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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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Nation auf ruchlose Weise zu verrathen, mit einer nichtswürdigen Camarilla zu
conspiriren" n. s. w., wird, wenn er eine Tasse Kaffee in freundlicher Unterhal¬
tung mit dem Ministerium getrunken hat, dieselbe Herzensmcinung ungefähr so
ausdrucken: "Wir müssen bedauern, daß das ehrenwerthe Ministerium die wah¬
ren Interessen der Nation verkennt und sich von den Einflüssen einer Camarilla
nicht freihalten kann" n. s. w. Wobei zu bemerken, daß die persönliche Bekannt¬
schaft bei einer Tasse Kaffee ungefähr auf acht Tage, ein gemeinsames Diner durch
etwa vier Wochen seine segensreichen Wirkungen ausübt. Natürlich muß die Zu¬
sammenkunft der "ehrenwerthen Gegner" aus neutralem Gebiet stattfinden. Gegen
die Tröpfe nnter seinen Feinden, gegen die Schreier und Krakehler aber gibt es
für den Minister keine bessere Waffe, als sie lächerlich zu machen. Wenn er Zei¬
tung gegen Zeitung, Club gegen Club zu setzen hat, so ist bei der Straßenlitera¬
tur vollends nothwendig, daß er Plakat gegen Plakat anklebt. Er lasse durch
gute Freunde einen Mann engagiren, der Witz oder gute Lanne hat, und lasse
den seine Wespenstiche gegen den Blödsinn der Gegner unausgesetzt richten. Frei¬
lich muß das geschickt geschehe", die Betheiligung des Ministeriums darf nicht
sichtbar sein, auch darf man den Erfolg nicht augenblicklich erwarten. Aber das
Volk hat stets die Herablassung sich gern zu amusiren, und ein gesundes Gefühl
für das Wahre in solchen lächerlichen Angriffen. Und wenn dergleichen Attaken
auf einflußreiche Demagogen zehnmal abgerissen werden, das elfte Mal bleiben sie
stehen. Doch dergleichen Mittel sind unwürdig, gemein! Allerdings sind sie wie
Thranstiefel bei schlechten Wegen, wer sie vermeiden will, der trete in unseren
Verein gegen das Ministerwerden und bleibe ein friedlicher Abonnent dieses Blattes.

Das größte Unglück aber für die deutschen Minister ist der traurige Mangel
an dramatischer Tüchtigkeit. Dramatisch sein heißt die Fertigkeit haben, im Mo¬
ment das ganze Wesen, Inneres und Aeußeres, concentrirt und beherrscht zu zeigen
von der Idee, welche im Menschen lebt. Wir Deutsche haben Gedanken in Menge,
aber wir verstehen nicht sie schnell in die That umzusetzen, der Augenblick des
Handelns zerstreut und verwirrt uns, die feindlichen Gegensätze betäuben uns,
statt uns anzuspannen und das gestimmte Ich in Harnisch und Waffen zu rufen.
Das Volk in Masse ist immer dramatisch, der einzelne Deutsche sehr selten und
unsere Minister sind sämmtlich schlechte Schauspieler. Diese Kraft des schnellen
Concentrirens muß eben deshalb, weil sie in den guten Ministerseelen so unent¬
wickelt ist, sorglich und mit Fleiß ausgebildet werden. Sie zeigt sich aber auf
5"" ganz verschiedene Weisen, in Regierungsmaßregeln und in dem persönlichen
Auftreten. Im ersteren Fall ist sie das Resultat eines feinen ethischen Taktes und
weiser Ueberlegung, im zweiten außerdem die Folge sorgfältiger Uebung und
Technik.

Dramatische Form der Regierungsmaßregeln ist zu allen Zeiten höchst wichtig,
unvermeidlich bei großen Staatskrisen, beim Antritt der Regierung, beim Besiegen


Nation auf ruchlose Weise zu verrathen, mit einer nichtswürdigen Camarilla zu
conspiriren" n. s. w., wird, wenn er eine Tasse Kaffee in freundlicher Unterhal¬
tung mit dem Ministerium getrunken hat, dieselbe Herzensmcinung ungefähr so
ausdrucken: „Wir müssen bedauern, daß das ehrenwerthe Ministerium die wah¬
ren Interessen der Nation verkennt und sich von den Einflüssen einer Camarilla
nicht freihalten kann" n. s. w. Wobei zu bemerken, daß die persönliche Bekannt¬
schaft bei einer Tasse Kaffee ungefähr auf acht Tage, ein gemeinsames Diner durch
etwa vier Wochen seine segensreichen Wirkungen ausübt. Natürlich muß die Zu¬
sammenkunft der „ehrenwerthen Gegner" aus neutralem Gebiet stattfinden. Gegen
die Tröpfe nnter seinen Feinden, gegen die Schreier und Krakehler aber gibt es
für den Minister keine bessere Waffe, als sie lächerlich zu machen. Wenn er Zei¬
tung gegen Zeitung, Club gegen Club zu setzen hat, so ist bei der Straßenlitera¬
tur vollends nothwendig, daß er Plakat gegen Plakat anklebt. Er lasse durch
gute Freunde einen Mann engagiren, der Witz oder gute Lanne hat, und lasse
den seine Wespenstiche gegen den Blödsinn der Gegner unausgesetzt richten. Frei¬
lich muß das geschickt geschehe», die Betheiligung des Ministeriums darf nicht
sichtbar sein, auch darf man den Erfolg nicht augenblicklich erwarten. Aber das
Volk hat stets die Herablassung sich gern zu amusiren, und ein gesundes Gefühl
für das Wahre in solchen lächerlichen Angriffen. Und wenn dergleichen Attaken
auf einflußreiche Demagogen zehnmal abgerissen werden, das elfte Mal bleiben sie
stehen. Doch dergleichen Mittel sind unwürdig, gemein! Allerdings sind sie wie
Thranstiefel bei schlechten Wegen, wer sie vermeiden will, der trete in unseren
Verein gegen das Ministerwerden und bleibe ein friedlicher Abonnent dieses Blattes.

Das größte Unglück aber für die deutschen Minister ist der traurige Mangel
an dramatischer Tüchtigkeit. Dramatisch sein heißt die Fertigkeit haben, im Mo¬
ment das ganze Wesen, Inneres und Aeußeres, concentrirt und beherrscht zu zeigen
von der Idee, welche im Menschen lebt. Wir Deutsche haben Gedanken in Menge,
aber wir verstehen nicht sie schnell in die That umzusetzen, der Augenblick des
Handelns zerstreut und verwirrt uns, die feindlichen Gegensätze betäuben uns,
statt uns anzuspannen und das gestimmte Ich in Harnisch und Waffen zu rufen.
Das Volk in Masse ist immer dramatisch, der einzelne Deutsche sehr selten und
unsere Minister sind sämmtlich schlechte Schauspieler. Diese Kraft des schnellen
Concentrirens muß eben deshalb, weil sie in den guten Ministerseelen so unent¬
wickelt ist, sorglich und mit Fleiß ausgebildet werden. Sie zeigt sich aber auf
5"" ganz verschiedene Weisen, in Regierungsmaßregeln und in dem persönlichen
Auftreten. Im ersteren Fall ist sie das Resultat eines feinen ethischen Taktes und
weiser Ueberlegung, im zweiten außerdem die Folge sorgfältiger Uebung und
Technik.

Dramatische Form der Regierungsmaßregeln ist zu allen Zeiten höchst wichtig,
unvermeidlich bei großen Staatskrisen, beim Antritt der Regierung, beim Besiegen


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[0155] Nation auf ruchlose Weise zu verrathen, mit einer nichtswürdigen Camarilla zu conspiriren" n. s. w., wird, wenn er eine Tasse Kaffee in freundlicher Unterhal¬ tung mit dem Ministerium getrunken hat, dieselbe Herzensmcinung ungefähr so ausdrucken: „Wir müssen bedauern, daß das ehrenwerthe Ministerium die wah¬ ren Interessen der Nation verkennt und sich von den Einflüssen einer Camarilla nicht freihalten kann" n. s. w. Wobei zu bemerken, daß die persönliche Bekannt¬ schaft bei einer Tasse Kaffee ungefähr auf acht Tage, ein gemeinsames Diner durch etwa vier Wochen seine segensreichen Wirkungen ausübt. Natürlich muß die Zu¬ sammenkunft der „ehrenwerthen Gegner" aus neutralem Gebiet stattfinden. Gegen die Tröpfe nnter seinen Feinden, gegen die Schreier und Krakehler aber gibt es für den Minister keine bessere Waffe, als sie lächerlich zu machen. Wenn er Zei¬ tung gegen Zeitung, Club gegen Club zu setzen hat, so ist bei der Straßenlitera¬ tur vollends nothwendig, daß er Plakat gegen Plakat anklebt. Er lasse durch gute Freunde einen Mann engagiren, der Witz oder gute Lanne hat, und lasse den seine Wespenstiche gegen den Blödsinn der Gegner unausgesetzt richten. Frei¬ lich muß das geschickt geschehe», die Betheiligung des Ministeriums darf nicht sichtbar sein, auch darf man den Erfolg nicht augenblicklich erwarten. Aber das Volk hat stets die Herablassung sich gern zu amusiren, und ein gesundes Gefühl für das Wahre in solchen lächerlichen Angriffen. Und wenn dergleichen Attaken auf einflußreiche Demagogen zehnmal abgerissen werden, das elfte Mal bleiben sie stehen. Doch dergleichen Mittel sind unwürdig, gemein! Allerdings sind sie wie Thranstiefel bei schlechten Wegen, wer sie vermeiden will, der trete in unseren Verein gegen das Ministerwerden und bleibe ein friedlicher Abonnent dieses Blattes. Das größte Unglück aber für die deutschen Minister ist der traurige Mangel an dramatischer Tüchtigkeit. Dramatisch sein heißt die Fertigkeit haben, im Mo¬ ment das ganze Wesen, Inneres und Aeußeres, concentrirt und beherrscht zu zeigen von der Idee, welche im Menschen lebt. Wir Deutsche haben Gedanken in Menge, aber wir verstehen nicht sie schnell in die That umzusetzen, der Augenblick des Handelns zerstreut und verwirrt uns, die feindlichen Gegensätze betäuben uns, statt uns anzuspannen und das gestimmte Ich in Harnisch und Waffen zu rufen. Das Volk in Masse ist immer dramatisch, der einzelne Deutsche sehr selten und unsere Minister sind sämmtlich schlechte Schauspieler. Diese Kraft des schnellen Concentrirens muß eben deshalb, weil sie in den guten Ministerseelen so unent¬ wickelt ist, sorglich und mit Fleiß ausgebildet werden. Sie zeigt sich aber auf 5"" ganz verschiedene Weisen, in Regierungsmaßregeln und in dem persönlichen Auftreten. Im ersteren Fall ist sie das Resultat eines feinen ethischen Taktes und weiser Ueberlegung, im zweiten außerdem die Folge sorgfältiger Uebung und Technik. Dramatische Form der Regierungsmaßregeln ist zu allen Zeiten höchst wichtig, unvermeidlich bei großen Staatskrisen, beim Antritt der Regierung, beim Besiegen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/155>, abgerufen am 22.07.2024.