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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Verrichtung und Anordnung der Reichstagslocalitäten in Kreinsier betraut. So
weit von dem welthistorischen Beruf dieses braven "Vaters von neun erwachsenen
Kindern." Wer jedoch Herrn Jelen in der ganzen Natürlichkeit seines liebens¬
würdigen Charakters kennen lernen wollte, der mußte ihn im rothen Igel beim
Glase Bier aussuchen. Hier entschlug sich der gute Mann zuweilen seiner Würde
als "Ordner des Hanfes" und seiner Pflichten als Vater von erwachsenen
Kindern, setzte sich in Hemdärmeln, die Tabakdose und das Schnupftuch an der
Seite, wie ein Stammgast von echtem Caliber, an den Tisch, sprach mit Jeder¬
mann, dessen Physiognomie er einmal.gesehen, im vertraulichen derben "Ihr",
wie es einem ehrlichen Czechen, dessen Sprache das aristokratische "Sie" nicht
kennt, geziemt und erholte sich in vielfachen, unerschöpflichen Gläsern Bier von
seinen Mühen und Lasten als Neichstagsvrdner, von seinen schweren Vatersorgen
und den bissigen Angriffen des "Wiener Charivari," des "Radicalen," der "Kon¬
stitution" und vieler deutschen und czechischen Correspondenten des In - und
Auslandes. Heute hören wir ihn im patriotischen Eifer, mit väterlicher Auto-
rität einem jungen Landsmanne gegenüber sich über die Grundzüge der "geheimen
slavischen Politik" verbreiten, welche dem jungen Manne dnrch ihre antidemokra¬
tische Richtung nicht sehr behagen will. Herr Slatko wsky, eines der tüchtigsten
jungen Talente unter den Czechen, hat nämlich in den Pfiugsttagen zu Prag die
traurige Erfahrung gemacht, wie gefährlich es unter allen Umständen ist, die rohe
Gewalt zum Vertheidiger eines Staatspriucips zu machen und den edlen Kampf
der Nationalitäten mit dynastischen und aristokratischen Operationspläncn in Ver¬
bindung zu bringen. Herr Slatkowsky befindet sich eben als Flüchtling vor einem
fürstlich Windischgrätz'schen Steckbriefe, in welchem er als "Rädelsführer der weit¬
verzweigten Verschwörung" bezeichnet ist, unter dem gastfreundlichen Schutze des
"Sicherheitsausschusses" und der demokratischgesinnten Wiener Bevölkerung in der
östreichischen Haupt- und Residenzstadt. Kein Wunder, daß er trotz seines czechi-
schen Nationalitätsbewnßtseins die Kraft seines Volkes nicht gerne zum Spielball
verdeckter Hofvperationcn gegen die erwachten Freiheitsbestrebungen der Wiener
und der übrigen uichtslavischen Provinzen gebraucht sehen will. Ueberhaupt kann
man zum Ruhm der czechischen Jugend sagen, daß ihr der innere Kampf zwischen
dem fanatischen Nationalitätsbewußtsein und der principiellen Freiheit sehr schwer
wird, ja daß nnr die Macht der Autorität, welche sich bisher an die Namen
mehrer czcchischer Deputirten wie Palacky, Rieger, Brauner knüpfte, den Sieg
zu Gunsten der rein humanen, allen Nationen solidarischen Freiheit noch zurück¬
hält. Fällt einmal die kindische Furcht vor dem "Aufgehen in Deutschland" durch
eine factische Trennung Oestreichs vom deutschen Bundesstaate, so wird nicht blos
eine vollständige Versöhnung zwischen den östreichischen Nationalitäten eintreten,
sondern, wie wir fest überzeugt siud, die Freiheit in ihrer festen innern Gestaltung
wird dem Gesammtstaate nur durch die Slaven, unter dem Vortritt der czcchi-


Verrichtung und Anordnung der Reichstagslocalitäten in Kreinsier betraut. So
weit von dem welthistorischen Beruf dieses braven „Vaters von neun erwachsenen
Kindern." Wer jedoch Herrn Jelen in der ganzen Natürlichkeit seines liebens¬
würdigen Charakters kennen lernen wollte, der mußte ihn im rothen Igel beim
Glase Bier aussuchen. Hier entschlug sich der gute Mann zuweilen seiner Würde
als „Ordner des Hanfes" und seiner Pflichten als Vater von erwachsenen
Kindern, setzte sich in Hemdärmeln, die Tabakdose und das Schnupftuch an der
Seite, wie ein Stammgast von echtem Caliber, an den Tisch, sprach mit Jeder¬
mann, dessen Physiognomie er einmal.gesehen, im vertraulichen derben „Ihr",
wie es einem ehrlichen Czechen, dessen Sprache das aristokratische „Sie" nicht
kennt, geziemt und erholte sich in vielfachen, unerschöpflichen Gläsern Bier von
seinen Mühen und Lasten als Neichstagsvrdner, von seinen schweren Vatersorgen
und den bissigen Angriffen des „Wiener Charivari," des „Radicalen," der „Kon¬
stitution" und vieler deutschen und czechischen Correspondenten des In - und
Auslandes. Heute hören wir ihn im patriotischen Eifer, mit väterlicher Auto-
rität einem jungen Landsmanne gegenüber sich über die Grundzüge der „geheimen
slavischen Politik" verbreiten, welche dem jungen Manne dnrch ihre antidemokra¬
tische Richtung nicht sehr behagen will. Herr Slatko wsky, eines der tüchtigsten
jungen Talente unter den Czechen, hat nämlich in den Pfiugsttagen zu Prag die
traurige Erfahrung gemacht, wie gefährlich es unter allen Umständen ist, die rohe
Gewalt zum Vertheidiger eines Staatspriucips zu machen und den edlen Kampf
der Nationalitäten mit dynastischen und aristokratischen Operationspläncn in Ver¬
bindung zu bringen. Herr Slatkowsky befindet sich eben als Flüchtling vor einem
fürstlich Windischgrätz'schen Steckbriefe, in welchem er als „Rädelsführer der weit¬
verzweigten Verschwörung" bezeichnet ist, unter dem gastfreundlichen Schutze des
„Sicherheitsausschusses" und der demokratischgesinnten Wiener Bevölkerung in der
östreichischen Haupt- und Residenzstadt. Kein Wunder, daß er trotz seines czechi-
schen Nationalitätsbewnßtseins die Kraft seines Volkes nicht gerne zum Spielball
verdeckter Hofvperationcn gegen die erwachten Freiheitsbestrebungen der Wiener
und der übrigen uichtslavischen Provinzen gebraucht sehen will. Ueberhaupt kann
man zum Ruhm der czechischen Jugend sagen, daß ihr der innere Kampf zwischen
dem fanatischen Nationalitätsbewußtsein und der principiellen Freiheit sehr schwer
wird, ja daß nnr die Macht der Autorität, welche sich bisher an die Namen
mehrer czcchischer Deputirten wie Palacky, Rieger, Brauner knüpfte, den Sieg
zu Gunsten der rein humanen, allen Nationen solidarischen Freiheit noch zurück¬
hält. Fällt einmal die kindische Furcht vor dem „Aufgehen in Deutschland" durch
eine factische Trennung Oestreichs vom deutschen Bundesstaate, so wird nicht blos
eine vollständige Versöhnung zwischen den östreichischen Nationalitäten eintreten,
sondern, wie wir fest überzeugt siud, die Freiheit in ihrer festen innern Gestaltung
wird dem Gesammtstaate nur durch die Slaven, unter dem Vortritt der czcchi-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/112>, abgerufen am 23.07.2024.