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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Wetterleuchten blitzen Furcht und Hoffnung ans uns ein. Dafür tändelt der Gott
der Träume auch mit dem hellen Sonnenlicht. Es dämmert heimlich in der Seele,
Sehnsucht und Erinnerung tauche" in dem Strudel unserer Gedanken auf und
nieder. Ein herzhafter Entschluß, die Augen zugedrückt, und wir liegen wieder
in den Armen der Nacht, der treuen Mutter, die uns Mährchen erzählt vom
Völkerfrühling, von Lorbeeren und von den schönen Augen der Göttin Freiheit,
deren schwarze Locken irgend einer lieben Erinnerung abgelauscht sind.

Umsonst! der geschäftige Lärm des Marktes läßt uns nicht schlafen. Dort
unier unsern Fenstern handeln sie um alte Kleider und zerren am Heller mit einer
Hitze, als ob er das Amulet wäre, in welchem das Symbol ihres Lebens sich
verschließe. Wie verzerrt sind die Gesichter von der realen Leidenschaft, wie schlecht
kleidet diese harten, steifen Züge die bunte Maske des Wohlwollens, die den
pfiffigen Mund, das spitze Kinn und die begehrlichen Augen frei läßt.

Wer bist du, wunderliche Gestalt im Bnrscheuröckcheu, die wallende Feder
auf dem aufgekrämpten Hut, den Schleppsäbel klirrend an der Seite? Dein schüch¬
tern fremder Blick stimmt nicht zu deiner kriegerischen Rüstung, dn hast zu lange
geschlafen nach dem Maskenball, und geräthst nun in der Carnevalstracht mitten
unter den Lärm der Messe. Die Knaben drängen sich 'neugierig um die seltsame
Figur, die ihnen Abends beim Kerzenschein wohl imponirt hätte; aber sieh ihnen
in die Augen, es ist nicht mehr das souveräne Volk, denen du von dem Helden¬
tod für's Vaterland und von dem Blut der Tyrannen vorfabeln durftest; nur auf
den Brettern läßt man die bunten Farben gelten. Kleide dich um und kämme
deinen Bart, es hat Alles seine Zeit. Du würdest schaudern, wenn dich Nachts
ein Gespenst in deiner einsamen Klause aufsuchte; tritt es dir aber bei Hellem
Tage aus der Straße entgegen, so würdest dn ihm in's Gesicht lachen -- du,
selber ein armes Gespenst einer bereits überwundenen Stimmung.

Niederländische Malerei! Grau in Grau, selbst die rothen Käppchen fehlen;
kaum zu einem bescheidenen Genrestück hat dieses Geschlecht die Ursprünglichkeit.
Der fliegende Idealismus hat sie depravirt; zu einer Geschichte konnten sie es
nicht bringen, und die Naivität ihres Heerdes, das Stillleben ihrer particulären
Wünsche, Freuden und Sorgen haben sie sich verkümmert.

Grau in Grau! Ein zweiter Ossian, dieses Nebelgeschlecht zu zeichnen!
Glaubt nicht dem heulenden Ton, der den Strom der Leidenschaft darstellen soll,
wie er aus den Tiefen der Brust unaufhaltsam hervorquillt; es ist der Wind,
den sie in hohle Röhren einfangen, um Laute nachzubilden, für die ihre Kehle,
für die ihr Herz zu enge ist.

Gran in Gran! Wie schaal, wie langweilig selbst die Gegend, in der sich
diese langathmigen Wünsche umhertreiben! Damals war auch nicht heiterer Him¬
mel, aber dramatische Wetterwolken warfen ihren schwarzen Schatten auf die scharf¬
gezeichnete Landschaft, eine leise, rothe Flamme zuckte am Saum der Wolke und


Wetterleuchten blitzen Furcht und Hoffnung ans uns ein. Dafür tändelt der Gott
der Träume auch mit dem hellen Sonnenlicht. Es dämmert heimlich in der Seele,
Sehnsucht und Erinnerung tauche» in dem Strudel unserer Gedanken auf und
nieder. Ein herzhafter Entschluß, die Augen zugedrückt, und wir liegen wieder
in den Armen der Nacht, der treuen Mutter, die uns Mährchen erzählt vom
Völkerfrühling, von Lorbeeren und von den schönen Augen der Göttin Freiheit,
deren schwarze Locken irgend einer lieben Erinnerung abgelauscht sind.

Umsonst! der geschäftige Lärm des Marktes läßt uns nicht schlafen. Dort
unier unsern Fenstern handeln sie um alte Kleider und zerren am Heller mit einer
Hitze, als ob er das Amulet wäre, in welchem das Symbol ihres Lebens sich
verschließe. Wie verzerrt sind die Gesichter von der realen Leidenschaft, wie schlecht
kleidet diese harten, steifen Züge die bunte Maske des Wohlwollens, die den
pfiffigen Mund, das spitze Kinn und die begehrlichen Augen frei läßt.

Wer bist du, wunderliche Gestalt im Bnrscheuröckcheu, die wallende Feder
auf dem aufgekrämpten Hut, den Schleppsäbel klirrend an der Seite? Dein schüch¬
tern fremder Blick stimmt nicht zu deiner kriegerischen Rüstung, dn hast zu lange
geschlafen nach dem Maskenball, und geräthst nun in der Carnevalstracht mitten
unter den Lärm der Messe. Die Knaben drängen sich 'neugierig um die seltsame
Figur, die ihnen Abends beim Kerzenschein wohl imponirt hätte; aber sieh ihnen
in die Augen, es ist nicht mehr das souveräne Volk, denen du von dem Helden¬
tod für's Vaterland und von dem Blut der Tyrannen vorfabeln durftest; nur auf
den Brettern läßt man die bunten Farben gelten. Kleide dich um und kämme
deinen Bart, es hat Alles seine Zeit. Du würdest schaudern, wenn dich Nachts
ein Gespenst in deiner einsamen Klause aufsuchte; tritt es dir aber bei Hellem
Tage aus der Straße entgegen, so würdest dn ihm in's Gesicht lachen — du,
selber ein armes Gespenst einer bereits überwundenen Stimmung.

Niederländische Malerei! Grau in Grau, selbst die rothen Käppchen fehlen;
kaum zu einem bescheidenen Genrestück hat dieses Geschlecht die Ursprünglichkeit.
Der fliegende Idealismus hat sie depravirt; zu einer Geschichte konnten sie es
nicht bringen, und die Naivität ihres Heerdes, das Stillleben ihrer particulären
Wünsche, Freuden und Sorgen haben sie sich verkümmert.

Grau in Grau! Ein zweiter Ossian, dieses Nebelgeschlecht zu zeichnen!
Glaubt nicht dem heulenden Ton, der den Strom der Leidenschaft darstellen soll,
wie er aus den Tiefen der Brust unaufhaltsam hervorquillt; es ist der Wind,
den sie in hohle Röhren einfangen, um Laute nachzubilden, für die ihre Kehle,
für die ihr Herz zu enge ist.

Gran in Gran! Wie schaal, wie langweilig selbst die Gegend, in der sich
diese langathmigen Wünsche umhertreiben! Damals war auch nicht heiterer Him¬
mel, aber dramatische Wetterwolken warfen ihren schwarzen Schatten auf die scharf¬
gezeichnete Landschaft, eine leise, rothe Flamme zuckte am Saum der Wolke und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/10>, abgerufen am 23.07.2024.