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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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Verwaltung der einzelnen Bezirke, das sind die großen Fragen, zu deren Lösung
der Wiener Reichstag berufen ist, und die nirgends anders gelöst werden können.
Es ist natürlich, daß nicht allein der Bauer in dem ersten Entzücken seiner neu-
errnngeuen Freiheit die Hände dankbar seinen Vertretern entgegenstreckt, auch der
Aristokrat, dessen bisherige Existenz nun in Frage gestellt ist, muß hier das Feld
seiner Thätigkeit suche". Hie titulus, tun s-lltiU Die Idee einer allgemeinen
Verfassung ist wichtig genug, allein sie liegt lange nicht so nahe, als diese organische
Gesetzgebung, bei der es sich um das unmittelbare Wohl und Wehe der Nation
handelt.

Indeß auch die übrigen Interessen finden in Wien ihre nächste Vertretung.
Im Anfang schien es eine wunderliche Anomalie, daß man die Ungarn und ihre
Nebenvölkcr, sowie die Italiener, von dem Reichstag ausschloß, die Galizier da¬
gegen hinzuzog -- eine Provinz, die man nach den Märztagen von allen übrigen
am ersten aufzugeben bereit war. Es hat sich nun auf dem Reichstag gezeigt, daß
es wenigstens sehr fraglich ist, ob nicht das wahre Interesse dieser Provinz ebenso
lebhaft bei der Aufrechthaltung des Kaiserstaates betheiligt sei, als das z. B. der
Kroaten. Der schöne Traum von der Wiederherstellung Polens wurde ein Mal
über das andre erschüttert; die Haltung der Galizier ist einer der schwersten Stöße.
Die Metternichsche Politik hat Galizien vernachlässigt, das neue Oestreich aber
kaun, indem es innerhalb seines Umfangs die vollste Selbstständigkeit verstattet,
den besten Weg einschlagen, die Volker zur Freiheit zu erziehen.

Endlich ist die Lage der Czechen durch den Reichstag eine andere geworden.
Wir haben die Czechen aus allen Kräften bekämpft, so oft es sich um eine sinn¬
lose Bedrückung ihrer deutschen Brüder, um einen rohen Eingriff in die Rechte
ihrer Mitbürger handelte. Wir haben sie verhöhnt, als die panslavistische Ro¬
mantik jenes Ungeheuer von Congreß ins Leben rief, das endlich, da die einzel¬
nen Slavenstämme einander nicht verstanden, damit endigen mußte, die deutsche
Sprache zum Medium zu nehmen --ein Vorbild dessen, was da kommen
wird, wenn die Völker Oestreichs mit einander tagen. Aber wenn
ich das Unrecht der Tschechen keinen Augenblick verkenne, so kann ich doch nicht
leugnen, daß das Prager Bombardement und die darauf folgende Inquisition ein
sehr brutales Mittel war, Böhmen in seine Fugen einzurenken. Mag es damals
kein anderes Mittel gegeben haben -- es ist möglich -- jedenfalls war zum großen
Theil die unklare Haltung der Negierung den Tschechen gegenüber Schuld daran.
Freilich kann man von einer Regierung, die nicht weiß, was sie will, eine klare
und energische Haltung kaum verlangen; und so kommt es denn, daß wenn man
zu schwach ist, im rechten Augenblick mit Energie und Ausdauer eine verwickelte
Sache zu entscheiden, zuletzt die gewöhnliche Aushülfe der Schwäche -- das Schwert
entscheiden muß. Außerdem vergleichen Sie nur die Feigheit der Deutschbühmen
mit der herausfordernden Sprache, welche die Deutschen im Auslande gegen Bos-


"nnMen. IV. !""". 7

Verwaltung der einzelnen Bezirke, das sind die großen Fragen, zu deren Lösung
der Wiener Reichstag berufen ist, und die nirgends anders gelöst werden können.
Es ist natürlich, daß nicht allein der Bauer in dem ersten Entzücken seiner neu-
errnngeuen Freiheit die Hände dankbar seinen Vertretern entgegenstreckt, auch der
Aristokrat, dessen bisherige Existenz nun in Frage gestellt ist, muß hier das Feld
seiner Thätigkeit suche«. Hie titulus, tun s-lltiU Die Idee einer allgemeinen
Verfassung ist wichtig genug, allein sie liegt lange nicht so nahe, als diese organische
Gesetzgebung, bei der es sich um das unmittelbare Wohl und Wehe der Nation
handelt.

Indeß auch die übrigen Interessen finden in Wien ihre nächste Vertretung.
Im Anfang schien es eine wunderliche Anomalie, daß man die Ungarn und ihre
Nebenvölkcr, sowie die Italiener, von dem Reichstag ausschloß, die Galizier da¬
gegen hinzuzog — eine Provinz, die man nach den Märztagen von allen übrigen
am ersten aufzugeben bereit war. Es hat sich nun auf dem Reichstag gezeigt, daß
es wenigstens sehr fraglich ist, ob nicht das wahre Interesse dieser Provinz ebenso
lebhaft bei der Aufrechthaltung des Kaiserstaates betheiligt sei, als das z. B. der
Kroaten. Der schöne Traum von der Wiederherstellung Polens wurde ein Mal
über das andre erschüttert; die Haltung der Galizier ist einer der schwersten Stöße.
Die Metternichsche Politik hat Galizien vernachlässigt, das neue Oestreich aber
kaun, indem es innerhalb seines Umfangs die vollste Selbstständigkeit verstattet,
den besten Weg einschlagen, die Volker zur Freiheit zu erziehen.

Endlich ist die Lage der Czechen durch den Reichstag eine andere geworden.
Wir haben die Czechen aus allen Kräften bekämpft, so oft es sich um eine sinn¬
lose Bedrückung ihrer deutschen Brüder, um einen rohen Eingriff in die Rechte
ihrer Mitbürger handelte. Wir haben sie verhöhnt, als die panslavistische Ro¬
mantik jenes Ungeheuer von Congreß ins Leben rief, das endlich, da die einzel¬
nen Slavenstämme einander nicht verstanden, damit endigen mußte, die deutsche
Sprache zum Medium zu nehmen —ein Vorbild dessen, was da kommen
wird, wenn die Völker Oestreichs mit einander tagen. Aber wenn
ich das Unrecht der Tschechen keinen Augenblick verkenne, so kann ich doch nicht
leugnen, daß das Prager Bombardement und die darauf folgende Inquisition ein
sehr brutales Mittel war, Böhmen in seine Fugen einzurenken. Mag es damals
kein anderes Mittel gegeben haben — es ist möglich — jedenfalls war zum großen
Theil die unklare Haltung der Negierung den Tschechen gegenüber Schuld daran.
Freilich kann man von einer Regierung, die nicht weiß, was sie will, eine klare
und energische Haltung kaum verlangen; und so kommt es denn, daß wenn man
zu schwach ist, im rechten Augenblick mit Energie und Ausdauer eine verwickelte
Sache zu entscheiden, zuletzt die gewöhnliche Aushülfe der Schwäche — das Schwert
entscheiden muß. Außerdem vergleichen Sie nur die Feigheit der Deutschbühmen
mit der herausfordernden Sprache, welche die Deutschen im Auslande gegen Bos-


«nnMen. IV. !««». 7
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/57>, abgerufen am 22.07.2024.