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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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Landvolk erschien zahlreich und wogte in den Straßen, theils unbewaffnet, theils
die Waffen unter den Rocken. Das Militär lagerte vor der Stadt, in derselben
war nur die Bürgerwehr. Da erschien Nachmittags jener Jade, der bereits steck¬
brieflich verfolgt wurde, mit einer großen Menge neuen Volks im Zuge unter
Musikbegleitung in der Stadt, hielt eine Rede an das undankbare Volk, das seine
Führer verlasse und über das eine schwere Zeit herauskommen werde. Er wolle
sich jetzt in Weimar stellen und das Volk solle ihn begleiten. Es war auf eine
schlechte Komödie abgesehen, die aber vereitelt wurde. Das Volk klaschte Bravo
und trug ihn ans den Schultern, machte aber keine Anstalt, wie es das richtige
Verständniß der Rede erfordert hätte, das Militär zu besiegen, sondern Jade bis
an das Gefängniß zu begleiten und sich seines Märtyrthums zu freuen. Kaum
aber war der Zug wieder auf dem Wege, als er von einem Detachement Gar-
dereiter eingeholt und Jade in das Gefängniß zu Jena abgeliefert wurde. Jetzt
steigerte sich die Aufregung unter der Menge einigermaßen. Das Militär rückte
in die Stadt und es herrschte einige Stunden Belagerungszustand, d. h. die
Straßen waren gesperrt. Später durste wenigstens Jeder hinaus und so verlies
sich das Landvolk. Die Nacht blieb ruhig. Am andern Morgen brachten die
Gardereiter auch Lafaurie mit seinen zwei Getreuen ein und heute ist das sämmt¬
liche Militär mit den Gefangenen nach Weimar gezogen. Die Bauern sind zu
Hause gekommen mit der Ueberzeugung, daß der "Larifari" nicht der Mann ist,
der's zwingen wird.

So leicht hier die Anarchie niedergehalten wurde, so war das Herbeiziehen
fremder Truppen doch nothwendig bei den geringen Militärkräften der Herzogthü-
mer und bei dem Schwanken der Bürgerwehr, welches bei einem Theil aus Hin¬
neigung zur Anarchie, bei einem andern aus Unsicherheit der Erkenntniß, bei
einem dritten aus Furcht entspringt. Dem Ernst gegenüber ist aber die anarchische
Partei in Thüringen trotz ihrer Anhängerschaft auf dem Lande völlig ohnmächtig,
wie die letzten Tage zur Genüge gezeigt haben.




Die freie Organisation der Gemeinden.

(Schluß.)




Der Kreis.

Die Gemeinde ist als ideale Einheit ein fester Punkt, auf welchen sich der
Einzelne stützt, von welchem aus er die Fäden seiner Thätigkeit, seiner Interessen
nach allen Seiten in das Land hin auszuspinnen sucht, Die Mauern, die Bann-


Landvolk erschien zahlreich und wogte in den Straßen, theils unbewaffnet, theils
die Waffen unter den Rocken. Das Militär lagerte vor der Stadt, in derselben
war nur die Bürgerwehr. Da erschien Nachmittags jener Jade, der bereits steck¬
brieflich verfolgt wurde, mit einer großen Menge neuen Volks im Zuge unter
Musikbegleitung in der Stadt, hielt eine Rede an das undankbare Volk, das seine
Führer verlasse und über das eine schwere Zeit herauskommen werde. Er wolle
sich jetzt in Weimar stellen und das Volk solle ihn begleiten. Es war auf eine
schlechte Komödie abgesehen, die aber vereitelt wurde. Das Volk klaschte Bravo
und trug ihn ans den Schultern, machte aber keine Anstalt, wie es das richtige
Verständniß der Rede erfordert hätte, das Militär zu besiegen, sondern Jade bis
an das Gefängniß zu begleiten und sich seines Märtyrthums zu freuen. Kaum
aber war der Zug wieder auf dem Wege, als er von einem Detachement Gar-
dereiter eingeholt und Jade in das Gefängniß zu Jena abgeliefert wurde. Jetzt
steigerte sich die Aufregung unter der Menge einigermaßen. Das Militär rückte
in die Stadt und es herrschte einige Stunden Belagerungszustand, d. h. die
Straßen waren gesperrt. Später durste wenigstens Jeder hinaus und so verlies
sich das Landvolk. Die Nacht blieb ruhig. Am andern Morgen brachten die
Gardereiter auch Lafaurie mit seinen zwei Getreuen ein und heute ist das sämmt¬
liche Militär mit den Gefangenen nach Weimar gezogen. Die Bauern sind zu
Hause gekommen mit der Ueberzeugung, daß der „Larifari" nicht der Mann ist,
der's zwingen wird.

So leicht hier die Anarchie niedergehalten wurde, so war das Herbeiziehen
fremder Truppen doch nothwendig bei den geringen Militärkräften der Herzogthü-
mer und bei dem Schwanken der Bürgerwehr, welches bei einem Theil aus Hin¬
neigung zur Anarchie, bei einem andern aus Unsicherheit der Erkenntniß, bei
einem dritten aus Furcht entspringt. Dem Ernst gegenüber ist aber die anarchische
Partei in Thüringen trotz ihrer Anhängerschaft auf dem Lande völlig ohnmächtig,
wie die letzten Tage zur Genüge gezeigt haben.




Die freie Organisation der Gemeinden.

(Schluß.)




Der Kreis.

Die Gemeinde ist als ideale Einheit ein fester Punkt, auf welchen sich der
Einzelne stützt, von welchem aus er die Fäden seiner Thätigkeit, seiner Interessen
nach allen Seiten in das Land hin auszuspinnen sucht, Die Mauern, die Bann-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/95>, abgerufen am 25.12.2024.