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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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wirthschaft, der Hokerei und dem Hausirgewerbe abgeben, verarmen, daß solche,
welche sich zu persönlichen Diensten vermiethen, dienst- und hilflos werden. Den¬
noch ist zu diesen Beschäftigungen ein ungeheurer Zudrang. Sie sind die Quelle
des Proletariats. Der anstrengenden, regelmäßigen Arbeit entwöhnt, werden alle
bei genannten Gewerben heruntergekommenen Individuen eine Plage der Polizei¬
behörden und zuletzt eine Last für die"Gemeinden; wogegen die eigentlichen Arbei-
ter in eine gänzlich hilflose und von andern abhängige Lage höchst selten gerathen.

Diese Thatsache sollte mehr, als geschieht, erwogen werden. Es sollten auch
diejenigen, welche nicht des Bedürfnisses halber zu arbeiten brauchen, durch ihre
Theilnahme an den anstrengenden Arbeiten dieselben zu Ehren bringen, damit das
Hinströmen zu andern Beschäftigungen unterbliebe. Wenn die kleinen Grundbe¬
sitzer in den deutschen Landen ihre Kinder zu einem Ackerbau erziehen wollten,
wie er z. B. im größten Theile von Belgien betrieben wird, so brauchte man eine
Uebervölkerung noch lange nicht zu besorgen. Fast überall in Deutschland fehlen
noch Hände für Bodencnltur, fehlt es an Arbeitskraft, fast überall ist uicht der
Ueberfluß, sondern der Mangel an intelligenten Arbeitern Ursache der Landes¬
armuth, wie der Armuth der Einzelnen. Im Ganzen betrachtet ist in Deutsch¬
land kein Ueberfluß, sondern Mangel an thätiger Menschenkraft, wie an Capital.
Am Rhein und in Westphalen -- vom östlichen Deutschland gar nicht zu sprechen
-- finden sich noch wahre Wüsteneien, die durch sinnreich verwendete Arbeit in
fruchtbares Land verwandelt werden könnten, wenn sich nicht so viele Leute schäm¬
ten, den Pflug zu führen, den Spaten und die Hacke zu handhaben und mit dem
Erdkarren eine Mengung der Bodenbestandtheile und eine Ausgleichung der Höhen
mit deu Tiefen zu bewirken. Wäre das Vorurtheil gegen diese Werkzeuge und
für den Gänsekiel verschwunden, so^ würde mehr Zufriedenheit unter allen Klassen
der Gesellschaft gefunden werden. Man preist den Cincinnatus, aber man ahmt
ihm nicht nach. Diejenigen, welche sich aus anderen Gewerben zurückziehen und
Landgüter kaufen, machen es am meisten wie die westindischen Pflanzer, sie las¬
sen selbst unthätig Andere für sich arbeiten. Durch diese Hoffarth, Trägheit und
falsche Scham der Besitzenden erhält die Arbeit leider einen andern Charakter als
sie hat und für uns Alle haben dürste, sie erscheint als ein durch das Capital
hervorgerufenes Leiden und trennt die Menschen in zwei feindliche Klassen, in die
besitzende und genießende und in die entbehrende und arbeitende.

Je weniger sich Arbeitgeber und Arbeiter in ihrer geistigen Bildung unter¬
scheiden, desto unangenehmer werden die Arbeiter von den Vorzügen berührt,
welche der Vermögensbesitz gewährt. Wenn die Dienstboten eines bäuerlichen
Besitzers täglich erfahren, daß sie in Sturm und Regen, in Hitze und Kälte hin¬
aus müssen, um die Arbeite" des Tages zu besorgen, während die Kinder ihres
Brodherrn daheim bleiben und von der zärtlichen Mutter gepflegt werden, so ist
nicht zu verwundern, daß jene die Härte des ihnen zugefallenen Looses empfinden.


wirthschaft, der Hokerei und dem Hausirgewerbe abgeben, verarmen, daß solche,
welche sich zu persönlichen Diensten vermiethen, dienst- und hilflos werden. Den¬
noch ist zu diesen Beschäftigungen ein ungeheurer Zudrang. Sie sind die Quelle
des Proletariats. Der anstrengenden, regelmäßigen Arbeit entwöhnt, werden alle
bei genannten Gewerben heruntergekommenen Individuen eine Plage der Polizei¬
behörden und zuletzt eine Last für die»Gemeinden; wogegen die eigentlichen Arbei-
ter in eine gänzlich hilflose und von andern abhängige Lage höchst selten gerathen.

Diese Thatsache sollte mehr, als geschieht, erwogen werden. Es sollten auch
diejenigen, welche nicht des Bedürfnisses halber zu arbeiten brauchen, durch ihre
Theilnahme an den anstrengenden Arbeiten dieselben zu Ehren bringen, damit das
Hinströmen zu andern Beschäftigungen unterbliebe. Wenn die kleinen Grundbe¬
sitzer in den deutschen Landen ihre Kinder zu einem Ackerbau erziehen wollten,
wie er z. B. im größten Theile von Belgien betrieben wird, so brauchte man eine
Uebervölkerung noch lange nicht zu besorgen. Fast überall in Deutschland fehlen
noch Hände für Bodencnltur, fehlt es an Arbeitskraft, fast überall ist uicht der
Ueberfluß, sondern der Mangel an intelligenten Arbeitern Ursache der Landes¬
armuth, wie der Armuth der Einzelnen. Im Ganzen betrachtet ist in Deutsch¬
land kein Ueberfluß, sondern Mangel an thätiger Menschenkraft, wie an Capital.
Am Rhein und in Westphalen — vom östlichen Deutschland gar nicht zu sprechen
— finden sich noch wahre Wüsteneien, die durch sinnreich verwendete Arbeit in
fruchtbares Land verwandelt werden könnten, wenn sich nicht so viele Leute schäm¬
ten, den Pflug zu führen, den Spaten und die Hacke zu handhaben und mit dem
Erdkarren eine Mengung der Bodenbestandtheile und eine Ausgleichung der Höhen
mit deu Tiefen zu bewirken. Wäre das Vorurtheil gegen diese Werkzeuge und
für den Gänsekiel verschwunden, so^ würde mehr Zufriedenheit unter allen Klassen
der Gesellschaft gefunden werden. Man preist den Cincinnatus, aber man ahmt
ihm nicht nach. Diejenigen, welche sich aus anderen Gewerben zurückziehen und
Landgüter kaufen, machen es am meisten wie die westindischen Pflanzer, sie las¬
sen selbst unthätig Andere für sich arbeiten. Durch diese Hoffarth, Trägheit und
falsche Scham der Besitzenden erhält die Arbeit leider einen andern Charakter als
sie hat und für uns Alle haben dürste, sie erscheint als ein durch das Capital
hervorgerufenes Leiden und trennt die Menschen in zwei feindliche Klassen, in die
besitzende und genießende und in die entbehrende und arbeitende.

Je weniger sich Arbeitgeber und Arbeiter in ihrer geistigen Bildung unter¬
scheiden, desto unangenehmer werden die Arbeiter von den Vorzügen berührt,
welche der Vermögensbesitz gewährt. Wenn die Dienstboten eines bäuerlichen
Besitzers täglich erfahren, daß sie in Sturm und Regen, in Hitze und Kälte hin¬
aus müssen, um die Arbeite» des Tages zu besorgen, während die Kinder ihres
Brodherrn daheim bleiben und von der zärtlichen Mutter gepflegt werden, so ist
nicht zu verwundern, daß jene die Härte des ihnen zugefallenen Looses empfinden.


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[0484] wirthschaft, der Hokerei und dem Hausirgewerbe abgeben, verarmen, daß solche, welche sich zu persönlichen Diensten vermiethen, dienst- und hilflos werden. Den¬ noch ist zu diesen Beschäftigungen ein ungeheurer Zudrang. Sie sind die Quelle des Proletariats. Der anstrengenden, regelmäßigen Arbeit entwöhnt, werden alle bei genannten Gewerben heruntergekommenen Individuen eine Plage der Polizei¬ behörden und zuletzt eine Last für die»Gemeinden; wogegen die eigentlichen Arbei- ter in eine gänzlich hilflose und von andern abhängige Lage höchst selten gerathen. Diese Thatsache sollte mehr, als geschieht, erwogen werden. Es sollten auch diejenigen, welche nicht des Bedürfnisses halber zu arbeiten brauchen, durch ihre Theilnahme an den anstrengenden Arbeiten dieselben zu Ehren bringen, damit das Hinströmen zu andern Beschäftigungen unterbliebe. Wenn die kleinen Grundbe¬ sitzer in den deutschen Landen ihre Kinder zu einem Ackerbau erziehen wollten, wie er z. B. im größten Theile von Belgien betrieben wird, so brauchte man eine Uebervölkerung noch lange nicht zu besorgen. Fast überall in Deutschland fehlen noch Hände für Bodencnltur, fehlt es an Arbeitskraft, fast überall ist uicht der Ueberfluß, sondern der Mangel an intelligenten Arbeitern Ursache der Landes¬ armuth, wie der Armuth der Einzelnen. Im Ganzen betrachtet ist in Deutsch¬ land kein Ueberfluß, sondern Mangel an thätiger Menschenkraft, wie an Capital. Am Rhein und in Westphalen — vom östlichen Deutschland gar nicht zu sprechen — finden sich noch wahre Wüsteneien, die durch sinnreich verwendete Arbeit in fruchtbares Land verwandelt werden könnten, wenn sich nicht so viele Leute schäm¬ ten, den Pflug zu führen, den Spaten und die Hacke zu handhaben und mit dem Erdkarren eine Mengung der Bodenbestandtheile und eine Ausgleichung der Höhen mit deu Tiefen zu bewirken. Wäre das Vorurtheil gegen diese Werkzeuge und für den Gänsekiel verschwunden, so^ würde mehr Zufriedenheit unter allen Klassen der Gesellschaft gefunden werden. Man preist den Cincinnatus, aber man ahmt ihm nicht nach. Diejenigen, welche sich aus anderen Gewerben zurückziehen und Landgüter kaufen, machen es am meisten wie die westindischen Pflanzer, sie las¬ sen selbst unthätig Andere für sich arbeiten. Durch diese Hoffarth, Trägheit und falsche Scham der Besitzenden erhält die Arbeit leider einen andern Charakter als sie hat und für uns Alle haben dürste, sie erscheint als ein durch das Capital hervorgerufenes Leiden und trennt die Menschen in zwei feindliche Klassen, in die besitzende und genießende und in die entbehrende und arbeitende. Je weniger sich Arbeitgeber und Arbeiter in ihrer geistigen Bildung unter¬ scheiden, desto unangenehmer werden die Arbeiter von den Vorzügen berührt, welche der Vermögensbesitz gewährt. Wenn die Dienstboten eines bäuerlichen Besitzers täglich erfahren, daß sie in Sturm und Regen, in Hitze und Kälte hin¬ aus müssen, um die Arbeite» des Tages zu besorgen, während die Kinder ihres Brodherrn daheim bleiben und von der zärtlichen Mutter gepflegt werden, so ist nicht zu verwundern, daß jene die Härte des ihnen zugefallenen Looses empfinden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/484>, abgerufen am 22.07.2024.