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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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tagen die schwarzrothgoldne Fahne? Das Banner der Freiheit! Das erklärt
alles. Denken Sie daran, wie die edelsten unter Oestreichs Patrioten Jahre lang
nach dem Reich geblickt hatten, das ihnen in der schwülen Atmosphäre ihrer Hei¬
mat!) wie ein Traum des Lichts erschien. In dem dumpfen Druck des Jesuitis¬
mus, in dem raffinirten Verdummungssystem der Schulen, in dem mechanischen,
geistlosen Schlendrian des Beamtenwesens, in der brutalen Unterdrückung jedes
freien Gedankens in Wort und Schrift, in der Willkür, mit welcher der Negie-
rungsdespotismus über die heiligsten Interessen des Volks verfügte -- in dem
tiefen Gefühl der Schmach, die über Oestreich lastete, war man geneigt, jenseit
der Berge die Bildung und Freiheit zu suchen, an der man im Vaterlande halb
verzweifelte. Eine Reihe tüchtiger Kräfte wanderten, anfangs nnter sehr erschwe¬
renden Umständen, nach Deutschland aus, um von hier aus ihrem Volke nützlich
zu sein. Sie selber waren einer der ersten, -und die Grenzboten wurden bald,
trotz des drei- und vierfachen Verbots, der Träger der gesammten östreichischen Op¬
position. Oestreich hatte den Punkt außerhalb gesunden, von wo aus es sich
selbst bewegen konnte.

Nun fanden sich freilich jene Schriftsteller in ihren Erwartungen vielfach be¬
trogen. Der Druck war weniger fühlbar, im Einzelnen war viel Gutes vorgear¬
beitet, im Ganzen aber die Schlaffheit nicht geringer als in Wien oder in Prag.
Den Oestreicher verfolgte überall das Heimweh, am meisten in unserer braven,
aber etwas langweiligen Stadt der Messe und des Buchhandels. Er kam aus¬
wärts zur Erkenntniß, daß er Patriot sei; er vertheidigte Oestreich gegen die un¬
berechtigten Angriffe der sächsischen Philister.

In den Märztagen wehte überall die schwarzrothgoldne Fahne auf den Barri¬
kaden oder wo man sonst für die Sache der Freiheit auftrat; bei uns im Schie߬
haus. Sie flog anch in Wien den tapfern Bürgern und Studenten voran, die
zuerst den Muth hatten, den Aberglauben an die Unsterblichkeit des Metternich-
schen Systems vou sich abzuschütteln. Unter diesem Zeichen der Freiheit einigten
sich alle deutschen Stämme, und die Absendung jener Deputirten nach Frankfurt
war weniger ein patriotischer, als ein liberaler Act. schwarzgelb war das Zeichen
der Reaction, das Symbol Metternichs, der Censur, der Spitzel, der Grenz¬
sperre, kurz aller der Nichtswürdigkeit, welche man seit dem Wiener Frieden in
Oestreich gesammelt. Wenn man die schwarzgelbe Fahne mit Füßen trat, so war
es nicht Haß gegen den östreichischen Staat, sondern Haß gegen den Absolutis¬
mus. Bei der italienischen Frage trat das zuerst hervor.

Die erste Deputation nach Frankfurt hatte keinen bestimmten Zweck. Es war
eine symbolische Handlung. Nun erfolgten die Wahlen zum Parlament; Oestreich
durfte seiue Stellung in Deutschland nicht aufgeben, nicht aufgeben zu Gunsten
Preußens, die Wahlen wurden also von der Regierung angeordnet --, obgleich
mit einem gewissen unheimlichen Gefühl; vom Volk vollzogen, im Interesse der


tagen die schwarzrothgoldne Fahne? Das Banner der Freiheit! Das erklärt
alles. Denken Sie daran, wie die edelsten unter Oestreichs Patrioten Jahre lang
nach dem Reich geblickt hatten, das ihnen in der schwülen Atmosphäre ihrer Hei¬
mat!) wie ein Traum des Lichts erschien. In dem dumpfen Druck des Jesuitis¬
mus, in dem raffinirten Verdummungssystem der Schulen, in dem mechanischen,
geistlosen Schlendrian des Beamtenwesens, in der brutalen Unterdrückung jedes
freien Gedankens in Wort und Schrift, in der Willkür, mit welcher der Negie-
rungsdespotismus über die heiligsten Interessen des Volks verfügte — in dem
tiefen Gefühl der Schmach, die über Oestreich lastete, war man geneigt, jenseit
der Berge die Bildung und Freiheit zu suchen, an der man im Vaterlande halb
verzweifelte. Eine Reihe tüchtiger Kräfte wanderten, anfangs nnter sehr erschwe¬
renden Umständen, nach Deutschland aus, um von hier aus ihrem Volke nützlich
zu sein. Sie selber waren einer der ersten, -und die Grenzboten wurden bald,
trotz des drei- und vierfachen Verbots, der Träger der gesammten östreichischen Op¬
position. Oestreich hatte den Punkt außerhalb gesunden, von wo aus es sich
selbst bewegen konnte.

Nun fanden sich freilich jene Schriftsteller in ihren Erwartungen vielfach be¬
trogen. Der Druck war weniger fühlbar, im Einzelnen war viel Gutes vorgear¬
beitet, im Ganzen aber die Schlaffheit nicht geringer als in Wien oder in Prag.
Den Oestreicher verfolgte überall das Heimweh, am meisten in unserer braven,
aber etwas langweiligen Stadt der Messe und des Buchhandels. Er kam aus¬
wärts zur Erkenntniß, daß er Patriot sei; er vertheidigte Oestreich gegen die un¬
berechtigten Angriffe der sächsischen Philister.

In den Märztagen wehte überall die schwarzrothgoldne Fahne auf den Barri¬
kaden oder wo man sonst für die Sache der Freiheit auftrat; bei uns im Schie߬
haus. Sie flog anch in Wien den tapfern Bürgern und Studenten voran, die
zuerst den Muth hatten, den Aberglauben an die Unsterblichkeit des Metternich-
schen Systems vou sich abzuschütteln. Unter diesem Zeichen der Freiheit einigten
sich alle deutschen Stämme, und die Absendung jener Deputirten nach Frankfurt
war weniger ein patriotischer, als ein liberaler Act. schwarzgelb war das Zeichen
der Reaction, das Symbol Metternichs, der Censur, der Spitzel, der Grenz¬
sperre, kurz aller der Nichtswürdigkeit, welche man seit dem Wiener Frieden in
Oestreich gesammelt. Wenn man die schwarzgelbe Fahne mit Füßen trat, so war
es nicht Haß gegen den östreichischen Staat, sondern Haß gegen den Absolutis¬
mus. Bei der italienischen Frage trat das zuerst hervor.

Die erste Deputation nach Frankfurt hatte keinen bestimmten Zweck. Es war
eine symbolische Handlung. Nun erfolgten die Wahlen zum Parlament; Oestreich
durfte seiue Stellung in Deutschland nicht aufgeben, nicht aufgeben zu Gunsten
Preußens, die Wahlen wurden also von der Regierung angeordnet —, obgleich
mit einem gewissen unheimlichen Gefühl; vom Volk vollzogen, im Interesse der


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[0054] tagen die schwarzrothgoldne Fahne? Das Banner der Freiheit! Das erklärt alles. Denken Sie daran, wie die edelsten unter Oestreichs Patrioten Jahre lang nach dem Reich geblickt hatten, das ihnen in der schwülen Atmosphäre ihrer Hei¬ mat!) wie ein Traum des Lichts erschien. In dem dumpfen Druck des Jesuitis¬ mus, in dem raffinirten Verdummungssystem der Schulen, in dem mechanischen, geistlosen Schlendrian des Beamtenwesens, in der brutalen Unterdrückung jedes freien Gedankens in Wort und Schrift, in der Willkür, mit welcher der Negie- rungsdespotismus über die heiligsten Interessen des Volks verfügte — in dem tiefen Gefühl der Schmach, die über Oestreich lastete, war man geneigt, jenseit der Berge die Bildung und Freiheit zu suchen, an der man im Vaterlande halb verzweifelte. Eine Reihe tüchtiger Kräfte wanderten, anfangs nnter sehr erschwe¬ renden Umständen, nach Deutschland aus, um von hier aus ihrem Volke nützlich zu sein. Sie selber waren einer der ersten, -und die Grenzboten wurden bald, trotz des drei- und vierfachen Verbots, der Träger der gesammten östreichischen Op¬ position. Oestreich hatte den Punkt außerhalb gesunden, von wo aus es sich selbst bewegen konnte. Nun fanden sich freilich jene Schriftsteller in ihren Erwartungen vielfach be¬ trogen. Der Druck war weniger fühlbar, im Einzelnen war viel Gutes vorgear¬ beitet, im Ganzen aber die Schlaffheit nicht geringer als in Wien oder in Prag. Den Oestreicher verfolgte überall das Heimweh, am meisten in unserer braven, aber etwas langweiligen Stadt der Messe und des Buchhandels. Er kam aus¬ wärts zur Erkenntniß, daß er Patriot sei; er vertheidigte Oestreich gegen die un¬ berechtigten Angriffe der sächsischen Philister. In den Märztagen wehte überall die schwarzrothgoldne Fahne auf den Barri¬ kaden oder wo man sonst für die Sache der Freiheit auftrat; bei uns im Schie߬ haus. Sie flog anch in Wien den tapfern Bürgern und Studenten voran, die zuerst den Muth hatten, den Aberglauben an die Unsterblichkeit des Metternich- schen Systems vou sich abzuschütteln. Unter diesem Zeichen der Freiheit einigten sich alle deutschen Stämme, und die Absendung jener Deputirten nach Frankfurt war weniger ein patriotischer, als ein liberaler Act. schwarzgelb war das Zeichen der Reaction, das Symbol Metternichs, der Censur, der Spitzel, der Grenz¬ sperre, kurz aller der Nichtswürdigkeit, welche man seit dem Wiener Frieden in Oestreich gesammelt. Wenn man die schwarzgelbe Fahne mit Füßen trat, so war es nicht Haß gegen den östreichischen Staat, sondern Haß gegen den Absolutis¬ mus. Bei der italienischen Frage trat das zuerst hervor. Die erste Deputation nach Frankfurt hatte keinen bestimmten Zweck. Es war eine symbolische Handlung. Nun erfolgten die Wahlen zum Parlament; Oestreich durfte seiue Stellung in Deutschland nicht aufgeben, nicht aufgeben zu Gunsten Preußens, die Wahlen wurden also von der Regierung angeordnet —, obgleich mit einem gewissen unheimlichen Gefühl; vom Volk vollzogen, im Interesse der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/54>, abgerufen am 22.07.2024.