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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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geknechuete Egoismus in übermüthiger Freiheit sein Haupt über das künstliche
Niveau der allgemeinen Gleichheit und Brüderlichkeit erhob, das nur so lange
von Bestand sein konnte, als die Guillotine da war, es zu bedienen. Conse-
quenter als der atheniensische Ostracismus rasirte der Vertreter der reinen De¬
mokratie die emporstrebenden Häupter, bis auch das seinige dem allgemeinen Gesetz
verfiel, und nun die eleganten Incroyables, die Atheisten der neuen Religion,
mit der Ketzerei ihres souveränen Egoismus den demokratischen Glanbensartikeln
Hohn sprachen, die der ehrliche la Nevcillvre in abgeblaßten Abdruck als Theo¬
philanthropie zum zweiten Mal verkündigte. Der Sonntag, der Monsieur und
die hohe Cravatte empörten sich aristokratisch gegen den Decadi, den Citoyen und
das bürgerliche Halstuch. Diese .1en"vL8<z um-"-" gehörte nur zum kleinsten Theil
der alten Aristokratie an; noch lastete das Emigrautengesetz auf ihr, und die Reac¬
tion hatte nur locale Bedeutung. Aber das revolutionäre Finanzsystcm hatte eine
neue Aristokratie hervorgebracht. Der Staat der Revolution hatte mit den Assig^
malen operirt, den Anweisungen ans die zu verkaufenden Güter der Emigrirten
und der Kirche. Die Entwerthung derselben, durch die leichtsinnige Wirthschaft
der Machthaber, die falsche Theorie bei Emauiruug derselben und die allgemeine
Creditlosigkeit hervorgebracht, hatte die Vermögensverhältnisse der Nation auf das
Wunderlichste umgestaltet. Jene Güter, deren Ankauf immer mit einer gewissen
Gefahr verbunden war, hatten um einen Spottpreis verwerthet werden müssen,
sie waren nun in die zweite, dritte Hand gegangen und repräsentirten, als der
innere Friede und der Credit wieder hergestellt waren, einen hundertfachen
Werth im Verhältniß zu ihrem ursprünglichen Preise. So hatte sich durch Schwin¬
delei, zufällige Combinationen und Glückswechsel eine Classe von Reichen gebildet,
die ihren Reichthum weder erarbeitet noch ererbt haben, und die ihn auf jene
brüske und leichtsinnige Weise geltend machten, wie es immer mit einem schwin¬
delnden Erwerb der Fall ist. Industrieritter und Spieler haben keine dauernde
Frucht von ihrem Gewinn.

In den Zeiten des Kaiserreichs, wo der bisher nur private Glanz und Luxus
einen gleichsam officiellen Charakter annahm, trat eine zweite, viel wichtigere Classe
von Besitzenden an die Seite dieser neuen revolutionären Aristokratie. Der Schwin¬
del wurde ins Große getrieben. Die Weltkriege Napoleons brachten der großen
Nation viel Ruhm und Ehre, aber noch mehr Bente. Man muß gestehn, daß
selten die Ausplünderung der besiegten Völker mit eiuer so gründlichen Methode
betrieben wurde, als der Kaiser und seine Marschälle es verstanden. Mußte doch
selbst die Kunst Italiens und der Niederlande dem Pantheon aller Nationen in
Paris ihren Tribut geben. Das erpreßte Geld war die Grundlage des neuen
Adels; der Glanz des Kaiserhofes, geheiligt durch die Weihe des Papstes, die
Verbindung mit der Kaisertochter, die große Perspective nach allen Seiten Euro¬
pas hin, gab die Folie. Die Vasallen des neuen Weltgebieters wurden nun Für-


geknechuete Egoismus in übermüthiger Freiheit sein Haupt über das künstliche
Niveau der allgemeinen Gleichheit und Brüderlichkeit erhob, das nur so lange
von Bestand sein konnte, als die Guillotine da war, es zu bedienen. Conse-
quenter als der atheniensische Ostracismus rasirte der Vertreter der reinen De¬
mokratie die emporstrebenden Häupter, bis auch das seinige dem allgemeinen Gesetz
verfiel, und nun die eleganten Incroyables, die Atheisten der neuen Religion,
mit der Ketzerei ihres souveränen Egoismus den demokratischen Glanbensartikeln
Hohn sprachen, die der ehrliche la Nevcillvre in abgeblaßten Abdruck als Theo¬
philanthropie zum zweiten Mal verkündigte. Der Sonntag, der Monsieur und
die hohe Cravatte empörten sich aristokratisch gegen den Decadi, den Citoyen und
das bürgerliche Halstuch. Diese .1en»vL8<z um-«-« gehörte nur zum kleinsten Theil
der alten Aristokratie an; noch lastete das Emigrautengesetz auf ihr, und die Reac¬
tion hatte nur locale Bedeutung. Aber das revolutionäre Finanzsystcm hatte eine
neue Aristokratie hervorgebracht. Der Staat der Revolution hatte mit den Assig^
malen operirt, den Anweisungen ans die zu verkaufenden Güter der Emigrirten
und der Kirche. Die Entwerthung derselben, durch die leichtsinnige Wirthschaft
der Machthaber, die falsche Theorie bei Emauiruug derselben und die allgemeine
Creditlosigkeit hervorgebracht, hatte die Vermögensverhältnisse der Nation auf das
Wunderlichste umgestaltet. Jene Güter, deren Ankauf immer mit einer gewissen
Gefahr verbunden war, hatten um einen Spottpreis verwerthet werden müssen,
sie waren nun in die zweite, dritte Hand gegangen und repräsentirten, als der
innere Friede und der Credit wieder hergestellt waren, einen hundertfachen
Werth im Verhältniß zu ihrem ursprünglichen Preise. So hatte sich durch Schwin¬
delei, zufällige Combinationen und Glückswechsel eine Classe von Reichen gebildet,
die ihren Reichthum weder erarbeitet noch ererbt haben, und die ihn auf jene
brüske und leichtsinnige Weise geltend machten, wie es immer mit einem schwin¬
delnden Erwerb der Fall ist. Industrieritter und Spieler haben keine dauernde
Frucht von ihrem Gewinn.

In den Zeiten des Kaiserreichs, wo der bisher nur private Glanz und Luxus
einen gleichsam officiellen Charakter annahm, trat eine zweite, viel wichtigere Classe
von Besitzenden an die Seite dieser neuen revolutionären Aristokratie. Der Schwin¬
del wurde ins Große getrieben. Die Weltkriege Napoleons brachten der großen
Nation viel Ruhm und Ehre, aber noch mehr Bente. Man muß gestehn, daß
selten die Ausplünderung der besiegten Völker mit eiuer so gründlichen Methode
betrieben wurde, als der Kaiser und seine Marschälle es verstanden. Mußte doch
selbst die Kunst Italiens und der Niederlande dem Pantheon aller Nationen in
Paris ihren Tribut geben. Das erpreßte Geld war die Grundlage des neuen
Adels; der Glanz des Kaiserhofes, geheiligt durch die Weihe des Papstes, die
Verbindung mit der Kaisertochter, die große Perspective nach allen Seiten Euro¬
pas hin, gab die Folie. Die Vasallen des neuen Weltgebieters wurden nun Für-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/15>, abgerufen am 23.07.2024.