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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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Der Kampf in Siebenbürgen.



"Graf Zay findet den Talisman der Größe Ungarns in der Magyarisirung
aller Bewohner und sagt: Ungarn werde dann erst groß und glücklich, wenn es
rein magyarisch werde. -- Wie Ungarn blos durch die magyarische Sprache groß
und glücklich werden könnte, ist unbegreiflich*). Wird es denn dadurch unter sich
einiger, wird es gewerbfleißiger, wird es gebildeter? wird es in der politischen
Wagschale gewichtiger? -- Wäre der Magyarismus der Talisman, so müßten
wir davon auch bis jetzt schon etwas bei den Magyaren bemerkt haben; diese
müßten als Muster der Civilisation sür alle Völker dastehen. Aber sehen wir
nicht vielmehr das Gegentheil? Sind die Magyaren selbst im Vergleich mit den
einheimischen Deutschen und Slowaken nicht zurück in der Cultur und Industrie?
Soll ich dies mit eignen Geständnissen der Magyaren beweisen? Mit eignen
Geständnissen, sage ich? --- Die Magyarensprache ist sür den Grafen Zay und für
alle ihm gleiche Eiferer, Pulszky, Kossuth, Hensclmann, Sonntag, Ioziporich
(lauter Kernmagyaren, das zeigen schon ihre echt hunnischen Namen!) nichts
anders als Belladonna; sie betäubt sie und beraubt sie aller Besonnenheit. --
Und'merkwürdig! bis jetzt geberden sich die echten Magyaren bei weitem weniger
wüthend, wie die übergetretenen Slowaken und Deutschen und ein paar Kroaten!"

So urtheilte 1843 der mit der Lage Ungarns innigst vertraute Johann von
CsaplvvicS in seinem Schriftchen: "Ueber Ungarns Industrie und Cultur." Seine
Worte verschollen damals. Der Nationalstolz hatte die Magyaren zu sehr geblen¬
det, als daß sie den Abgrund bemerkt hätten, der sich bei ihrem ungestümen Treiben
immer grausiger öffnete und sie zuletzt selbst zu verschlingen drohte. Es brauchte
wahrhaftig keinen großen politischen Scharfblick, um zur Ueberzeugung zu gelan¬
gen, daß der maßlose Eifer des ungarischen Reichstags, die Nichtmagyaren selbst
auf gewaltsamen Wege zu magyarisireu, im Lande einen Sturm hervorrufen müsse,
dessen Ende ungewiß und dessen siegreiche Bewältigung die Magyaren wenigstens



*) "Wir haben vielmehr der deutschen Sprache alles zu verdanken, was wir wissen
(mit Ausnahme der Klassiker). Selbst die Reformation lernten wir durch die deutsche Sprache
kennen."
Grenzboten. IV. Isis. 58
Der Kampf in Siebenbürgen.



„Graf Zay findet den Talisman der Größe Ungarns in der Magyarisirung
aller Bewohner und sagt: Ungarn werde dann erst groß und glücklich, wenn es
rein magyarisch werde. — Wie Ungarn blos durch die magyarische Sprache groß
und glücklich werden könnte, ist unbegreiflich*). Wird es denn dadurch unter sich
einiger, wird es gewerbfleißiger, wird es gebildeter? wird es in der politischen
Wagschale gewichtiger? — Wäre der Magyarismus der Talisman, so müßten
wir davon auch bis jetzt schon etwas bei den Magyaren bemerkt haben; diese
müßten als Muster der Civilisation sür alle Völker dastehen. Aber sehen wir
nicht vielmehr das Gegentheil? Sind die Magyaren selbst im Vergleich mit den
einheimischen Deutschen und Slowaken nicht zurück in der Cultur und Industrie?
Soll ich dies mit eignen Geständnissen der Magyaren beweisen? Mit eignen
Geständnissen, sage ich? —- Die Magyarensprache ist sür den Grafen Zay und für
alle ihm gleiche Eiferer, Pulszky, Kossuth, Hensclmann, Sonntag, Ioziporich
(lauter Kernmagyaren, das zeigen schon ihre echt hunnischen Namen!) nichts
anders als Belladonna; sie betäubt sie und beraubt sie aller Besonnenheit. —
Und'merkwürdig! bis jetzt geberden sich die echten Magyaren bei weitem weniger
wüthend, wie die übergetretenen Slowaken und Deutschen und ein paar Kroaten!"

So urtheilte 1843 der mit der Lage Ungarns innigst vertraute Johann von
CsaplvvicS in seinem Schriftchen: „Ueber Ungarns Industrie und Cultur." Seine
Worte verschollen damals. Der Nationalstolz hatte die Magyaren zu sehr geblen¬
det, als daß sie den Abgrund bemerkt hätten, der sich bei ihrem ungestümen Treiben
immer grausiger öffnete und sie zuletzt selbst zu verschlingen drohte. Es brauchte
wahrhaftig keinen großen politischen Scharfblick, um zur Ueberzeugung zu gelan¬
gen, daß der maßlose Eifer des ungarischen Reichstags, die Nichtmagyaren selbst
auf gewaltsamen Wege zu magyarisireu, im Lande einen Sturm hervorrufen müsse,
dessen Ende ungewiß und dessen siegreiche Bewältigung die Magyaren wenigstens



*) „Wir haben vielmehr der deutschen Sprache alles zu verdanken, was wir wissen
(mit Ausnahme der Klassiker). Selbst die Reformation lernten wir durch die deutsche Sprache
kennen."
Grenzboten. IV. Isis. 58
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[0461] Der Kampf in Siebenbürgen. „Graf Zay findet den Talisman der Größe Ungarns in der Magyarisirung aller Bewohner und sagt: Ungarn werde dann erst groß und glücklich, wenn es rein magyarisch werde. — Wie Ungarn blos durch die magyarische Sprache groß und glücklich werden könnte, ist unbegreiflich*). Wird es denn dadurch unter sich einiger, wird es gewerbfleißiger, wird es gebildeter? wird es in der politischen Wagschale gewichtiger? — Wäre der Magyarismus der Talisman, so müßten wir davon auch bis jetzt schon etwas bei den Magyaren bemerkt haben; diese müßten als Muster der Civilisation sür alle Völker dastehen. Aber sehen wir nicht vielmehr das Gegentheil? Sind die Magyaren selbst im Vergleich mit den einheimischen Deutschen und Slowaken nicht zurück in der Cultur und Industrie? Soll ich dies mit eignen Geständnissen der Magyaren beweisen? Mit eignen Geständnissen, sage ich? —- Die Magyarensprache ist sür den Grafen Zay und für alle ihm gleiche Eiferer, Pulszky, Kossuth, Hensclmann, Sonntag, Ioziporich (lauter Kernmagyaren, das zeigen schon ihre echt hunnischen Namen!) nichts anders als Belladonna; sie betäubt sie und beraubt sie aller Besonnenheit. — Und'merkwürdig! bis jetzt geberden sich die echten Magyaren bei weitem weniger wüthend, wie die übergetretenen Slowaken und Deutschen und ein paar Kroaten!" So urtheilte 1843 der mit der Lage Ungarns innigst vertraute Johann von CsaplvvicS in seinem Schriftchen: „Ueber Ungarns Industrie und Cultur." Seine Worte verschollen damals. Der Nationalstolz hatte die Magyaren zu sehr geblen¬ det, als daß sie den Abgrund bemerkt hätten, der sich bei ihrem ungestümen Treiben immer grausiger öffnete und sie zuletzt selbst zu verschlingen drohte. Es brauchte wahrhaftig keinen großen politischen Scharfblick, um zur Ueberzeugung zu gelan¬ gen, daß der maßlose Eifer des ungarischen Reichstags, die Nichtmagyaren selbst auf gewaltsamen Wege zu magyarisireu, im Lande einen Sturm hervorrufen müsse, dessen Ende ungewiß und dessen siegreiche Bewältigung die Magyaren wenigstens *) „Wir haben vielmehr der deutschen Sprache alles zu verdanken, was wir wissen (mit Ausnahme der Klassiker). Selbst die Reformation lernten wir durch die deutsche Sprache kennen." Grenzboten. IV. Isis. 58

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/461>, abgerufen am 22.07.2024.