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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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Staaten wurden nicht durch ein gemeinsames Interesse, sondern durch den Schat¬
ten einer allgemeinen Idee -- die Einheit Deutschlands -- zusammengehalten.
Ungefähr gleichzeitig mit dem preußischen Landtage strebte die constitutionelle Par¬
tei in Süddeutschland, sich wenigstens theoretisch zu einigen und mit den preußi¬
schen Liberalen zu vermitteln. Die "Deutsche Zeitung", so sehr sie sich ihrem
Ton und ihrer Haltung nach von dem ersten Jahrgang der Hallischen Jahrbücher
unterschied, hatte doch mit ihnen das gemeinsam, daß sie bei aller Opposition
gegen die unmittelbare Erscheinung des preußischen Staats an das Wesen dessel¬
ben die künftige Entwickelung Deutschlands anknüpfte. Sie wissen, wie damals
unser Rüge durch Gervinus' Programm geärgert wurde; er machte seinem Aer-
ger in Ihrem "Kasperle im Frack" Lust. Abgesehen von der persönlichen Anti¬
pathie, durch die unser philosophisch-humoristischer Sansculotte sich in der Regel be¬
stimmen läßt, war es die eigene politische Vergangenheit, die ihm hier in frem¬
der Gestalt vor Augen trat und seinen Unwillen erregte. Und doch war der alte
Junge im Herzen noch immer gut preußisch; wenn er im Anfang den Landtags-
verhandlungcn die souveräne Verachtung seines eiustudirten Radicalismus entge"
gensetzte, so bedürfte es nur einiger Aufmunterungen von meiner und Nößler's
Seite, daß er sich entschloß, die stenographischen Berichte in die Hand zu neh¬
men, und bald entdeckte, daß es sich hier doch um ganz andere Interessen han¬
delte, als die ans den Leipziger Bierbänkeu ventilirt wurden. Er ließ sich ver¬
führen, an die Opposition des preußischen Landtags in den Epigonen eine feu¬
rige Dankadresse zu erlassen, er schwärmte für Vincke und dachte an die Aufnahme
einer preußischen Oppositionszeitung in Berlin. Wenn er auch noch immer auf
mein Gardelieutenants-Bewußtsein stichelte, so war er doch darin mit mir einig,
in dem reorganisirten preußischen Staate den festen Kern zu einer Neubildung
Deutschlands zu suchen.

Man muß aber gestehe", daß damals -- in der günstigsten Situation von
der Welt -- die deutsche" Fürsten Alles, was irgend in ihren Kräften lag, auf
boten, sich für immer unmöglich zu machen. Gleichzeitig mit der wunderbaren
Thronrede unseres Friedrich Wilhelm, in der er versicherte, daß sich niemals el"
Stück Papier zwischen ihn, seinen Gott und sein "Volk" stellen solle, siel in
München die Komödie vou der schönen Lota. Wir waren frivol genng, uns
darüber zu amüsiren; Freund Althauö schrieb ein Märchen von der wunderwir-
keuden Reitpeitsche, dem Attribut der muntern Tochter Andalusiens, Arnold Rüge
richtete ein Glückwünschungsschrciben an die Siegerin über die Jesuiten, Sie
selber stellten das Portrait des "Mädchens aus der Fremde" über Ihrem Schreib¬
tisch aus. Nur ich dachte so moralisch, in den Grenzboten mit Venedey eine Koa¬
lition für die Tugend und gegen die Maitressen zu schließen. Scheu Sie, so
stand es mit uns. Aber diese Geschichte hat wunderbar auf Deutschlands mon¬
archische Gesinnung gewirkt; was sonst unerhört gewesen, nicht nur die liberale


Erenzbvtin. IV. ,"4". 56

Staaten wurden nicht durch ein gemeinsames Interesse, sondern durch den Schat¬
ten einer allgemeinen Idee — die Einheit Deutschlands — zusammengehalten.
Ungefähr gleichzeitig mit dem preußischen Landtage strebte die constitutionelle Par¬
tei in Süddeutschland, sich wenigstens theoretisch zu einigen und mit den preußi¬
schen Liberalen zu vermitteln. Die „Deutsche Zeitung", so sehr sie sich ihrem
Ton und ihrer Haltung nach von dem ersten Jahrgang der Hallischen Jahrbücher
unterschied, hatte doch mit ihnen das gemeinsam, daß sie bei aller Opposition
gegen die unmittelbare Erscheinung des preußischen Staats an das Wesen dessel¬
ben die künftige Entwickelung Deutschlands anknüpfte. Sie wissen, wie damals
unser Rüge durch Gervinus' Programm geärgert wurde; er machte seinem Aer-
ger in Ihrem „Kasperle im Frack" Lust. Abgesehen von der persönlichen Anti¬
pathie, durch die unser philosophisch-humoristischer Sansculotte sich in der Regel be¬
stimmen läßt, war es die eigene politische Vergangenheit, die ihm hier in frem¬
der Gestalt vor Augen trat und seinen Unwillen erregte. Und doch war der alte
Junge im Herzen noch immer gut preußisch; wenn er im Anfang den Landtags-
verhandlungcn die souveräne Verachtung seines eiustudirten Radicalismus entge»
gensetzte, so bedürfte es nur einiger Aufmunterungen von meiner und Nößler's
Seite, daß er sich entschloß, die stenographischen Berichte in die Hand zu neh¬
men, und bald entdeckte, daß es sich hier doch um ganz andere Interessen han¬
delte, als die ans den Leipziger Bierbänkeu ventilirt wurden. Er ließ sich ver¬
führen, an die Opposition des preußischen Landtags in den Epigonen eine feu¬
rige Dankadresse zu erlassen, er schwärmte für Vincke und dachte an die Aufnahme
einer preußischen Oppositionszeitung in Berlin. Wenn er auch noch immer auf
mein Gardelieutenants-Bewußtsein stichelte, so war er doch darin mit mir einig,
in dem reorganisirten preußischen Staate den festen Kern zu einer Neubildung
Deutschlands zu suchen.

Man muß aber gestehe», daß damals — in der günstigsten Situation von
der Welt — die deutsche» Fürsten Alles, was irgend in ihren Kräften lag, auf
boten, sich für immer unmöglich zu machen. Gleichzeitig mit der wunderbaren
Thronrede unseres Friedrich Wilhelm, in der er versicherte, daß sich niemals el»
Stück Papier zwischen ihn, seinen Gott und sein „Volk" stellen solle, siel in
München die Komödie vou der schönen Lota. Wir waren frivol genng, uns
darüber zu amüsiren; Freund Althauö schrieb ein Märchen von der wunderwir-
keuden Reitpeitsche, dem Attribut der muntern Tochter Andalusiens, Arnold Rüge
richtete ein Glückwünschungsschrciben an die Siegerin über die Jesuiten, Sie
selber stellten das Portrait des „Mädchens aus der Fremde" über Ihrem Schreib¬
tisch aus. Nur ich dachte so moralisch, in den Grenzboten mit Venedey eine Koa¬
lition für die Tugend und gegen die Maitressen zu schließen. Scheu Sie, so
stand es mit uns. Aber diese Geschichte hat wunderbar auf Deutschlands mon¬
archische Gesinnung gewirkt; was sonst unerhört gewesen, nicht nur die liberale


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/445>, abgerufen am 27.12.2024.