Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.steh und Rechtsgefühls so sehr genau den Charakter, alle Nuancen der Persön¬ steh und Rechtsgefühls so sehr genau den Charakter, alle Nuancen der Persön¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0192" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/277622"/> <p xml:id="ID_599" prev="#ID_598" next="#ID_600"> steh und Rechtsgefühls so sehr genau den Charakter, alle Nuancen der Persön¬<lb/> lichkeit des Volkes selbst, seine Tugenden und Schwachen in sich darstellt. Und<lb/> wenn man die Furcht hegen muß, daß die Constituante auch darin die Eigen¬<lb/> thümlichkeit des Volkes abspiegeln wird, daß sie, selbst ein Schmerzenskind aus<lb/> der Zeit idealer Sehnsucht und speculativer Träume, auch wieder nur ein Ideales,<lb/> eine Art Gedicht schaffen wird, so soll man auch denken, daß sie in jedem Fall<lb/> fördernd und segensreich ans neue praktische Bildungen, welche aus diesen Ver¬<lb/> suchen hervorgehen, wirken wird. Sie mögen diesen Ausgang aus jedem Blatt<lb/> in der Geschichte dieser Versammlung lesen. Prüfen Sie zunächst den idealen<lb/> Drang der Nation, welcher sie in's Leben rief: es war die Unzufriedenheit mit<lb/> dem System der alten Monarchien, welche sich in einzelnen Staaten durch offenen<lb/> Kampf gegen das Hausregimeut derselben Luft gemacht hatte, es war ferner bei<lb/> den kleinen Stämmen die bittere Empfindung ihrer staatlichen Ohnmacht und<lb/> Kraftlosigkeit, es war, und dies ist die reellste Grundlage der Versammlung, das<lb/> Bedürfniß nach freiem Verkehr, in Handel, Gewerbe und allen übrigen Aeußerungen<lb/> des Volkslebens, welche Staatsgesetze zum Gedeihen bedürfen, es war Schwäche, ja<lb/> Verzweiflung der alten Regierungen, welche den betäubenden Schwall der Revolution<lb/> durch diese Versammlung wenigstens in ein gebahntes Bett zu bringen hofften, es war<lb/> zuletzt das schöne Band der Sprache, der Wissenschaft und der historischen Erin-<lb/> nerungen, welches die einzelnen Stämme zusammenzog. Durch diese Bedingungen<lb/> ist das Gedeihen der Constituante keinesweges gesichert. Ihre Autorität mußte<lb/> unbestreitbar sein, so lange die einzelnen Völker sich schwach, entmuthigt, in Ge¬<lb/> fahr fühlten, sie bleibt in vollem Ansehen, so lauge es sich in ihren Verhand¬<lb/> lungen um allgemeine Wünsche und Begriffe handelt: gesichert in ihrem Wirken<lb/> wäre sie erst dann, wenn es ihr gelänge, die realen Interessen des Handels,<lb/> der Industrie, des inneren Verkehrs, das heißt den gesunden Egoismus der ein¬<lb/> zelnen Völker zu fördern. Denn ihre Majestät beruht auf nichts Anderem als<lb/> auf der Achtung und Zuneigung, welche ihre Beschlüsse den einzelnen Völkern<lb/> einflößen. Von dem Augenblicke, wo die Versammlung der Paulskirche es ver¬<lb/> suchte Gesetze zu geben, welche den Egoismus einzelner Völker verletzen, mußte<lb/> ihre Autorität und ihre Wirksamkeit in Gefahr kommen. Und die Constituante<lb/> hat Vieles gethan diese Uebelstände zu vermehren. Hervorgegangen aus einer<lb/> Verbittdung der Revolution mit dem Recht, hat sie vergessen, daß ein Kind der<lb/> Revolution die Energie und schnelle Thatkraft seiner Mutter braucht, um zu ge¬<lb/> deihen. Sie hat kostbare Zeit in Formstreitigkeiten, Proclamationen, einem un¬<lb/> behilflichen Streben selbst zu regieren, sich in einzelne Händel zu mischen verloren.<lb/> Es war dies nicht Kühnheit, sondern Schwäche. Unterdeß entwickelt sich unab¬<lb/> hängig von ihr ein neues Volksleben in den einzelnen Staaten, dort tritt an die<lb/> Stelle der Unordnung und Verwirrung, freilich zögernd und allmälig, Selbstgefühl<lb/> und Thätigkeit. Die Angelegenheiten und die Regierungen des Hauses, welche</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0192]
steh und Rechtsgefühls so sehr genau den Charakter, alle Nuancen der Persön¬
lichkeit des Volkes selbst, seine Tugenden und Schwachen in sich darstellt. Und
wenn man die Furcht hegen muß, daß die Constituante auch darin die Eigen¬
thümlichkeit des Volkes abspiegeln wird, daß sie, selbst ein Schmerzenskind aus
der Zeit idealer Sehnsucht und speculativer Träume, auch wieder nur ein Ideales,
eine Art Gedicht schaffen wird, so soll man auch denken, daß sie in jedem Fall
fördernd und segensreich ans neue praktische Bildungen, welche aus diesen Ver¬
suchen hervorgehen, wirken wird. Sie mögen diesen Ausgang aus jedem Blatt
in der Geschichte dieser Versammlung lesen. Prüfen Sie zunächst den idealen
Drang der Nation, welcher sie in's Leben rief: es war die Unzufriedenheit mit
dem System der alten Monarchien, welche sich in einzelnen Staaten durch offenen
Kampf gegen das Hausregimeut derselben Luft gemacht hatte, es war ferner bei
den kleinen Stämmen die bittere Empfindung ihrer staatlichen Ohnmacht und
Kraftlosigkeit, es war, und dies ist die reellste Grundlage der Versammlung, das
Bedürfniß nach freiem Verkehr, in Handel, Gewerbe und allen übrigen Aeußerungen
des Volkslebens, welche Staatsgesetze zum Gedeihen bedürfen, es war Schwäche, ja
Verzweiflung der alten Regierungen, welche den betäubenden Schwall der Revolution
durch diese Versammlung wenigstens in ein gebahntes Bett zu bringen hofften, es war
zuletzt das schöne Band der Sprache, der Wissenschaft und der historischen Erin-
nerungen, welches die einzelnen Stämme zusammenzog. Durch diese Bedingungen
ist das Gedeihen der Constituante keinesweges gesichert. Ihre Autorität mußte
unbestreitbar sein, so lange die einzelnen Völker sich schwach, entmuthigt, in Ge¬
fahr fühlten, sie bleibt in vollem Ansehen, so lauge es sich in ihren Verhand¬
lungen um allgemeine Wünsche und Begriffe handelt: gesichert in ihrem Wirken
wäre sie erst dann, wenn es ihr gelänge, die realen Interessen des Handels,
der Industrie, des inneren Verkehrs, das heißt den gesunden Egoismus der ein¬
zelnen Völker zu fördern. Denn ihre Majestät beruht auf nichts Anderem als
auf der Achtung und Zuneigung, welche ihre Beschlüsse den einzelnen Völkern
einflößen. Von dem Augenblicke, wo die Versammlung der Paulskirche es ver¬
suchte Gesetze zu geben, welche den Egoismus einzelner Völker verletzen, mußte
ihre Autorität und ihre Wirksamkeit in Gefahr kommen. Und die Constituante
hat Vieles gethan diese Uebelstände zu vermehren. Hervorgegangen aus einer
Verbittdung der Revolution mit dem Recht, hat sie vergessen, daß ein Kind der
Revolution die Energie und schnelle Thatkraft seiner Mutter braucht, um zu ge¬
deihen. Sie hat kostbare Zeit in Formstreitigkeiten, Proclamationen, einem un¬
behilflichen Streben selbst zu regieren, sich in einzelne Händel zu mischen verloren.
Es war dies nicht Kühnheit, sondern Schwäche. Unterdeß entwickelt sich unab¬
hängig von ihr ein neues Volksleben in den einzelnen Staaten, dort tritt an die
Stelle der Unordnung und Verwirrung, freilich zögernd und allmälig, Selbstgefühl
und Thätigkeit. Die Angelegenheiten und die Regierungen des Hauses, welche
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