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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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französischer Sprache. Der leichte Scherz, die artige Offenheit der Gäste und die
liebenswürdige Bonhomie der Wirthe entzückten mich. Hier und da flog die Un¬
terhaltung auf Berlin und die Stimmungen des Landes, doch der Wirth und
noch mehr die Hausfrau wußten taktvoll dem ausbrechenden Eifer der jüngeren
Männer Zügel anzulegen. Ich ging in mein Schlafgemach mit der angenehmen
Ueberzeugung in guter Gesellschaft gewesen zu sein, und wickelte mich, da ich einen
Gewitterregen an die Fensterscheiben schlagen hörte, triumphirend in die seidene
Decke meines Lagers. Doch bald wachte ich auf, mit dein traurigen Gefühl, daß
mir etwas Eiskaltes in regelmäßigen Taktpausen auf die Nase falle und an mei¬
nem Bart hinunterlaufe. Es war der Regen von draußen, welcher die Unver¬
schämtheit hatte, sich durch die Decke deu Eingang in mein Bett zu erzwinge".
Als umsichtiger Geschäftsmann rückte ich die Bettstelle auf einen friedlicheren Platz
und schlief wieder ein, ungestört durch ein gewisses heimliches Leben, welches sich
in aller Stille innerhalb meines Bettes bemerkbar machte. Als ich am andern Morgen
meinem Gastfreund den Wunsch aussprach, Hof und Feldmark zu betrachten, führte
er mich bereitwillig in den Pferdestall. Offenbar waren die Pferde seine Freude
und sein Stolz, kräftige gutgenährte Thiere, auch ihr Stall war verständig gebant.
Sonst freilich war an dem Hofe vieles auszusetzen, die Gebäude waren in kläg¬
lichem Zustande, das Ackergerät!) sehr unvollständig und in höchst patriarchalischen
Formen und es kostete mich gefährliche Terrainstudieu, bevor ich ermittelte, aus
welcher Stelle des Hofraums die Düngerstätte, dieser ehrwürdige Sitz der Flnr-
gottheiten und Enten, sich vertiefte, den" der gesammte Hos war mit Kehricht
und Dünger gefüllt. Ich ging sogleich auf deu Kuhstall los, aus englischen und
deutschen Wirthschaften hatte ich gelernt, wie mau in dem mittlern Europa aus
dem Stande des Rindviehs Schlüsse ans deu Zustand der Wirthschaft zu machen
berechtiget sei. Mein Wirth aber schien sich aus dieser Besichtigung nicht viel zu
machen, er übergab mich einem Ungethüm von Wirthschaften" oder Hausmagd,
und schritt zu seinen Pferden zurück, wie die Dogge, welche sich stolz von dem
Nest einer jungen Katzenfamilie abwendet. Das Rindvieh war auch in der That
von einer kleinen verkümmerten Race, die offenbar in Mißverhältniß zu dem üp¬
pigen Graswuchs stand, den ich bei meiner Ankunft gesehen hatte, und da eS
sehr schlecht gefüttert und nie gestriegelt wurde, so war es für jeden Liebhaber ein
jammervoller Anblick, für den Gutsherrn aber offenbar ein reiner Luxus, deu"
diese Geschöpfe waren völlig außer Staude, Milch und Dünger zu fabriciren.
Ich ging allein auf die Felder; auch hier fand ich einen mächtigen unverwüstli¬
chen Boden, aber eine nichtswürdige Bestellung der Aecker. Nicht nur die Som¬
merung, auch die Wintersaat, war auf eine Furche gesäet, von Wasserrinnen kaum
eine Spur, eine Eintheilung der Felder schien gar nicht vorhanden und das
Ganze sah aus, wie die wilde Wirthschaft, welche der Hinterwäldler auf neuem
Lande treibt. Der Beamte des Gutes, hier Oekonom genannt, sah selbst ans


französischer Sprache. Der leichte Scherz, die artige Offenheit der Gäste und die
liebenswürdige Bonhomie der Wirthe entzückten mich. Hier und da flog die Un¬
terhaltung auf Berlin und die Stimmungen des Landes, doch der Wirth und
noch mehr die Hausfrau wußten taktvoll dem ausbrechenden Eifer der jüngeren
Männer Zügel anzulegen. Ich ging in mein Schlafgemach mit der angenehmen
Ueberzeugung in guter Gesellschaft gewesen zu sein, und wickelte mich, da ich einen
Gewitterregen an die Fensterscheiben schlagen hörte, triumphirend in die seidene
Decke meines Lagers. Doch bald wachte ich auf, mit dein traurigen Gefühl, daß
mir etwas Eiskaltes in regelmäßigen Taktpausen auf die Nase falle und an mei¬
nem Bart hinunterlaufe. Es war der Regen von draußen, welcher die Unver¬
schämtheit hatte, sich durch die Decke deu Eingang in mein Bett zu erzwinge».
Als umsichtiger Geschäftsmann rückte ich die Bettstelle auf einen friedlicheren Platz
und schlief wieder ein, ungestört durch ein gewisses heimliches Leben, welches sich
in aller Stille innerhalb meines Bettes bemerkbar machte. Als ich am andern Morgen
meinem Gastfreund den Wunsch aussprach, Hof und Feldmark zu betrachten, führte
er mich bereitwillig in den Pferdestall. Offenbar waren die Pferde seine Freude
und sein Stolz, kräftige gutgenährte Thiere, auch ihr Stall war verständig gebant.
Sonst freilich war an dem Hofe vieles auszusetzen, die Gebäude waren in kläg¬
lichem Zustande, das Ackergerät!) sehr unvollständig und in höchst patriarchalischen
Formen und es kostete mich gefährliche Terrainstudieu, bevor ich ermittelte, aus
welcher Stelle des Hofraums die Düngerstätte, dieser ehrwürdige Sitz der Flnr-
gottheiten und Enten, sich vertiefte, den» der gesammte Hos war mit Kehricht
und Dünger gefüllt. Ich ging sogleich auf deu Kuhstall los, aus englischen und
deutschen Wirthschaften hatte ich gelernt, wie mau in dem mittlern Europa aus
dem Stande des Rindviehs Schlüsse ans deu Zustand der Wirthschaft zu machen
berechtiget sei. Mein Wirth aber schien sich aus dieser Besichtigung nicht viel zu
machen, er übergab mich einem Ungethüm von Wirthschaften» oder Hausmagd,
und schritt zu seinen Pferden zurück, wie die Dogge, welche sich stolz von dem
Nest einer jungen Katzenfamilie abwendet. Das Rindvieh war auch in der That
von einer kleinen verkümmerten Race, die offenbar in Mißverhältniß zu dem üp¬
pigen Graswuchs stand, den ich bei meiner Ankunft gesehen hatte, und da eS
sehr schlecht gefüttert und nie gestriegelt wurde, so war es für jeden Liebhaber ein
jammervoller Anblick, für den Gutsherrn aber offenbar ein reiner Luxus, deu»
diese Geschöpfe waren völlig außer Staude, Milch und Dünger zu fabriciren.
Ich ging allein auf die Felder; auch hier fand ich einen mächtigen unverwüstli¬
chen Boden, aber eine nichtswürdige Bestellung der Aecker. Nicht nur die Som¬
merung, auch die Wintersaat, war auf eine Furche gesäet, von Wasserrinnen kaum
eine Spur, eine Eintheilung der Felder schien gar nicht vorhanden und das
Ganze sah aus, wie die wilde Wirthschaft, welche der Hinterwäldler auf neuem
Lande treibt. Der Beamte des Gutes, hier Oekonom genannt, sah selbst ans


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/44>, abgerufen am 22.07.2024.