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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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der Revolution,. Folgendes schrieb -- es ist jetzt die Zeit, sich die Stimme eines
nüchternen Beobachters wieder ins Gedächtniß zu rufen.

"Ich bin kein Franzosenfresser, aber hundertmal kam ich zur Ueberzeugung:
dieses Volk weiß nicht, was Freiheit ist! Es sind Virtuosen im Nevvlutionireu,
Stümper in der Politik. Glänzende Soldaten und durchtriebene Diplomaten, aber
miserable Politiker! Sie haben zu viel Esprit und zu wellig gefunden Verstand.
Großartig in der Leidenschaft, ohnmächtig in der hausbackenen Alltagsarbeit.
Derselbe Franzose, der am Tage der Schlacht oder im Straßcnkamvf ein Held
ist, wird ein Intriguant als Beamter; der schwärmerische Menschenbcfreier, der
Propagandist, der sein Leben auf der Hand trägt, diplomatisirt -i, I-> Louis Xi V.
mit fremden Völkern. Geben Sie dem Volk der Hamaker, geben Sie den Ser¬
ben eine Konstitution, wie die französische von 1830, mit allen Hinterthüren und
Klauseln zu Gunsten der Krone, und wir wollen sehen, ob es nicht im Staude
ist, ans parlamentarischem Wege seine Freiheiten zu sichern und zu entwickeln.
Frankreichs Volk ist darin impotent. Es ist Held oder Bedienter. Es gefällt
sich nur in der Rolle des Sklaven, der fortwährend "die Kette bricht." Und,
leider, nach jedem Aufruhr schafft es sich neue Ketten. In gewissen Gegenden
Italiens bricht täglich zu einer bestimmten Morgenstunde ein Gewitter los, wel¬
ches den Rest des Tages angenehm kühlt. So wäre Frankreich frei und glücklich,
wenn es täglich von 6 bis 9 Uhr sein Nevolntiönchen hätte; denn sobald die Sturm¬
glocke verstummt ist, legt sich der kriegerische Leu wieder heiter und sorglos hin, um
sich in seiner glorreichen Sonne zu wärmen und verläßt sich auf die Drohung, die
in seinen gewaltigen Tatzen liegt, verläßt sich auf den Nachhall der Sturmglocke,
auf die Traditionen seines Heldenmuthes, und meint, von nun an müsse das goldene
Zeitalter herrschen, der Fuchs seine Hinterlist, das Krokodil seine heuchlerischen
Thränen lassen und alle Schlangen müßten fortan aufrecht cinherwandcln. seinen
Führer macht er zum Herrn uuter der Bedingung, daß derselbe ein Inbegriff
von evangelischer Ehrlichkeit sei. Jahrelang dient er ihm wie ein zahmes Haus¬
thier und läßt mit sich Parade machen an allen Höfen Europa's. Zuweilen
brummt er und bei der geringsten Willkür beruft er sich auf 8!> und on. Alte
-Phrasen, sagt der Führer und lächelt zuversichtlich, bis sich unversehens der Löwe
erhebt und ihn zerreißt. --

Die ganze aufgeregte Masse des Pariser Volkes theilt sich in zwei Parteien, die noch
ziemlich ineinander schmelzen, aber nicht verfehlen können, sich mit der Zeit scharf zu
scheiden. Der National will eine gepanzerte Republik, die Reform eine fourieristische;
jener wird aus Europa ein militärisches Lager, eine revolutionäre Kaserne, die
Reform wird daraus ein Phalanstere, ein socialistisches Kloster machen wollen.
Jener kommt mit der brennenden Lunte, dieser mit dem Lilienstengel in der Hand.
Es ist allerliebst zu sehen, wie die Demokratie pacifique den Trommelwirbel des


der Revolution,. Folgendes schrieb — es ist jetzt die Zeit, sich die Stimme eines
nüchternen Beobachters wieder ins Gedächtniß zu rufen.

„Ich bin kein Franzosenfresser, aber hundertmal kam ich zur Ueberzeugung:
dieses Volk weiß nicht, was Freiheit ist! Es sind Virtuosen im Nevvlutionireu,
Stümper in der Politik. Glänzende Soldaten und durchtriebene Diplomaten, aber
miserable Politiker! Sie haben zu viel Esprit und zu wellig gefunden Verstand.
Großartig in der Leidenschaft, ohnmächtig in der hausbackenen Alltagsarbeit.
Derselbe Franzose, der am Tage der Schlacht oder im Straßcnkamvf ein Held
ist, wird ein Intriguant als Beamter; der schwärmerische Menschenbcfreier, der
Propagandist, der sein Leben auf der Hand trägt, diplomatisirt -i, I-> Louis Xi V.
mit fremden Völkern. Geben Sie dem Volk der Hamaker, geben Sie den Ser¬
ben eine Konstitution, wie die französische von 1830, mit allen Hinterthüren und
Klauseln zu Gunsten der Krone, und wir wollen sehen, ob es nicht im Staude
ist, ans parlamentarischem Wege seine Freiheiten zu sichern und zu entwickeln.
Frankreichs Volk ist darin impotent. Es ist Held oder Bedienter. Es gefällt
sich nur in der Rolle des Sklaven, der fortwährend „die Kette bricht." Und,
leider, nach jedem Aufruhr schafft es sich neue Ketten. In gewissen Gegenden
Italiens bricht täglich zu einer bestimmten Morgenstunde ein Gewitter los, wel¬
ches den Rest des Tages angenehm kühlt. So wäre Frankreich frei und glücklich,
wenn es täglich von 6 bis 9 Uhr sein Nevolntiönchen hätte; denn sobald die Sturm¬
glocke verstummt ist, legt sich der kriegerische Leu wieder heiter und sorglos hin, um
sich in seiner glorreichen Sonne zu wärmen und verläßt sich auf die Drohung, die
in seinen gewaltigen Tatzen liegt, verläßt sich auf den Nachhall der Sturmglocke,
auf die Traditionen seines Heldenmuthes, und meint, von nun an müsse das goldene
Zeitalter herrschen, der Fuchs seine Hinterlist, das Krokodil seine heuchlerischen
Thränen lassen und alle Schlangen müßten fortan aufrecht cinherwandcln. seinen
Führer macht er zum Herrn uuter der Bedingung, daß derselbe ein Inbegriff
von evangelischer Ehrlichkeit sei. Jahrelang dient er ihm wie ein zahmes Haus¬
thier und läßt mit sich Parade machen an allen Höfen Europa's. Zuweilen
brummt er und bei der geringsten Willkür beruft er sich auf 8!> und on. Alte
-Phrasen, sagt der Führer und lächelt zuversichtlich, bis sich unversehens der Löwe
erhebt und ihn zerreißt. —

Die ganze aufgeregte Masse des Pariser Volkes theilt sich in zwei Parteien, die noch
ziemlich ineinander schmelzen, aber nicht verfehlen können, sich mit der Zeit scharf zu
scheiden. Der National will eine gepanzerte Republik, die Reform eine fourieristische;
jener wird aus Europa ein militärisches Lager, eine revolutionäre Kaserne, die
Reform wird daraus ein Phalanstere, ein socialistisches Kloster machen wollen.
Jener kommt mit der brennenden Lunte, dieser mit dem Lilienstengel in der Hand.
Es ist allerliebst zu sehen, wie die Demokratie pacifique den Trommelwirbel des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/12>, abgerufen am 23.07.2024.