischen seinen und seiner Nachbarn Kindern Frieden zu stiften, oder
wird er selbst wegen der Nähe eines andern Miethers um die geringste Kleinig¬
keit mit diesem oder dessen Hausgenossen in Zwist verwickelt, so ist nicht zu ver¬
wundern, wenn er in dem Wirthshaus diejenige Erholung sucht, die jedem Manne
Bedürfniß ist und die er in seiner beschränkten Wohnung nicht findet.

Auch der materielle Vortheil ist sehr groß, den ein Stück Gartenland einer
Familie gewährt, die ihren Haupterwerb von anderen Beschäftigungen hat. Die
Arbeitskosten, welche von dem rohen Ertrage des Bodens bei allen Gewächsen,
die zu ihrem Gedeihen einer sorgfältigen Arbeit bedürfen, einen sehr bedeutende"
Theil hinwegnehmen, kommen hier kaum in Betracht. Ja, es ist für die Haus¬
frau oft weniger Zeit raubend, das im eigenen Garten erbaute Gemüse ans dem¬
selben zu holen, als darnach auf den Markt zu laufen. Sie kann jede Stunde,
welche sie von den häuslichen Geschäften abmüssigt, zum Pflanzen, Jäten, Hacken
und Ernten ihrer Gewächse benutzen. Das Unkraut sogar, welches der Boden
hervorbringt, wird sie zur Viehfntternng verwenden, Abfälle ans den Wegen, schäd¬
liche Pflanzen, die auf Ackerrainen wachse", werden durch eine umsichtige, fleißige
Hausfrau gesammelt und dienen wenigstens zur Düngerbereitung.

So gern ich aber die großen Vortheile anerkenne, welche einer Arbeiterfamilie
dnrch die Benutzung eines Stück Landes zu", Gemüsebau zu Theil werde", so
sehr muß ich davor warnen, dieselbe hohe Bodenbcnntznng dann zu erwarten, wenn
auch die Brotfrüchte im Kleinbesitz erzeugt werden sollen. Der Spaten und


Heerd zu erwerben, entgegen zu kommen. Die Gelegenheit zu diesem Erwerb ist
der beste Antrieb zur Sparsamkeit für Dienstboten und Tagcarbciter. Der Mie¬
ther einer Wohnung empfindet seine Abhängigkeit von dem Besitzer derselben zu
sehr, als daß er nicht darnach streben sollte, durch ein eigenes Häuschen freier
und unabhängiger zu werden. Könnte ich in jedes jungen Mannes Brust, der
zum Dienen bestimmt ist, den lebhaften Wunsch und das Streben nach einem
bequemen, freundlichen, mit einem Garten umgebenen Hause pflanzen, so würde
ich mehr für seine moralische Fortbildung thun, als alle Prediger durch Hinwei¬
sung auf die Folgen einer leichtsinnig verlebten Jugend vermögen. Der Mensch
bedarf zur Beihilfe im Streben nach Sittlichkeit eines erreichbaren, nicht zu fer¬
nen Zieles. Eine kasernenartige Wohnung, wie sie den landwirthschaftlichen Ar¬
beitern auf großen Gütern oder den Gehilfen in einer Fabrik angeboten wird,
hat wenig Anlockendes für deu nach Familienglück strebenden Mann. Dieser sehnt
sich nach den mühevollen Geschäften des Tages nach Ruhe und Frieden, im Sommer
nach einem Sonntage, wo er im Schatten eines Baumes oder einer Laube, um-
geben von seinen spielenden Kindern, von den Mühen der Werktage ausruhet.
Dieser Genuß kauu ihm nur werde», wenn er über einen Raum, sei er auch uoch
so klein, gebiete», ihn bepflanzen und nach seinem Willen verschönern kaun. Ent¬
behrt er dieser äußerlichen Hilfe zum genußreichen Familienleben; ist er gezwun¬
gen stündlich zwischen seinen und seiner Nachbarn Kindern Frieden zu stiften, oder
wird er selbst wegen der Nähe eines andern Miethers um die geringste Kleinig¬
keit mit diesem oder dessen Hausgenossen in Zwist verwickelt, so ist nicht zu ver¬
wundern, wenn er in dem Wirthshaus diejenige Erholung sucht, die jedem Manne
Bedürfniß ist und die er in seiner beschränkten Wohnung nicht findet.

Auch der materielle Vortheil ist sehr groß, den ein Stück Gartenland einer
Familie gewährt, die ihren Haupterwerb von anderen Beschäftigungen hat. Die
Arbeitskosten, welche von dem rohen Ertrage des Bodens bei allen Gewächsen,
die zu ihrem Gedeihen einer sorgfältigen Arbeit bedürfen, einen sehr bedeutende»
Theil hinwegnehmen, kommen hier kaum in Betracht. Ja, es ist für die Haus¬
frau oft weniger Zeit raubend, das im eigenen Garten erbaute Gemüse ans dem¬
selben zu holen, als darnach auf den Markt zu laufen. Sie kann jede Stunde,
welche sie von den häuslichen Geschäften abmüssigt, zum Pflanzen, Jäten, Hacken
und Ernten ihrer Gewächse benutzen. Das Unkraut sogar, welches der Boden
hervorbringt, wird sie zur Viehfntternng verwenden, Abfälle ans den Wegen, schäd¬
liche Pflanzen, die auf Ackerrainen wachse», werden durch eine umsichtige, fleißige
Hausfrau gesammelt und dienen wenigstens zur Düngerbereitung.

So gern ich aber die großen Vortheile anerkenne, welche einer Arbeiterfamilie
dnrch die Benutzung eines Stück Landes zu», Gemüsebau zu Theil werde», so
sehr muß ich davor warnen, dieselbe hohe Bodenbcnntznng dann zu erwarten, wenn
auch die Brotfrüchte im Kleinbesitz erzeugt werden sollen. Der Spaten und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/150>, abgerufen am 23.07.2024.