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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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und den übrigen Mitgliedern der Kammer erworben. Neben ihm sehen wir eine
Reihe kerniger, männlicher Gestalten, in deren meist bleichen Gesichtern die Lei¬
densgeschichte der Nation, welcher sie angehören, sowie die Leidenschaftlichkeit und
Schlauheit, welche die meisten slavischen Abkömmlinge charakterisirt, ihren Aus¬
druck finden. Unter ihnen tritt besonders die Figur deS Abgeordneten Hubitzky
hervor, dessen von einer tiefen Schramme getheilte Stirn ein öffentliches Denk¬
mal seiner Kriegsgeschicke als russischer Soldat im Kaukasus trägt; neben ihm Herr
Borkowsky, ein schöner dunkler Christuskopf, der feine Satyriker der Linken,
in seiner Muttersprache ein glänzender Redner, dann der Abgeordnete Dylewsky,
ein schlauer berechnender Graukopf, in seinem Aeußern der Typus eines alten
polnischen Schlachttypen, mit der hohen faltigen Stirn, den kleinen stechenden
Augen, der gebogenen Nase und hervortretendem Kinn, wie ihn uns die alten
Bildnisse oft vor Augen führen; an einem nächsten Tische der riesenhafte Abge¬
ordnete Sierakowsky, ein alter Soldat, derb, cordial und rücksichtslos in allen
seinen persönlichen und politischen Beziehungen, durch seine familiäre Weise zur
Wiener Volköfigur geworden und gleich neben ihm sein wahres Gegentheil, Herr
Zemialko w s k y, ein zartgebantes Männchen, mit feinem schwarzen Barte und einem
feinen spitzen Lächeln um den Mund, der vorgeschobene Posten der äußersten Linken
wenn es einen radicalen Antrag gilt. In Gesellschaft dieser Herren wird die
Unterhaltung stets polnisch geführt und nur wenige sehr vertraute deutsche Freunde
können sich an den Mittheilungen derselben erfreuen. Es liegt immer etwas Ge¬
heimnißvolles in den Mienen und Bewegungen der Polen -- sie sind seit Lan¬
gem an Verschlossenheit und unenthüllbare Konspirationen gewöhnt worden und
können sich noch nicht an dem freien offenen Wort in größern Kreisen mit voller
Seele beteiligen. Selbst im rothen Igel, wo doch sonst eine ungebundene Con-
versation zwischen den verschiedensten Parteien stattgefunden, bildeten die Polen
eine streng für sich abgeschlossene Clique. Drängen wir uns daher nicht weiter
in ihre Gesellschaft und treten wir in ein anderes Zimmer, in's Lager der Czechen.
Hier herrscht der lauteste Ton und der kräftigste Appetit. Bekanntlich wollen die
Nativnalczechen von deutscher Kultur und ausländischer Sitte Nichts wissen, sie
wollen, wie weiland die deutschen Burschenschafter, naturwüchsig ans der Rohheit
ihres Nationalbewußtseins heraus sich entwickeln, und durch die Kraft ihrer Zis-
kabärte und den Glanz ihrer bunten Schnürröcke die Welt beherrschen.

Sie boten daher jede mögliche Unart auf, (was sie freilich als Ausfluß des
Nationalcharakters erklärten), um gebildete Leute uichtczechischen Ursprungs von
sich ferne zu halten. Diese guten czechischen Romantiker hatten sich bereits nach
den Prager Pfingsttagen als flüchtige Swornoster den Wienern etwas unangenehm
gemacht, indem sie ihrem Nationalhaß durch die brutalsten Gasftnjnngenstücke ge¬
genüber den gastfreundlichen Wienern Luft machten. Eine dunkle Mähre erzählt,
daß Mehrere dieser jungen Germanophagen zu jeizer Zeit "wegen unanständigen


und den übrigen Mitgliedern der Kammer erworben. Neben ihm sehen wir eine
Reihe kerniger, männlicher Gestalten, in deren meist bleichen Gesichtern die Lei¬
densgeschichte der Nation, welcher sie angehören, sowie die Leidenschaftlichkeit und
Schlauheit, welche die meisten slavischen Abkömmlinge charakterisirt, ihren Aus¬
druck finden. Unter ihnen tritt besonders die Figur deS Abgeordneten Hubitzky
hervor, dessen von einer tiefen Schramme getheilte Stirn ein öffentliches Denk¬
mal seiner Kriegsgeschicke als russischer Soldat im Kaukasus trägt; neben ihm Herr
Borkowsky, ein schöner dunkler Christuskopf, der feine Satyriker der Linken,
in seiner Muttersprache ein glänzender Redner, dann der Abgeordnete Dylewsky,
ein schlauer berechnender Graukopf, in seinem Aeußern der Typus eines alten
polnischen Schlachttypen, mit der hohen faltigen Stirn, den kleinen stechenden
Augen, der gebogenen Nase und hervortretendem Kinn, wie ihn uns die alten
Bildnisse oft vor Augen führen; an einem nächsten Tische der riesenhafte Abge¬
ordnete Sierakowsky, ein alter Soldat, derb, cordial und rücksichtslos in allen
seinen persönlichen und politischen Beziehungen, durch seine familiäre Weise zur
Wiener Volköfigur geworden und gleich neben ihm sein wahres Gegentheil, Herr
Zemialko w s k y, ein zartgebantes Männchen, mit feinem schwarzen Barte und einem
feinen spitzen Lächeln um den Mund, der vorgeschobene Posten der äußersten Linken
wenn es einen radicalen Antrag gilt. In Gesellschaft dieser Herren wird die
Unterhaltung stets polnisch geführt und nur wenige sehr vertraute deutsche Freunde
können sich an den Mittheilungen derselben erfreuen. Es liegt immer etwas Ge¬
heimnißvolles in den Mienen und Bewegungen der Polen — sie sind seit Lan¬
gem an Verschlossenheit und unenthüllbare Konspirationen gewöhnt worden und
können sich noch nicht an dem freien offenen Wort in größern Kreisen mit voller
Seele beteiligen. Selbst im rothen Igel, wo doch sonst eine ungebundene Con-
versation zwischen den verschiedensten Parteien stattgefunden, bildeten die Polen
eine streng für sich abgeschlossene Clique. Drängen wir uns daher nicht weiter
in ihre Gesellschaft und treten wir in ein anderes Zimmer, in's Lager der Czechen.
Hier herrscht der lauteste Ton und der kräftigste Appetit. Bekanntlich wollen die
Nativnalczechen von deutscher Kultur und ausländischer Sitte Nichts wissen, sie
wollen, wie weiland die deutschen Burschenschafter, naturwüchsig ans der Rohheit
ihres Nationalbewußtseins heraus sich entwickeln, und durch die Kraft ihrer Zis-
kabärte und den Glanz ihrer bunten Schnürröcke die Welt beherrschen.

Sie boten daher jede mögliche Unart auf, (was sie freilich als Ausfluß des
Nationalcharakters erklärten), um gebildete Leute uichtczechischen Ursprungs von
sich ferne zu halten. Diese guten czechischen Romantiker hatten sich bereits nach
den Prager Pfingsttagen als flüchtige Swornoster den Wienern etwas unangenehm
gemacht, indem sie ihrem Nationalhaß durch die brutalsten Gasftnjnngenstücke ge¬
genüber den gastfreundlichen Wienern Luft machten. Eine dunkle Mähre erzählt,
daß Mehrere dieser jungen Germanophagen zu jeizer Zeit „wegen unanständigen


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[0108] und den übrigen Mitgliedern der Kammer erworben. Neben ihm sehen wir eine Reihe kerniger, männlicher Gestalten, in deren meist bleichen Gesichtern die Lei¬ densgeschichte der Nation, welcher sie angehören, sowie die Leidenschaftlichkeit und Schlauheit, welche die meisten slavischen Abkömmlinge charakterisirt, ihren Aus¬ druck finden. Unter ihnen tritt besonders die Figur deS Abgeordneten Hubitzky hervor, dessen von einer tiefen Schramme getheilte Stirn ein öffentliches Denk¬ mal seiner Kriegsgeschicke als russischer Soldat im Kaukasus trägt; neben ihm Herr Borkowsky, ein schöner dunkler Christuskopf, der feine Satyriker der Linken, in seiner Muttersprache ein glänzender Redner, dann der Abgeordnete Dylewsky, ein schlauer berechnender Graukopf, in seinem Aeußern der Typus eines alten polnischen Schlachttypen, mit der hohen faltigen Stirn, den kleinen stechenden Augen, der gebogenen Nase und hervortretendem Kinn, wie ihn uns die alten Bildnisse oft vor Augen führen; an einem nächsten Tische der riesenhafte Abge¬ ordnete Sierakowsky, ein alter Soldat, derb, cordial und rücksichtslos in allen seinen persönlichen und politischen Beziehungen, durch seine familiäre Weise zur Wiener Volköfigur geworden und gleich neben ihm sein wahres Gegentheil, Herr Zemialko w s k y, ein zartgebantes Männchen, mit feinem schwarzen Barte und einem feinen spitzen Lächeln um den Mund, der vorgeschobene Posten der äußersten Linken wenn es einen radicalen Antrag gilt. In Gesellschaft dieser Herren wird die Unterhaltung stets polnisch geführt und nur wenige sehr vertraute deutsche Freunde können sich an den Mittheilungen derselben erfreuen. Es liegt immer etwas Ge¬ heimnißvolles in den Mienen und Bewegungen der Polen — sie sind seit Lan¬ gem an Verschlossenheit und unenthüllbare Konspirationen gewöhnt worden und können sich noch nicht an dem freien offenen Wort in größern Kreisen mit voller Seele beteiligen. Selbst im rothen Igel, wo doch sonst eine ungebundene Con- versation zwischen den verschiedensten Parteien stattgefunden, bildeten die Polen eine streng für sich abgeschlossene Clique. Drängen wir uns daher nicht weiter in ihre Gesellschaft und treten wir in ein anderes Zimmer, in's Lager der Czechen. Hier herrscht der lauteste Ton und der kräftigste Appetit. Bekanntlich wollen die Nativnalczechen von deutscher Kultur und ausländischer Sitte Nichts wissen, sie wollen, wie weiland die deutschen Burschenschafter, naturwüchsig ans der Rohheit ihres Nationalbewußtseins heraus sich entwickeln, und durch die Kraft ihrer Zis- kabärte und den Glanz ihrer bunten Schnürröcke die Welt beherrschen. Sie boten daher jede mögliche Unart auf, (was sie freilich als Ausfluß des Nationalcharakters erklärten), um gebildete Leute uichtczechischen Ursprungs von sich ferne zu halten. Diese guten czechischen Romantiker hatten sich bereits nach den Prager Pfingsttagen als flüchtige Swornoster den Wienern etwas unangenehm gemacht, indem sie ihrem Nationalhaß durch die brutalsten Gasftnjnngenstücke ge¬ genüber den gastfreundlichen Wienern Luft machten. Eine dunkle Mähre erzählt, daß Mehrere dieser jungen Germanophagen zu jeizer Zeit „wegen unanständigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/108>, abgerufen am 23.07.2024.