Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Die erste Berührung mit der antiken Welt brachte dem Deutschen das Christen¬
thum, die lateinische Sprache als die heilige Sprache seines Glaubens und die Geist¬
lichen als einen gelehrten Stand; dem Drama aber die erste Form in einem religiösen
Spiel, dem Mysterium. An den höchsten Kirchenfesten, zunächst, im Osterfest, erhielt
der Cultus einen dramatischen Anstrich; die Passion, die Grablegung nud Auferstehung
des Erlösers wurden mimisch dargestellt, zuerst nur andeutungsweise mit wenigen
Bibelworten, dann ausführlicher mit eingestreuten Gesängen, der Text war latei¬
nisch, die Geistlichen stellten die Person des Erlösers, der heiligen Marien, En¬
gel und Aposteln vor, die Gemeine erbaute sich. Aber nicht lange behagte dem
Volk diese Unthätigkeit bei frommer gelehrter Form und der fremden Sprache.
Vom 12. bis 15. Jahrhundert verändern sich nach und nach die dramatischen
Andeutungen des Kirchenceremoniells in große Volksschauspiele, die Anzahl der
agirenden Personen vermehrt sich, die Spiele gewinnen an Umfang, die Gesänge
werden deutsch, die Textworte deutsch, der strenge Kirchentor verwandelt sich in
einen derben volksthümlichen, die Laien fangen selbst an mitzuspielen, Chor und
Schiff der Kirche werden zu enge, die Scene verlegt sich ins Freie, auf die Kirch¬
höfe, auf den Markt und burleske Volksmasken der Gaukler und fahrenden Leute,
welche zum Theil noch verdächtig im alten Heidenthum wurzeln, drängen sich höchst
unverschämt und zotenhast in die kirchlichen Stoffe, welche in sehr freier Behand¬
lung beibehalten werden. Es bildet sich eine eigne Bühne im Freien, eine eigene
Theaterpraxis, der Volksgeschmack triumphirt behaglich über die alte, strenge Kir¬
chenform, welche ihm anfänglich als mysteriös und fremdartig imponirt hat.--
Aber diese Verwandlung brachte auch Rohheit, eine ungeheuerliche Ausdehnung
und plumpe Gemeinheit in diese Spielgattung. Nebenbei kam gar in den Fast¬
nachtsspielen, kleinen burlesken und zotigen Gesprächen und Scenen eine Gewohn¬
heit des alten Heidenthums, dramatische Umzüge in den Ortschaften zu halten,
wieder zur Geltung. Der ursprünglich fremde Stoff war vom Volk verarbeitet
und abgenützt, es wurde Zeit für neue Metamorphosen.

Da siel in das Ende des 15. Jahrh, die zweite große Verbindung der Deut¬
schen mit der antiken Welt, die Bekanntschaft mit griechischer und römischer Literatur:
in das deutsche Staatsleben drang das römische Recht, dem Volke trat ein neuer
Gelehrtenstand ans den Laien selbst gegenüber, die Philologen: es kam die Refor¬
mation, der Protestantismus. Das deutsche Volk öffnete seine Seele begeistert dem
neuen blendenden Lichte. Das Theater erhielt wieder lateinische Schauspiele, antike
und nachgebildete Schulcomödien, das Volksschauspiel bekam durch Hans Sachs
und seine Nachfolger ein knappes Gewand, bei welchen antike Formen schon zu
Mustern gedient hatten, es blieb roh, hvlzschnittartig in seinem Inhalt, aber eS
wurde weltlich; das kräftige Treiben im Anfang der Reformation erhielt in den
Fastnachtsspielen noch eine Weile derbe frische Laune. Aber der Gelehrtenstand
dominirte, die protestantischen Geistlichen und Magister hatten sich des Schauspiels


Die erste Berührung mit der antiken Welt brachte dem Deutschen das Christen¬
thum, die lateinische Sprache als die heilige Sprache seines Glaubens und die Geist¬
lichen als einen gelehrten Stand; dem Drama aber die erste Form in einem religiösen
Spiel, dem Mysterium. An den höchsten Kirchenfesten, zunächst, im Osterfest, erhielt
der Cultus einen dramatischen Anstrich; die Passion, die Grablegung nud Auferstehung
des Erlösers wurden mimisch dargestellt, zuerst nur andeutungsweise mit wenigen
Bibelworten, dann ausführlicher mit eingestreuten Gesängen, der Text war latei¬
nisch, die Geistlichen stellten die Person des Erlösers, der heiligen Marien, En¬
gel und Aposteln vor, die Gemeine erbaute sich. Aber nicht lange behagte dem
Volk diese Unthätigkeit bei frommer gelehrter Form und der fremden Sprache.
Vom 12. bis 15. Jahrhundert verändern sich nach und nach die dramatischen
Andeutungen des Kirchenceremoniells in große Volksschauspiele, die Anzahl der
agirenden Personen vermehrt sich, die Spiele gewinnen an Umfang, die Gesänge
werden deutsch, die Textworte deutsch, der strenge Kirchentor verwandelt sich in
einen derben volksthümlichen, die Laien fangen selbst an mitzuspielen, Chor und
Schiff der Kirche werden zu enge, die Scene verlegt sich ins Freie, auf die Kirch¬
höfe, auf den Markt und burleske Volksmasken der Gaukler und fahrenden Leute,
welche zum Theil noch verdächtig im alten Heidenthum wurzeln, drängen sich höchst
unverschämt und zotenhast in die kirchlichen Stoffe, welche in sehr freier Behand¬
lung beibehalten werden. Es bildet sich eine eigne Bühne im Freien, eine eigene
Theaterpraxis, der Volksgeschmack triumphirt behaglich über die alte, strenge Kir¬
chenform, welche ihm anfänglich als mysteriös und fremdartig imponirt hat.—
Aber diese Verwandlung brachte auch Rohheit, eine ungeheuerliche Ausdehnung
und plumpe Gemeinheit in diese Spielgattung. Nebenbei kam gar in den Fast¬
nachtsspielen, kleinen burlesken und zotigen Gesprächen und Scenen eine Gewohn¬
heit des alten Heidenthums, dramatische Umzüge in den Ortschaften zu halten,
wieder zur Geltung. Der ursprünglich fremde Stoff war vom Volk verarbeitet
und abgenützt, es wurde Zeit für neue Metamorphosen.

Da siel in das Ende des 15. Jahrh, die zweite große Verbindung der Deut¬
schen mit der antiken Welt, die Bekanntschaft mit griechischer und römischer Literatur:
in das deutsche Staatsleben drang das römische Recht, dem Volke trat ein neuer
Gelehrtenstand ans den Laien selbst gegenüber, die Philologen: es kam die Refor¬
mation, der Protestantismus. Das deutsche Volk öffnete seine Seele begeistert dem
neuen blendenden Lichte. Das Theater erhielt wieder lateinische Schauspiele, antike
und nachgebildete Schulcomödien, das Volksschauspiel bekam durch Hans Sachs
und seine Nachfolger ein knappes Gewand, bei welchen antike Formen schon zu
Mustern gedient hatten, es blieb roh, hvlzschnittartig in seinem Inhalt, aber eS
wurde weltlich; das kräftige Treiben im Anfang der Reformation erhielt in den
Fastnachtsspielen noch eine Weile derbe frische Laune. Aber der Gelehrtenstand
dominirte, die protestantischen Geistlichen und Magister hatten sich des Schauspiels


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0138" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278126"/>
          <p xml:id="ID_435"> Die erste Berührung mit der antiken Welt brachte dem Deutschen das Christen¬<lb/>
thum, die lateinische Sprache als die heilige Sprache seines Glaubens und die Geist¬<lb/>
lichen als einen gelehrten Stand; dem Drama aber die erste Form in einem religiösen<lb/>
Spiel, dem Mysterium. An den höchsten Kirchenfesten, zunächst, im Osterfest, erhielt<lb/>
der Cultus einen dramatischen Anstrich; die Passion, die Grablegung nud Auferstehung<lb/>
des Erlösers wurden mimisch dargestellt, zuerst nur andeutungsweise mit wenigen<lb/>
Bibelworten, dann ausführlicher mit eingestreuten Gesängen, der Text war latei¬<lb/>
nisch, die Geistlichen stellten die Person des Erlösers, der heiligen Marien, En¬<lb/>
gel und Aposteln vor, die Gemeine erbaute sich. Aber nicht lange behagte dem<lb/>
Volk diese Unthätigkeit bei frommer gelehrter Form und der fremden Sprache.<lb/>
Vom 12. bis 15. Jahrhundert verändern sich nach und nach die dramatischen<lb/>
Andeutungen des Kirchenceremoniells in große Volksschauspiele, die Anzahl der<lb/>
agirenden Personen vermehrt sich, die Spiele gewinnen an Umfang, die Gesänge<lb/>
werden deutsch, die Textworte deutsch, der strenge Kirchentor verwandelt sich in<lb/>
einen derben volksthümlichen, die Laien fangen selbst an mitzuspielen, Chor und<lb/>
Schiff der Kirche werden zu enge, die Scene verlegt sich ins Freie, auf die Kirch¬<lb/>
höfe, auf den Markt und burleske Volksmasken der Gaukler und fahrenden Leute,<lb/>
welche zum Theil noch verdächtig im alten Heidenthum wurzeln, drängen sich höchst<lb/>
unverschämt und zotenhast in die kirchlichen Stoffe, welche in sehr freier Behand¬<lb/>
lung beibehalten werden. Es bildet sich eine eigne Bühne im Freien, eine eigene<lb/>
Theaterpraxis, der Volksgeschmack triumphirt behaglich über die alte, strenge Kir¬<lb/>
chenform, welche ihm anfänglich als mysteriös und fremdartig imponirt hat.&#x2014;<lb/>
Aber diese Verwandlung brachte auch Rohheit, eine ungeheuerliche Ausdehnung<lb/>
und plumpe Gemeinheit in diese Spielgattung. Nebenbei kam gar in den Fast¬<lb/>
nachtsspielen, kleinen burlesken und zotigen Gesprächen und Scenen eine Gewohn¬<lb/>
heit des alten Heidenthums, dramatische Umzüge in den Ortschaften zu halten,<lb/>
wieder zur Geltung. Der ursprünglich fremde Stoff war vom Volk verarbeitet<lb/>
und abgenützt, es wurde Zeit für neue Metamorphosen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_436" next="#ID_437"> Da siel in das Ende des 15. Jahrh, die zweite große Verbindung der Deut¬<lb/>
schen mit der antiken Welt, die Bekanntschaft mit griechischer und römischer Literatur:<lb/>
in das deutsche Staatsleben drang das römische Recht, dem Volke trat ein neuer<lb/>
Gelehrtenstand ans den Laien selbst gegenüber, die Philologen: es kam die Refor¬<lb/>
mation, der Protestantismus. Das deutsche Volk öffnete seine Seele begeistert dem<lb/>
neuen blendenden Lichte. Das Theater erhielt wieder lateinische Schauspiele, antike<lb/>
und nachgebildete Schulcomödien, das Volksschauspiel bekam durch Hans Sachs<lb/>
und seine Nachfolger ein knappes Gewand, bei welchen antike Formen schon zu<lb/>
Mustern gedient hatten, es blieb roh, hvlzschnittartig in seinem Inhalt, aber eS<lb/>
wurde weltlich; das kräftige Treiben im Anfang der Reformation erhielt in den<lb/>
Fastnachtsspielen noch eine Weile derbe frische Laune. Aber der Gelehrtenstand<lb/>
dominirte, die protestantischen Geistlichen und Magister hatten sich des Schauspiels</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0138] Die erste Berührung mit der antiken Welt brachte dem Deutschen das Christen¬ thum, die lateinische Sprache als die heilige Sprache seines Glaubens und die Geist¬ lichen als einen gelehrten Stand; dem Drama aber die erste Form in einem religiösen Spiel, dem Mysterium. An den höchsten Kirchenfesten, zunächst, im Osterfest, erhielt der Cultus einen dramatischen Anstrich; die Passion, die Grablegung nud Auferstehung des Erlösers wurden mimisch dargestellt, zuerst nur andeutungsweise mit wenigen Bibelworten, dann ausführlicher mit eingestreuten Gesängen, der Text war latei¬ nisch, die Geistlichen stellten die Person des Erlösers, der heiligen Marien, En¬ gel und Aposteln vor, die Gemeine erbaute sich. Aber nicht lange behagte dem Volk diese Unthätigkeit bei frommer gelehrter Form und der fremden Sprache. Vom 12. bis 15. Jahrhundert verändern sich nach und nach die dramatischen Andeutungen des Kirchenceremoniells in große Volksschauspiele, die Anzahl der agirenden Personen vermehrt sich, die Spiele gewinnen an Umfang, die Gesänge werden deutsch, die Textworte deutsch, der strenge Kirchentor verwandelt sich in einen derben volksthümlichen, die Laien fangen selbst an mitzuspielen, Chor und Schiff der Kirche werden zu enge, die Scene verlegt sich ins Freie, auf die Kirch¬ höfe, auf den Markt und burleske Volksmasken der Gaukler und fahrenden Leute, welche zum Theil noch verdächtig im alten Heidenthum wurzeln, drängen sich höchst unverschämt und zotenhast in die kirchlichen Stoffe, welche in sehr freier Behand¬ lung beibehalten werden. Es bildet sich eine eigne Bühne im Freien, eine eigene Theaterpraxis, der Volksgeschmack triumphirt behaglich über die alte, strenge Kir¬ chenform, welche ihm anfänglich als mysteriös und fremdartig imponirt hat.— Aber diese Verwandlung brachte auch Rohheit, eine ungeheuerliche Ausdehnung und plumpe Gemeinheit in diese Spielgattung. Nebenbei kam gar in den Fast¬ nachtsspielen, kleinen burlesken und zotigen Gesprächen und Scenen eine Gewohn¬ heit des alten Heidenthums, dramatische Umzüge in den Ortschaften zu halten, wieder zur Geltung. Der ursprünglich fremde Stoff war vom Volk verarbeitet und abgenützt, es wurde Zeit für neue Metamorphosen. Da siel in das Ende des 15. Jahrh, die zweite große Verbindung der Deut¬ schen mit der antiken Welt, die Bekanntschaft mit griechischer und römischer Literatur: in das deutsche Staatsleben drang das römische Recht, dem Volke trat ein neuer Gelehrtenstand ans den Laien selbst gegenüber, die Philologen: es kam die Refor¬ mation, der Protestantismus. Das deutsche Volk öffnete seine Seele begeistert dem neuen blendenden Lichte. Das Theater erhielt wieder lateinische Schauspiele, antike und nachgebildete Schulcomödien, das Volksschauspiel bekam durch Hans Sachs und seine Nachfolger ein knappes Gewand, bei welchen antike Formen schon zu Mustern gedient hatten, es blieb roh, hvlzschnittartig in seinem Inhalt, aber eS wurde weltlich; das kräftige Treiben im Anfang der Reformation erhielt in den Fastnachtsspielen noch eine Weile derbe frische Laune. Aber der Gelehrtenstand dominirte, die protestantischen Geistlichen und Magister hatten sich des Schauspiels

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/138
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/138>, abgerufen am 23.07.2024.