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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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sich vom Gedränge die Stufen herauftragen zu lassen. Und so flohen unsere Tage
harmlos ohne Leid und Klage, wie die Kränze still verblühn.

DaS größte Fest war aber Dienstag Abend der Redeübungsverein im Schieß-
hause. Mau saß etwas dunkel, bei schwachem Bier, aber das überquellende Ge¬
müth verklärte die Finsterniß und man hatte in gedrängtem Raum beisammen, was
Leipzig irgend an biederber Notabilität aufzubieten hatte. RobertBlum hält einen
wohl stylisirten, aus den Tiefen der Brust hervorströmenden Vortrag über die Vor-
trefflichkeit der Freiheit, und wie inhuman das Institut der Tyrannei wäre; Her¬
mann Jellinek replicirte unter obligatem Accompagnement der zischenden Blu-
miancr mit einer Kritik des Liberalismus: "Der Liberalismus, d. h. die Idee der
politischen Freiheit, d. h. Illusion, d. h. Halbheit, muß sich selbst widersprechen,
d. h. er weiß nicht was er will, d. h. er erträgt keine Kritik, und die Kritik,
d. h. die Geschichte u. s. w." Hin und wieder warf Semmig eine Brandfackel
in die Gesellschaft, die Leidenschaft wäre die Hauptsache und man müsse kurzen
Prozeß machen. Von den <lÜ5 miiwium Pentium, Jäckel u. s. w. gar nicht zu
reden. Guter Himmel! wer hätte in diesen heitern Stunden sich träumen lassen,
daß ein tragisches Schicksal diese Männer in so kurzer Zeit hinwegraffte, die wir
mit einem gewissen Humor als unserm Kreise augehörig betrachtet hatten. Nur Semmig
ist übrig geblieben, das Werk fortzuführen, in dessen Vollendung Jene die Kugeln in
der Brigittenau unterbrochen. "Ich Doctor Hermann Semmig," sagt er in einem Liede.

Groß wurde der Redeübungsverein, als die Schweizer endlich zum Werk
schritten; als die reactionäre Cantonalsvuveränität den Centralisationsbestrebungen
des Liberalismus unterlag. Damals wurden die Reden feuriger, blumenreicher,
begeisterter, als selbst an den Schillerfesten, wo die Kinder Soldaten spielten,
Männer und Frauen feierlich lustwandelten und Schillers Namen zu Gunsten der
dentschen Freiheit verwandt wurde. Es war das die Zeit, wo auf, dem Theater
wie in sämmtlichen Bicrlocalcn die Jesuiten an den Pranger gestellt wurden und
wo ein leidlich liberaler Literat nicht einschlafen konnte, wenn er nicht zu Nacht
ein 14 bis 15 Jesuiten verspeist hatte. Aber selbst diese antijesnitischc Begeisterung
war nichts gegen die Flamme, die im Schießhaus aufloderte, als die Nachricht
von der französischen Revolution eintraf. Ruge. der sich früher nicht viel hatte
blicken lassen, hielt nun ziemlich lange Reden, in denen er sagte, daß es beson¬
ders auf das Princip ankäme, und daß jeder Mensch eine Religion haben müsse,
die Religion der Freiheit, und daß, wer an die Freiheit nicht glaubte, ein Ver¬
räther wäre; daß die einfache Probe dieses Glaubens die Ansicht wäre, die man
von dem Ausgang der Pariser Ereignisse hegte, und daß Louis Philipp nur darum
gefalle" sei, weil er ein Atheist war und an die Freiheit nicht glaubte. Worauf
Semmig erwiderte, mit dieser Religion sei es auch nichts, sie sei mystisch oder viel¬
mehr scholastisch, der Mensch sei Gott, jeder müsse sagen können, Ich bin Gott,
"Ich Doctor u. s. w." -- wie Alexander der Große durch ein Decret bei den


sich vom Gedränge die Stufen herauftragen zu lassen. Und so flohen unsere Tage
harmlos ohne Leid und Klage, wie die Kränze still verblühn.

DaS größte Fest war aber Dienstag Abend der Redeübungsverein im Schieß-
hause. Mau saß etwas dunkel, bei schwachem Bier, aber das überquellende Ge¬
müth verklärte die Finsterniß und man hatte in gedrängtem Raum beisammen, was
Leipzig irgend an biederber Notabilität aufzubieten hatte. RobertBlum hält einen
wohl stylisirten, aus den Tiefen der Brust hervorströmenden Vortrag über die Vor-
trefflichkeit der Freiheit, und wie inhuman das Institut der Tyrannei wäre; Her¬
mann Jellinek replicirte unter obligatem Accompagnement der zischenden Blu-
miancr mit einer Kritik des Liberalismus: „Der Liberalismus, d. h. die Idee der
politischen Freiheit, d. h. Illusion, d. h. Halbheit, muß sich selbst widersprechen,
d. h. er weiß nicht was er will, d. h. er erträgt keine Kritik, und die Kritik,
d. h. die Geschichte u. s. w." Hin und wieder warf Semmig eine Brandfackel
in die Gesellschaft, die Leidenschaft wäre die Hauptsache und man müsse kurzen
Prozeß machen. Von den <lÜ5 miiwium Pentium, Jäckel u. s. w. gar nicht zu
reden. Guter Himmel! wer hätte in diesen heitern Stunden sich träumen lassen,
daß ein tragisches Schicksal diese Männer in so kurzer Zeit hinwegraffte, die wir
mit einem gewissen Humor als unserm Kreise augehörig betrachtet hatten. Nur Semmig
ist übrig geblieben, das Werk fortzuführen, in dessen Vollendung Jene die Kugeln in
der Brigittenau unterbrochen. „Ich Doctor Hermann Semmig," sagt er in einem Liede.

Groß wurde der Redeübungsverein, als die Schweizer endlich zum Werk
schritten; als die reactionäre Cantonalsvuveränität den Centralisationsbestrebungen
des Liberalismus unterlag. Damals wurden die Reden feuriger, blumenreicher,
begeisterter, als selbst an den Schillerfesten, wo die Kinder Soldaten spielten,
Männer und Frauen feierlich lustwandelten und Schillers Namen zu Gunsten der
dentschen Freiheit verwandt wurde. Es war das die Zeit, wo auf, dem Theater
wie in sämmtlichen Bicrlocalcn die Jesuiten an den Pranger gestellt wurden und
wo ein leidlich liberaler Literat nicht einschlafen konnte, wenn er nicht zu Nacht
ein 14 bis 15 Jesuiten verspeist hatte. Aber selbst diese antijesnitischc Begeisterung
war nichts gegen die Flamme, die im Schießhaus aufloderte, als die Nachricht
von der französischen Revolution eintraf. Ruge. der sich früher nicht viel hatte
blicken lassen, hielt nun ziemlich lange Reden, in denen er sagte, daß es beson¬
ders auf das Princip ankäme, und daß jeder Mensch eine Religion haben müsse,
die Religion der Freiheit, und daß, wer an die Freiheit nicht glaubte, ein Ver¬
räther wäre; daß die einfache Probe dieses Glaubens die Ansicht wäre, die man
von dem Ausgang der Pariser Ereignisse hegte, und daß Louis Philipp nur darum
gefalle» sei, weil er ein Atheist war und an die Freiheit nicht glaubte. Worauf
Semmig erwiderte, mit dieser Religion sei es auch nichts, sie sei mystisch oder viel¬
mehr scholastisch, der Mensch sei Gott, jeder müsse sagen können, Ich bin Gott,
»Ich Doctor u. s. w." — wie Alexander der Große durch ein Decret bei den


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[0505] sich vom Gedränge die Stufen herauftragen zu lassen. Und so flohen unsere Tage harmlos ohne Leid und Klage, wie die Kränze still verblühn. DaS größte Fest war aber Dienstag Abend der Redeübungsverein im Schieß- hause. Mau saß etwas dunkel, bei schwachem Bier, aber das überquellende Ge¬ müth verklärte die Finsterniß und man hatte in gedrängtem Raum beisammen, was Leipzig irgend an biederber Notabilität aufzubieten hatte. RobertBlum hält einen wohl stylisirten, aus den Tiefen der Brust hervorströmenden Vortrag über die Vor- trefflichkeit der Freiheit, und wie inhuman das Institut der Tyrannei wäre; Her¬ mann Jellinek replicirte unter obligatem Accompagnement der zischenden Blu- miancr mit einer Kritik des Liberalismus: „Der Liberalismus, d. h. die Idee der politischen Freiheit, d. h. Illusion, d. h. Halbheit, muß sich selbst widersprechen, d. h. er weiß nicht was er will, d. h. er erträgt keine Kritik, und die Kritik, d. h. die Geschichte u. s. w." Hin und wieder warf Semmig eine Brandfackel in die Gesellschaft, die Leidenschaft wäre die Hauptsache und man müsse kurzen Prozeß machen. Von den <lÜ5 miiwium Pentium, Jäckel u. s. w. gar nicht zu reden. Guter Himmel! wer hätte in diesen heitern Stunden sich träumen lassen, daß ein tragisches Schicksal diese Männer in so kurzer Zeit hinwegraffte, die wir mit einem gewissen Humor als unserm Kreise augehörig betrachtet hatten. Nur Semmig ist übrig geblieben, das Werk fortzuführen, in dessen Vollendung Jene die Kugeln in der Brigittenau unterbrochen. „Ich Doctor Hermann Semmig," sagt er in einem Liede. Groß wurde der Redeübungsverein, als die Schweizer endlich zum Werk schritten; als die reactionäre Cantonalsvuveränität den Centralisationsbestrebungen des Liberalismus unterlag. Damals wurden die Reden feuriger, blumenreicher, begeisterter, als selbst an den Schillerfesten, wo die Kinder Soldaten spielten, Männer und Frauen feierlich lustwandelten und Schillers Namen zu Gunsten der dentschen Freiheit verwandt wurde. Es war das die Zeit, wo auf, dem Theater wie in sämmtlichen Bicrlocalcn die Jesuiten an den Pranger gestellt wurden und wo ein leidlich liberaler Literat nicht einschlafen konnte, wenn er nicht zu Nacht ein 14 bis 15 Jesuiten verspeist hatte. Aber selbst diese antijesnitischc Begeisterung war nichts gegen die Flamme, die im Schießhaus aufloderte, als die Nachricht von der französischen Revolution eintraf. Ruge. der sich früher nicht viel hatte blicken lassen, hielt nun ziemlich lange Reden, in denen er sagte, daß es beson¬ ders auf das Princip ankäme, und daß jeder Mensch eine Religion haben müsse, die Religion der Freiheit, und daß, wer an die Freiheit nicht glaubte, ein Ver¬ räther wäre; daß die einfache Probe dieses Glaubens die Ansicht wäre, die man von dem Ausgang der Pariser Ereignisse hegte, und daß Louis Philipp nur darum gefalle» sei, weil er ein Atheist war und an die Freiheit nicht glaubte. Worauf Semmig erwiderte, mit dieser Religion sei es auch nichts, sie sei mystisch oder viel¬ mehr scholastisch, der Mensch sei Gott, jeder müsse sagen können, Ich bin Gott, »Ich Doctor u. s. w." — wie Alexander der Große durch ein Decret bei den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/505>, abgerufen am 26.12.2024.