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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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schwere und unersetzbare Opfer kosten werde. Mit einem in der Geschichte
beispiellosen Leichtsinn rannten sie in ihr Verderben, verführt durch die
lockenden Erfolge der letzten Jahre; denn wenig mehr als ein Jahrzehend
war es, daß sie ihre zerstreuten, mit ungünstigen Verhältnissen kämpfen¬
den, aber zahlreichen Gegner herausforderten, und schon hatten sie über
die Nichtmagyaren bedeutende Vortheile errungen, da erschien die Revolution
von 1848. Die frühern Reichstage hatten den Magyarisirungseifer einiger Ultra's
entschieden begünstigt, und dadurch in den unterdrückten Völkern die Triebe
zum eignen bedrohten Volksthum nur um so mächtiger erregt. Die Revolution
kam, bevor uoch jene Magyarisirungsgesetze den großartigen Einfluß hatten aus¬
üben können, den man sich von ihm versprochen und bevor die Magyaren die
nöthigen Schritte zur Besänftigung der gereizten Stimmung gethan hatten. Gerade
diesen unterdrückten Völkern gab die Revolution die lange vorenthaltenen Rechte --
den Magyaren den Todesstoß. Dennoch drangen die in ihren nationalen Plänen
Getäuschten immer tollkühner vorwärts und wollten den gereizten Völkern statt der
bisherigen aristokratischen Herrschaft eine andere, noch weit drückendere und ver¬
haßtere aufzwingen -- die nationale, und zwar zu einer Zeit, wo die herrschenden
Classen der meisten Länder Europas die langjährigen Wünsche ihrer Untergebenen
zu befriedigen sich bestrebten.

Bereits seit dem Beginn der nationalen Bewegung hatten die Ultramagyaren
Ungarns ein Hauptaugenmerk auf Siebenbürgen gerichtet. Dort war ja das klas¬
sische Land ihrer "tapfern Brüder," der Szekler, dort waren ferner die reichen
Gold - und Erzgrube", aus deren Ertrage dereinst magyarische Flotten auf dem
Adriamecr unterhalten werden sollten. Das waren Gründe genng für eine Ver¬
einigung Siebenbürgens mit Ungarn, abgesehen davon, daß die historische Er¬
innerung beide Länder innig verband und Siebenbürgen auch in strategischer
Hinsicht ein wichtiger Posten war. Von dem kleinen Häuflein der Sachsen er¬
warteten sie nur geringen und -- zufolge ihrer angebornen Verachtung alles
Deutschen -- erfolglosen Widerstand; die große Zahl der Walachen war ihnen
von den Magyaren Siebenbürgens als zu roh und politisch ungebildet geschildert
worden, als daß sie der Vereinigung ein unübersteigliches Hinderniß in den Weg
zu legen im Stande sein würden. Es lag demnach, wie sie meinten, nur noch
an der Einwilligung des Kaisers. Die Gelegenheit bot sich in den Märztagen
dar; der Kaiser gewährte dem stürmischen Andrange der Magyaren auch diese un¬
heilbringende Forderung.

Nun kamen die sächsischen Abgeordneten, deren 22 Stimmen gegenüber der
Mehrzahl der Magyaren doch nichts durchgesetzt hätten, auf dem siebenbürgischen
Landtag am 30. Mai bei Verhandlung der Vereinigungsfrage in eine so mißliche
Lage, daß die Mehrheit derselben es für gerathen fand, der Vereinigung beider
Länder beizustimmen, obgleich es nicht im Sinne ihrer Sender geschah. Das war


schwere und unersetzbare Opfer kosten werde. Mit einem in der Geschichte
beispiellosen Leichtsinn rannten sie in ihr Verderben, verführt durch die
lockenden Erfolge der letzten Jahre; denn wenig mehr als ein Jahrzehend
war es, daß sie ihre zerstreuten, mit ungünstigen Verhältnissen kämpfen¬
den, aber zahlreichen Gegner herausforderten, und schon hatten sie über
die Nichtmagyaren bedeutende Vortheile errungen, da erschien die Revolution
von 1848. Die frühern Reichstage hatten den Magyarisirungseifer einiger Ultra's
entschieden begünstigt, und dadurch in den unterdrückten Völkern die Triebe
zum eignen bedrohten Volksthum nur um so mächtiger erregt. Die Revolution
kam, bevor uoch jene Magyarisirungsgesetze den großartigen Einfluß hatten aus¬
üben können, den man sich von ihm versprochen und bevor die Magyaren die
nöthigen Schritte zur Besänftigung der gereizten Stimmung gethan hatten. Gerade
diesen unterdrückten Völkern gab die Revolution die lange vorenthaltenen Rechte —
den Magyaren den Todesstoß. Dennoch drangen die in ihren nationalen Plänen
Getäuschten immer tollkühner vorwärts und wollten den gereizten Völkern statt der
bisherigen aristokratischen Herrschaft eine andere, noch weit drückendere und ver¬
haßtere aufzwingen — die nationale, und zwar zu einer Zeit, wo die herrschenden
Classen der meisten Länder Europas die langjährigen Wünsche ihrer Untergebenen
zu befriedigen sich bestrebten.

Bereits seit dem Beginn der nationalen Bewegung hatten die Ultramagyaren
Ungarns ein Hauptaugenmerk auf Siebenbürgen gerichtet. Dort war ja das klas¬
sische Land ihrer „tapfern Brüder," der Szekler, dort waren ferner die reichen
Gold - und Erzgrube», aus deren Ertrage dereinst magyarische Flotten auf dem
Adriamecr unterhalten werden sollten. Das waren Gründe genng für eine Ver¬
einigung Siebenbürgens mit Ungarn, abgesehen davon, daß die historische Er¬
innerung beide Länder innig verband und Siebenbürgen auch in strategischer
Hinsicht ein wichtiger Posten war. Von dem kleinen Häuflein der Sachsen er¬
warteten sie nur geringen und — zufolge ihrer angebornen Verachtung alles
Deutschen — erfolglosen Widerstand; die große Zahl der Walachen war ihnen
von den Magyaren Siebenbürgens als zu roh und politisch ungebildet geschildert
worden, als daß sie der Vereinigung ein unübersteigliches Hinderniß in den Weg
zu legen im Stande sein würden. Es lag demnach, wie sie meinten, nur noch
an der Einwilligung des Kaisers. Die Gelegenheit bot sich in den Märztagen
dar; der Kaiser gewährte dem stürmischen Andrange der Magyaren auch diese un¬
heilbringende Forderung.

Nun kamen die sächsischen Abgeordneten, deren 22 Stimmen gegenüber der
Mehrzahl der Magyaren doch nichts durchgesetzt hätten, auf dem siebenbürgischen
Landtag am 30. Mai bei Verhandlung der Vereinigungsfrage in eine so mißliche
Lage, daß die Mehrheit derselben es für gerathen fand, der Vereinigung beider
Länder beizustimmen, obgleich es nicht im Sinne ihrer Sender geschah. Das war


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/462>, abgerufen am 25.12.2024.