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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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gefunden sind: eine Geschichte des Alterthums in 10 Bänden (?!); ein Roman:
die modernen Argonauten in 5 Bänden und ein Drama in 5 Acten: Gold
wiegt schwer; außerdem Unvollendetes. Das erste ist wohl nichts als eine
Privatarbeit zur eigenen Uebung und Belehrung; das zweite könnte unter pikan--
deren Titel das erwähnte Werk: "In Wien" sein, von einem Drama seiner Feder
sprach er schon im Frühjahr. Die Leser seiner Novellen mögen urtheilen, ob das
flüchtige Potrait dieses Blattes mit dem Eindruck stimmt, den die Lecture seiner
Bücher von dem Autor gibt.

Der gute Geist eines Volkes versucht unaufhörlich seinem Volk große Män¬
ner zu schassen. Rastlos und emsig schmilzt er aus dem Menschenstoff seine Fi¬
guren, je nach dem Bedürfniß der Zeit, bald Feldherrn, bald Poeten, Gelehrte
oder Volksmänner. Hundertmal verunglückt seine Arbeit ihm unter den Händen,
lange muß er sich mühen, bis er die rechte Figur zur rechten Zeit gefunden hat,
oft macht ein falscher Schnitt aus dem Helden eine Carricatur, aber alle Versuche
setzt er liebevoll unter uns und läßt sie zusehen, wie weit sie kommen und was
sie ausrichten. Und wenn außer manchem Andern zumeist zweierlei einen großen
Menschen macht, erstens eine starke treibende Lebenskraft, welche sich energisch und
dauerhaft in einem Wollen zu concentriren vermag, und zweitens ein Geist,wel¬
cher leicht und mühelos die Welt in sich aufnimmt und versteht; so hatte unser
Messenhauser allerdings nicht wenig Anlage, ein großer Mann zu werden. Eine
starke productive Lebenskraft war ihm nicht abzusprechen, in ihr wurzelte das
Selbstgefühl, welches ihm zuraunte, er sei zu Etwas bestimmt; aber sein Ver¬
ständniß der Welt war sehr unvollkommen, nicht nur deshalb, weil er wenig von
ihr kannte und wenig gelernt hatte,-sondern noch mehr deshalb, weil ihm die Kraft
fehlte, die Eindrücke von außen ruhig und vollständig in seiner Seele aufzunehmen,
er verwischte und zerstörte sich alle Bilder der Dinge, bevor ihre Daguerotypen
in ihm fertig waren, durch seine unruhige, unmäßige und übermächtige Phantasie,
und diese Krankheit, ein Leiden der Frauen, welches in Deutschland übrigens auch
bei Männern sehr häufig ist, hat ihm seinen Tod zugezogen. Friede sei mit seinem
G. F. Gedächtniß.




gefunden sind: eine Geschichte des Alterthums in 10 Bänden (?!); ein Roman:
die modernen Argonauten in 5 Bänden und ein Drama in 5 Acten: Gold
wiegt schwer; außerdem Unvollendetes. Das erste ist wohl nichts als eine
Privatarbeit zur eigenen Uebung und Belehrung; das zweite könnte unter pikan--
deren Titel das erwähnte Werk: „In Wien" sein, von einem Drama seiner Feder
sprach er schon im Frühjahr. Die Leser seiner Novellen mögen urtheilen, ob das
flüchtige Potrait dieses Blattes mit dem Eindruck stimmt, den die Lecture seiner
Bücher von dem Autor gibt.

Der gute Geist eines Volkes versucht unaufhörlich seinem Volk große Män¬
ner zu schassen. Rastlos und emsig schmilzt er aus dem Menschenstoff seine Fi¬
guren, je nach dem Bedürfniß der Zeit, bald Feldherrn, bald Poeten, Gelehrte
oder Volksmänner. Hundertmal verunglückt seine Arbeit ihm unter den Händen,
lange muß er sich mühen, bis er die rechte Figur zur rechten Zeit gefunden hat,
oft macht ein falscher Schnitt aus dem Helden eine Carricatur, aber alle Versuche
setzt er liebevoll unter uns und läßt sie zusehen, wie weit sie kommen und was
sie ausrichten. Und wenn außer manchem Andern zumeist zweierlei einen großen
Menschen macht, erstens eine starke treibende Lebenskraft, welche sich energisch und
dauerhaft in einem Wollen zu concentriren vermag, und zweitens ein Geist,wel¬
cher leicht und mühelos die Welt in sich aufnimmt und versteht; so hatte unser
Messenhauser allerdings nicht wenig Anlage, ein großer Mann zu werden. Eine
starke productive Lebenskraft war ihm nicht abzusprechen, in ihr wurzelte das
Selbstgefühl, welches ihm zuraunte, er sei zu Etwas bestimmt; aber sein Ver¬
ständniß der Welt war sehr unvollkommen, nicht nur deshalb, weil er wenig von
ihr kannte und wenig gelernt hatte,-sondern noch mehr deshalb, weil ihm die Kraft
fehlte, die Eindrücke von außen ruhig und vollständig in seiner Seele aufzunehmen,
er verwischte und zerstörte sich alle Bilder der Dinge, bevor ihre Daguerotypen
in ihm fertig waren, durch seine unruhige, unmäßige und übermächtige Phantasie,
und diese Krankheit, ein Leiden der Frauen, welches in Deutschland übrigens auch
bei Männern sehr häufig ist, hat ihm seinen Tod zugezogen. Friede sei mit seinem
G. F. Gedächtniß.




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[0482] gefunden sind: eine Geschichte des Alterthums in 10 Bänden (?!); ein Roman: die modernen Argonauten in 5 Bänden und ein Drama in 5 Acten: Gold wiegt schwer; außerdem Unvollendetes. Das erste ist wohl nichts als eine Privatarbeit zur eigenen Uebung und Belehrung; das zweite könnte unter pikan-- deren Titel das erwähnte Werk: „In Wien" sein, von einem Drama seiner Feder sprach er schon im Frühjahr. Die Leser seiner Novellen mögen urtheilen, ob das flüchtige Potrait dieses Blattes mit dem Eindruck stimmt, den die Lecture seiner Bücher von dem Autor gibt. Der gute Geist eines Volkes versucht unaufhörlich seinem Volk große Män¬ ner zu schassen. Rastlos und emsig schmilzt er aus dem Menschenstoff seine Fi¬ guren, je nach dem Bedürfniß der Zeit, bald Feldherrn, bald Poeten, Gelehrte oder Volksmänner. Hundertmal verunglückt seine Arbeit ihm unter den Händen, lange muß er sich mühen, bis er die rechte Figur zur rechten Zeit gefunden hat, oft macht ein falscher Schnitt aus dem Helden eine Carricatur, aber alle Versuche setzt er liebevoll unter uns und läßt sie zusehen, wie weit sie kommen und was sie ausrichten. Und wenn außer manchem Andern zumeist zweierlei einen großen Menschen macht, erstens eine starke treibende Lebenskraft, welche sich energisch und dauerhaft in einem Wollen zu concentriren vermag, und zweitens ein Geist,wel¬ cher leicht und mühelos die Welt in sich aufnimmt und versteht; so hatte unser Messenhauser allerdings nicht wenig Anlage, ein großer Mann zu werden. Eine starke productive Lebenskraft war ihm nicht abzusprechen, in ihr wurzelte das Selbstgefühl, welches ihm zuraunte, er sei zu Etwas bestimmt; aber sein Ver¬ ständniß der Welt war sehr unvollkommen, nicht nur deshalb, weil er wenig von ihr kannte und wenig gelernt hatte,-sondern noch mehr deshalb, weil ihm die Kraft fehlte, die Eindrücke von außen ruhig und vollständig in seiner Seele aufzunehmen, er verwischte und zerstörte sich alle Bilder der Dinge, bevor ihre Daguerotypen in ihm fertig waren, durch seine unruhige, unmäßige und übermächtige Phantasie, und diese Krankheit, ein Leiden der Frauen, welches in Deutschland übrigens auch bei Männern sehr häufig ist, hat ihm seinen Tod zugezogen. Friede sei mit seinem G. F. Gedächtniß.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/482>, abgerufen am 22.07.2024.