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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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creten Zustände konnte Niemand unfähiger sein, als der träumerische, selbstbe¬
schauliche Waldeck. Er blieb bei. seinen nackten Prinzipien, das Königthum stand
vor seiner Seele wie ein Wehrwolf da, dessen Gefräßigkeit man die Schranken
nicht enge genug stecken könne: Schwächung derselben auf jede Weise, ward
also sein Motto. Daß diese Maxime eine rein negative, daß sie eine Fortsetzung
der Revolution, kein Beginn der Organisation ist, daß sie zur Anarchie, nimmer¬
mehr aber zur Demokratie sührt, das Alles entging ihm. Noch mehr übersah er,
daß er auf diese Weise den Schreiern und Wühlern als bequemes Werkzeug in
die Hände geriet!), sein redlicher Enihusiasmns, sein Mangel an praktischem
Scharfblick führte ihn trotz seiner Bildung eben dahin, wohin Andere durch
Dummheit oder Böswilligkeit geleitet waren -- zur äußersten Linken.

Einmal entschlossen, hielt er nun fest an seiner Partei mit der ganzen Hart¬
näckigkeit und Blindheit eines Fanatikers. Mochte um ihn vorgehen was da wollte,
mochten die hiesigen Mineurs sich in Verbindung setzen mit denen zu Frankfurt, mochte
Jacoby aus pcrstde Weise der dortigen nichtsnutzigen Minorität von außen her
Succurs zuzuführen versuchen, er merkte Nichts -- dem Reinen blieb Alles rein.
Was die Ultras auch vorbrachten, es fand an ihm einen enthusiastischen und be¬
gabten Vertheidiger, denn es paßte stets in sein weitschichtiges Prinzip. Dicrschke
und Waldeck ergänzen sich gegenseitig: wie jener die komischen Seiten des Ritters
von la Mancha repräsentirt, so dieser die tragischen. Ich kann das wehmüthige
Gefühl nicht beschreiben, das mich beschlich, als ich ihm am Abend des 7. Sep¬
tembers auf den Ruf der Masse aus Mylius' Hotel heraustreten sah. Er brachte
dem souveränen Volke ein Hoch! Vor mir die edle Gestalt des begeisterten
Redners -- um mich das lumpigste Gesinde!, das Gott in seinem Zorne ge¬
schaffen! --

Und dann ist der Enthusiasmus so leicht der Eitelkeit zugänglich. Sein
undeutliches Organ, sein Mangel an Ueberblick brachten ihn um die erste Vice-
präsidentschaft; die Stellung zu seiner Partei, das Auftreten in der Verfassungs-
frage und beim Stein'schen Antrage haben ihn wieder gehoben und zum Manne
des Volkes gemacht. Der Bauernkönig scheint daran ein naives Wohlgefallen zu
haben. Fast aus allen Plataeer, die zu Club-, Volks- oder andern Versamm¬
lungen einladen, liest man seit einiger Zeit: "Auch der Deputirte Waldeck hat
seine Anwesenheit versprochen." Es ist ein mißlich Ding um solche politische Gast¬
rollen -- selbst ein Jung hat darin mehr Tact bewiesen.

Fern sei es aber von uns, damit seine Redlichkeit angreifen zu wollen. Wal¬
deck ist persönlich rein -- reiner selbst als Männer des linken Centrums, als ein
Rodbertus. So zeigte er sich bei seiner Wahl, so bei der letzten Ministerkrisis.
Ueberall erscholl seit dem 7. September sein Name -- überall ward auf ihn hin¬
gedeutet als die Seele des neuen Cabinets: dennoch blieb er jeder Intrigue fern.
Während Rodbertus die innige Allianz mit den Gutsbesitzern in Mielentz' Hotel


creten Zustände konnte Niemand unfähiger sein, als der träumerische, selbstbe¬
schauliche Waldeck. Er blieb bei. seinen nackten Prinzipien, das Königthum stand
vor seiner Seele wie ein Wehrwolf da, dessen Gefräßigkeit man die Schranken
nicht enge genug stecken könne: Schwächung derselben auf jede Weise, ward
also sein Motto. Daß diese Maxime eine rein negative, daß sie eine Fortsetzung
der Revolution, kein Beginn der Organisation ist, daß sie zur Anarchie, nimmer¬
mehr aber zur Demokratie sührt, das Alles entging ihm. Noch mehr übersah er,
daß er auf diese Weise den Schreiern und Wühlern als bequemes Werkzeug in
die Hände geriet!), sein redlicher Enihusiasmns, sein Mangel an praktischem
Scharfblick führte ihn trotz seiner Bildung eben dahin, wohin Andere durch
Dummheit oder Böswilligkeit geleitet waren — zur äußersten Linken.

Einmal entschlossen, hielt er nun fest an seiner Partei mit der ganzen Hart¬
näckigkeit und Blindheit eines Fanatikers. Mochte um ihn vorgehen was da wollte,
mochten die hiesigen Mineurs sich in Verbindung setzen mit denen zu Frankfurt, mochte
Jacoby aus pcrstde Weise der dortigen nichtsnutzigen Minorität von außen her
Succurs zuzuführen versuchen, er merkte Nichts — dem Reinen blieb Alles rein.
Was die Ultras auch vorbrachten, es fand an ihm einen enthusiastischen und be¬
gabten Vertheidiger, denn es paßte stets in sein weitschichtiges Prinzip. Dicrschke
und Waldeck ergänzen sich gegenseitig: wie jener die komischen Seiten des Ritters
von la Mancha repräsentirt, so dieser die tragischen. Ich kann das wehmüthige
Gefühl nicht beschreiben, das mich beschlich, als ich ihm am Abend des 7. Sep¬
tembers auf den Ruf der Masse aus Mylius' Hotel heraustreten sah. Er brachte
dem souveränen Volke ein Hoch! Vor mir die edle Gestalt des begeisterten
Redners — um mich das lumpigste Gesinde!, das Gott in seinem Zorne ge¬
schaffen! —

Und dann ist der Enthusiasmus so leicht der Eitelkeit zugänglich. Sein
undeutliches Organ, sein Mangel an Ueberblick brachten ihn um die erste Vice-
präsidentschaft; die Stellung zu seiner Partei, das Auftreten in der Verfassungs-
frage und beim Stein'schen Antrage haben ihn wieder gehoben und zum Manne
des Volkes gemacht. Der Bauernkönig scheint daran ein naives Wohlgefallen zu
haben. Fast aus allen Plataeer, die zu Club-, Volks- oder andern Versamm¬
lungen einladen, liest man seit einiger Zeit: „Auch der Deputirte Waldeck hat
seine Anwesenheit versprochen." Es ist ein mißlich Ding um solche politische Gast¬
rollen — selbst ein Jung hat darin mehr Tact bewiesen.

Fern sei es aber von uns, damit seine Redlichkeit angreifen zu wollen. Wal¬
deck ist persönlich rein — reiner selbst als Männer des linken Centrums, als ein
Rodbertus. So zeigte er sich bei seiner Wahl, so bei der letzten Ministerkrisis.
Ueberall erscholl seit dem 7. September sein Name — überall ward auf ihn hin¬
gedeutet als die Seele des neuen Cabinets: dennoch blieb er jeder Intrigue fern.
Während Rodbertus die innige Allianz mit den Gutsbesitzern in Mielentz' Hotel


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[0528] creten Zustände konnte Niemand unfähiger sein, als der träumerische, selbstbe¬ schauliche Waldeck. Er blieb bei. seinen nackten Prinzipien, das Königthum stand vor seiner Seele wie ein Wehrwolf da, dessen Gefräßigkeit man die Schranken nicht enge genug stecken könne: Schwächung derselben auf jede Weise, ward also sein Motto. Daß diese Maxime eine rein negative, daß sie eine Fortsetzung der Revolution, kein Beginn der Organisation ist, daß sie zur Anarchie, nimmer¬ mehr aber zur Demokratie sührt, das Alles entging ihm. Noch mehr übersah er, daß er auf diese Weise den Schreiern und Wühlern als bequemes Werkzeug in die Hände geriet!), sein redlicher Enihusiasmns, sein Mangel an praktischem Scharfblick führte ihn trotz seiner Bildung eben dahin, wohin Andere durch Dummheit oder Böswilligkeit geleitet waren — zur äußersten Linken. Einmal entschlossen, hielt er nun fest an seiner Partei mit der ganzen Hart¬ näckigkeit und Blindheit eines Fanatikers. Mochte um ihn vorgehen was da wollte, mochten die hiesigen Mineurs sich in Verbindung setzen mit denen zu Frankfurt, mochte Jacoby aus pcrstde Weise der dortigen nichtsnutzigen Minorität von außen her Succurs zuzuführen versuchen, er merkte Nichts — dem Reinen blieb Alles rein. Was die Ultras auch vorbrachten, es fand an ihm einen enthusiastischen und be¬ gabten Vertheidiger, denn es paßte stets in sein weitschichtiges Prinzip. Dicrschke und Waldeck ergänzen sich gegenseitig: wie jener die komischen Seiten des Ritters von la Mancha repräsentirt, so dieser die tragischen. Ich kann das wehmüthige Gefühl nicht beschreiben, das mich beschlich, als ich ihm am Abend des 7. Sep¬ tembers auf den Ruf der Masse aus Mylius' Hotel heraustreten sah. Er brachte dem souveränen Volke ein Hoch! Vor mir die edle Gestalt des begeisterten Redners — um mich das lumpigste Gesinde!, das Gott in seinem Zorne ge¬ schaffen! — Und dann ist der Enthusiasmus so leicht der Eitelkeit zugänglich. Sein undeutliches Organ, sein Mangel an Ueberblick brachten ihn um die erste Vice- präsidentschaft; die Stellung zu seiner Partei, das Auftreten in der Verfassungs- frage und beim Stein'schen Antrage haben ihn wieder gehoben und zum Manne des Volkes gemacht. Der Bauernkönig scheint daran ein naives Wohlgefallen zu haben. Fast aus allen Plataeer, die zu Club-, Volks- oder andern Versamm¬ lungen einladen, liest man seit einiger Zeit: „Auch der Deputirte Waldeck hat seine Anwesenheit versprochen." Es ist ein mißlich Ding um solche politische Gast¬ rollen — selbst ein Jung hat darin mehr Tact bewiesen. Fern sei es aber von uns, damit seine Redlichkeit angreifen zu wollen. Wal¬ deck ist persönlich rein — reiner selbst als Männer des linken Centrums, als ein Rodbertus. So zeigte er sich bei seiner Wahl, so bei der letzten Ministerkrisis. Ueberall erscholl seit dem 7. September sein Name — überall ward auf ihn hin¬ gedeutet als die Seele des neuen Cabinets: dennoch blieb er jeder Intrigue fern. Während Rodbertus die innige Allianz mit den Gutsbesitzern in Mielentz' Hotel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/528>, abgerufen am 22.07.2024.