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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Das ist klug, aber weder loyal, noch staatsmännisch. Wäre das Vorhaben
gelungen, so hätte das allerdings Deutschland um ein Jahrhundert in der Ent¬
wickelung zurückgebracht; für Oestreich aber wäre es der unmittelbare Ruin ge¬
wesen. Es wäre dem deutschen Radicalismus ein bestimmter Mittelpunkt gegeben,
der Panslavismus hätte den entgegengesetzten gesucht, und die östreichischen Erd¬
taube wären der Schauplatz ähnlicher Scenen geworden, wie etwa jetzt das Banat.

Diese Gefahr ist für Oestreich durch die soeben erfolgte Abstimmung über das
Gagern'sche Programm glücklich abgewendet worden, obgleich wir es uns keinen
Augenblick verhehlen, daß mit dieser Abstimmung die Sache noch keineswegs er¬
ledigt ist. Wenigstens ist das unnatürliche Bündniß zwischen der rothen Repu¬
blik und dem schwarzgelben Absolutismus unterbrochen. Herr v. Würth wird sich in
Zukunft besinnen, ehe er mit Benutzung amtlicher Kenntnisse die radicale Masse
durch hämische Angriffe ans eine Macht ergötzt, die der seinigen befreundet ist.

Wird das Cabinet jetzt den Muth gewinnen, zu thun, wozu es nnter gün¬
stigern Umständen vor wenigen Wochen berufen war? -- Wir schaudern, indem
wir diese Frage durchdenken. Es ist der Winterfrost von Se. Petersburg, der
uns durchweht. -- Die ganze Haltung der gegenwärtigen Negierung zeigt, daß
sie im innigsten Einverständnis; mit einer Macht handelt, die, so wenig wir in
all die maßlosen Angriffe einstimmen, durch welche man sie zum Knecht Ruprecht
unserer politischen Kinder machen möchte, jedenfalls in ihrem Einfluß auf das
westliche Europa verhängnißvoll werden muß. Ein Bündniß zwischen Oestreich
und Nußland ist ein Bündniß gegen die Freiheit. Nur durch Aufopferung seiner
nächsten Interessen -- die Herrschaft über die Donan -- kann es Oestreich er¬
kaufen. Läßt es sich -- vielleicht um in Italien freies Spiel zu haben -- von
Rußland dazu gebrauchen, die einheitliche Gestaltung Deutschlands zu hintertrei¬
ben, schließt es zu diesem Zweck den unheimlichen Bund mit den deutschen Jako¬
binern, so tritt es feindlich gegen die Cultur Europas, feindlich gegen den Geist
der neue" Zeit ans und wird von ihm zermalmt werden.

Oestreich im engen Bunde mit Deutschland hat den schönsten Beruf. Wie
ein Doppeladler soll dieses Zwillingsgestirn verbrüderter Staaten nach Nordwesten
und nach Südosten zugleich schauen, als Träger der Cultur und der Freiheit.
Wie die Freistaaten von Nordamerika, in friedlicher Eroberung, soll Oestreich eine
slavische Provinz nach der audern seinem politischen System, und damit der Cultur
erwerben. Seine Flotten sollen auf dem schwarzen Meere, auf der Adria Gebie¬
ten. Es soll ein mächtiger Damm sein gegen die Uebergriffe ostasiatischer Bar¬
baren, es soll die deutsche Cultur in den bildungsfähigen Völkern der dänischen
Ebenen verbreiten. Der wunderliche Kampf zwischen dem slavischen und deutschen
Element innerhalb seiner Grenzen wird aufhören, sobald das tüchtige und streb¬
same Volk der Czechen die deutschen Farben nicht mehr als Symbol der Unter¬
drückung betrachtet. Die deutsche Bildung wird dennoch dominiren, aber nicht


Das ist klug, aber weder loyal, noch staatsmännisch. Wäre das Vorhaben
gelungen, so hätte das allerdings Deutschland um ein Jahrhundert in der Ent¬
wickelung zurückgebracht; für Oestreich aber wäre es der unmittelbare Ruin ge¬
wesen. Es wäre dem deutschen Radicalismus ein bestimmter Mittelpunkt gegeben,
der Panslavismus hätte den entgegengesetzten gesucht, und die östreichischen Erd¬
taube wären der Schauplatz ähnlicher Scenen geworden, wie etwa jetzt das Banat.

Diese Gefahr ist für Oestreich durch die soeben erfolgte Abstimmung über das
Gagern'sche Programm glücklich abgewendet worden, obgleich wir es uns keinen
Augenblick verhehlen, daß mit dieser Abstimmung die Sache noch keineswegs er¬
ledigt ist. Wenigstens ist das unnatürliche Bündniß zwischen der rothen Repu¬
blik und dem schwarzgelben Absolutismus unterbrochen. Herr v. Würth wird sich in
Zukunft besinnen, ehe er mit Benutzung amtlicher Kenntnisse die radicale Masse
durch hämische Angriffe ans eine Macht ergötzt, die der seinigen befreundet ist.

Wird das Cabinet jetzt den Muth gewinnen, zu thun, wozu es nnter gün¬
stigern Umständen vor wenigen Wochen berufen war? — Wir schaudern, indem
wir diese Frage durchdenken. Es ist der Winterfrost von Se. Petersburg, der
uns durchweht. — Die ganze Haltung der gegenwärtigen Negierung zeigt, daß
sie im innigsten Einverständnis; mit einer Macht handelt, die, so wenig wir in
all die maßlosen Angriffe einstimmen, durch welche man sie zum Knecht Ruprecht
unserer politischen Kinder machen möchte, jedenfalls in ihrem Einfluß auf das
westliche Europa verhängnißvoll werden muß. Ein Bündniß zwischen Oestreich
und Nußland ist ein Bündniß gegen die Freiheit. Nur durch Aufopferung seiner
nächsten Interessen — die Herrschaft über die Donan — kann es Oestreich er¬
kaufen. Läßt es sich — vielleicht um in Italien freies Spiel zu haben — von
Rußland dazu gebrauchen, die einheitliche Gestaltung Deutschlands zu hintertrei¬
ben, schließt es zu diesem Zweck den unheimlichen Bund mit den deutschen Jako¬
binern, so tritt es feindlich gegen die Cultur Europas, feindlich gegen den Geist
der neue» Zeit ans und wird von ihm zermalmt werden.

Oestreich im engen Bunde mit Deutschland hat den schönsten Beruf. Wie
ein Doppeladler soll dieses Zwillingsgestirn verbrüderter Staaten nach Nordwesten
und nach Südosten zugleich schauen, als Träger der Cultur und der Freiheit.
Wie die Freistaaten von Nordamerika, in friedlicher Eroberung, soll Oestreich eine
slavische Provinz nach der audern seinem politischen System, und damit der Cultur
erwerben. Seine Flotten sollen auf dem schwarzen Meere, auf der Adria Gebie¬
ten. Es soll ein mächtiger Damm sein gegen die Uebergriffe ostasiatischer Bar¬
baren, es soll die deutsche Cultur in den bildungsfähigen Völkern der dänischen
Ebenen verbreiten. Der wunderliche Kampf zwischen dem slavischen und deutschen
Element innerhalb seiner Grenzen wird aufhören, sobald das tüchtige und streb¬
same Volk der Czechen die deutschen Farben nicht mehr als Symbol der Unter¬
drückung betrachtet. Die deutsche Bildung wird dennoch dominiren, aber nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/135>, abgerufen am 03.07.2024.