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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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hat diesen Jnstinct, welchen Oestreichs Staatsmänner in bedrängten Umständen
nie verleugnen, den Verhältnissen Rechnung zu tragen und auf die Stunde zu
warten -- diesen Jnstinct, den man mystisch das Glück des Hauses Oestreich ge¬
nannt hat. Schmerlings Aufgabe war, ehrlich gesagt, den revolutionären Drang
der neuen Macht in einen unschädlichen Weg abzuleiten. Wenn man bestimmt
fragt, was hat dieses Ministerium eigentlich gethan, den Gedanken, welchen die
Nationalversammlung ins Leben rief, zu realisiren, so muß man einfach antworten:
Nichts! Aber das Volk hat darum kein Recht, über Enttäuschung zu klagen,
denn jener Gedanke war ohne innere Nothwendigkeit; er war eine Fieberphantasie.
Wie die neue Theorie der Medicin haben die bisherigen Machthaber in Deutsch¬
land der Natur freien Lauf gelassen und sich begnügt, alles Störende zu entfernen.
Sie haben dem kranken Reich Ruhe und Diät verordnet.

Jetzt aber ist das eigentliche Fieber durch die Gewalt der Natur überwun¬
den, und jene schonende Behandlung ist nicht mehr anwendbar. Bereits die Ab¬
stimmung über die §§. 2 und 3 der Verfassung und später die Krisis in Oestreich
haben gezeigt, daß Schmerling nicht mehr an seinem Platze war. Schmerling
wird jetzt die Interessen Oestreichs im Reich auf andere Weise wahrzunehmen ha¬
ben -- wenn wir uns eine Andeutung erlauben dürfen -- am besten als östreichi¬
scher Gesandter.

Schwieriger aber ist die Frage, welches Princip sich nun eigentlich in der
neuen Reichsregierung geltend machen wird. Wir sind weder in die Unterhand¬
lungen Gagerns mit dem König von Preußen eingeweiht, noch in die des Reichs-
verwesers mit der östreichischen Regierung. Doch sucht man gewöhnlich unwillig
das Wesen hinter der Erscheinung versteckt, ein mäßig gutes Auge sieht es aus
der Erscheinung heraus.

In den Octoberverhandlungcn hat sowohl Gagern als Schmerling -- letzterer
freilich nur indirect -- ihre Ansichten über die kräftige Stellung Oestreichs zum
Reich ausgesprochen. Die neuen Machthaber Oestreichs sind auch nicht zurück¬
haltend gewesen. Was Preußen will, liegt auf der Hand, und die Stimmung
unserer Brüder in Süddeutschland läßt sich auch errathen. Diese geschichtlichen
Grundlagen sind die Factoren; der Beschluß der Versammlung, wie er auch aus¬
falle, kann nur das Facit ziehn.

Die östreichische Frage wird sich einfach von selber lösen. Die Kanonen in
dem ungarischen Kriege werden lauter sprechen, als die Anwälde in der Pauls¬
kirche. Es ist ein schlimmes Zeichen von der unstchcrn Lebenskraft, von der
schwachen Gesundheit dieser Versammlung, daß sie den Scheidungsprozeß nicht aus
sich heraus zu vollziehen vermag. Die Krisis kommt ihr äußerlich; wird sie Kraft
genug haben, sie zu ertrage"? Die Autwort fällt schwer, wenn man die Gährung
bedenkt, welche die eigne Reorganisation bedingen wird.

Gagern setzt sich durch Uebernahme des Ministeriums der Gefahr aus, zu


hat diesen Jnstinct, welchen Oestreichs Staatsmänner in bedrängten Umständen
nie verleugnen, den Verhältnissen Rechnung zu tragen und auf die Stunde zu
warten — diesen Jnstinct, den man mystisch das Glück des Hauses Oestreich ge¬
nannt hat. Schmerlings Aufgabe war, ehrlich gesagt, den revolutionären Drang
der neuen Macht in einen unschädlichen Weg abzuleiten. Wenn man bestimmt
fragt, was hat dieses Ministerium eigentlich gethan, den Gedanken, welchen die
Nationalversammlung ins Leben rief, zu realisiren, so muß man einfach antworten:
Nichts! Aber das Volk hat darum kein Recht, über Enttäuschung zu klagen,
denn jener Gedanke war ohne innere Nothwendigkeit; er war eine Fieberphantasie.
Wie die neue Theorie der Medicin haben die bisherigen Machthaber in Deutsch¬
land der Natur freien Lauf gelassen und sich begnügt, alles Störende zu entfernen.
Sie haben dem kranken Reich Ruhe und Diät verordnet.

Jetzt aber ist das eigentliche Fieber durch die Gewalt der Natur überwun¬
den, und jene schonende Behandlung ist nicht mehr anwendbar. Bereits die Ab¬
stimmung über die §§. 2 und 3 der Verfassung und später die Krisis in Oestreich
haben gezeigt, daß Schmerling nicht mehr an seinem Platze war. Schmerling
wird jetzt die Interessen Oestreichs im Reich auf andere Weise wahrzunehmen ha¬
ben — wenn wir uns eine Andeutung erlauben dürfen — am besten als östreichi¬
scher Gesandter.

Schwieriger aber ist die Frage, welches Princip sich nun eigentlich in der
neuen Reichsregierung geltend machen wird. Wir sind weder in die Unterhand¬
lungen Gagerns mit dem König von Preußen eingeweiht, noch in die des Reichs-
verwesers mit der östreichischen Regierung. Doch sucht man gewöhnlich unwillig
das Wesen hinter der Erscheinung versteckt, ein mäßig gutes Auge sieht es aus
der Erscheinung heraus.

In den Octoberverhandlungcn hat sowohl Gagern als Schmerling — letzterer
freilich nur indirect — ihre Ansichten über die kräftige Stellung Oestreichs zum
Reich ausgesprochen. Die neuen Machthaber Oestreichs sind auch nicht zurück¬
haltend gewesen. Was Preußen will, liegt auf der Hand, und die Stimmung
unserer Brüder in Süddeutschland läßt sich auch errathen. Diese geschichtlichen
Grundlagen sind die Factoren; der Beschluß der Versammlung, wie er auch aus¬
falle, kann nur das Facit ziehn.

Die östreichische Frage wird sich einfach von selber lösen. Die Kanonen in
dem ungarischen Kriege werden lauter sprechen, als die Anwälde in der Pauls¬
kirche. Es ist ein schlimmes Zeichen von der unstchcrn Lebenskraft, von der
schwachen Gesundheit dieser Versammlung, daß sie den Scheidungsprozeß nicht aus
sich heraus zu vollziehen vermag. Die Krisis kommt ihr äußerlich; wird sie Kraft
genug haben, sie zu ertrage»? Die Autwort fällt schwer, wenn man die Gährung
bedenkt, welche die eigne Reorganisation bedingen wird.

Gagern setzt sich durch Uebernahme des Ministeriums der Gefahr aus, zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/496>, abgerufen am 22.07.2024.