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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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leur. Malen Sie Sich die Scene noch einmal ans. Das souveräne preußische
Volk -- d. h. die Leipziger Schusterjungen, saßen auf den Bäumen im Hof des
Schützenhauses, theils drängten sie sich um die Tribüne, auf welcher ein Mann
sich auf einen Stuhl stellte und feierlich begann: "Im Namen der Freiheit und
Gleichheit!" "Es lebe der Herr de Marie!" unterbrach ihn der Souverän auf
dem Hofe, während der auf den Bäumen in ein unarticulirtcs Jauchzen ausbrach.
Er fuhr fort: "Im Namen der Freiheit und Gleichheit!" "Es lebe der Herr
de Marle!" schrie jubelnd das Volk. "Im Namen der Freiheit und Gleichheit!"
Und nochmals: "Es lebe der Herr de Marle!" Nach dieser Kiaftanstrengnng
wogte die bewegte Menge in großem, gegenstaudlosem Behagen -- ihres Daseins
göttergleich sich freuend -- durch einander, bis endlich nach einer längern Pause
jener Herr seine Absichten auseinandersetzte, ich weiß nicht, warum es sich eigent¬
lich handelte, doch schlug er zuletzt eine Petition um Absetzung der preußischen
Minister vor. Ein Anderer bemerkte: man solle den nächstens zusammentretender
preußischen Landtag abwarten, um dort weitere Schritte zu thun. Kaum hatte
er das gesagt, so schrie der Eine: Ein Jesuit! der zweite, ein Spion! er ist vom
Prinzen von Preußen angestiftet! er will die Inquisition einführen! Und heulend stürzte
sich das moderne Bewußtsein auf den unglückseligen Jesuiten, um ihn zu holzen.

Sehen Sie, lieber Friedmann, um sich in dergleichen einzulassen, muß man
entweder Kurt's Fäuste haben oder in seinem FuchSscmcster stehen. Von der Art
waren nämlich alle politischen Versammlungen des Gesindels, welches Sie Ihre
Partei zu nennen belieben. Allerdings gab es auch hier Meinungsfreiheit, man
konnte verschiedener Ansicht darüber sein, ob mau diesem oder jenem "Jesuiten"
rechts oder links die Fenster einwerfen sollte, obgleich auch hier ein abweichendes
Votum bedenklich war, sobald der Leithammel ein ernstes Wort gesprochen hatte.
Da man in diesen Versammlungen, die zum größten Theil aus den ungebildeten
Volksklassen zusammengesetzt waren, stets damit anfing, die Einsicht und das Ur¬
theil eines verehrlichen Publikums als über alle Anfechtung erhaben darzustellen,
so mußte natürlich jeder Versuch, dieses infallible Publikum in etwas belehren zu
wollen, in den dringenden Verdacht reactionärer Gestuuuug bringen, und da das¬
selbe in den Fäusten stärker ist als mit der Zunge, so war eine handgreifliche
Manifestation eines solchen Verdachts nur in der Ordnung.

Freilich wenn ein eigentlicher Volkssührer, ein Mann, der durch lauge Be¬
kanntschaft der Masse wirklich Herr war, die Versammlung lenkte, -- ein Blum,
ein Held -- so war man vor unmittelbaren Aeußerungen der Volkssouverünität
in etwas gesichert. Herr Held sagte dann etwa: Volk, du bist viel zu groß, als
daß felle Verdächtigungen dich irgendwie kränken könnten, zeige, daß du gro߬
müthig bist, wo du zermalmen könntest, laß den Burschen laufen u. s. w., je
nach der oratorischen Richtung, die er gerade eingeschlagen hatte. Sagen Sie
mir, werther Fremd, ist das etwa eine Lage, in der man sich Wohlgefallen kann?


leur. Malen Sie Sich die Scene noch einmal ans. Das souveräne preußische
Volk — d. h. die Leipziger Schusterjungen, saßen auf den Bäumen im Hof des
Schützenhauses, theils drängten sie sich um die Tribüne, auf welcher ein Mann
sich auf einen Stuhl stellte und feierlich begann: „Im Namen der Freiheit und
Gleichheit!" „Es lebe der Herr de Marie!" unterbrach ihn der Souverän auf
dem Hofe, während der auf den Bäumen in ein unarticulirtcs Jauchzen ausbrach.
Er fuhr fort: „Im Namen der Freiheit und Gleichheit!" „Es lebe der Herr
de Marle!" schrie jubelnd das Volk. „Im Namen der Freiheit und Gleichheit!"
Und nochmals: „Es lebe der Herr de Marle!" Nach dieser Kiaftanstrengnng
wogte die bewegte Menge in großem, gegenstaudlosem Behagen — ihres Daseins
göttergleich sich freuend — durch einander, bis endlich nach einer längern Pause
jener Herr seine Absichten auseinandersetzte, ich weiß nicht, warum es sich eigent¬
lich handelte, doch schlug er zuletzt eine Petition um Absetzung der preußischen
Minister vor. Ein Anderer bemerkte: man solle den nächstens zusammentretender
preußischen Landtag abwarten, um dort weitere Schritte zu thun. Kaum hatte
er das gesagt, so schrie der Eine: Ein Jesuit! der zweite, ein Spion! er ist vom
Prinzen von Preußen angestiftet! er will die Inquisition einführen! Und heulend stürzte
sich das moderne Bewußtsein auf den unglückseligen Jesuiten, um ihn zu holzen.

Sehen Sie, lieber Friedmann, um sich in dergleichen einzulassen, muß man
entweder Kurt's Fäuste haben oder in seinem FuchSscmcster stehen. Von der Art
waren nämlich alle politischen Versammlungen des Gesindels, welches Sie Ihre
Partei zu nennen belieben. Allerdings gab es auch hier Meinungsfreiheit, man
konnte verschiedener Ansicht darüber sein, ob mau diesem oder jenem „Jesuiten"
rechts oder links die Fenster einwerfen sollte, obgleich auch hier ein abweichendes
Votum bedenklich war, sobald der Leithammel ein ernstes Wort gesprochen hatte.
Da man in diesen Versammlungen, die zum größten Theil aus den ungebildeten
Volksklassen zusammengesetzt waren, stets damit anfing, die Einsicht und das Ur¬
theil eines verehrlichen Publikums als über alle Anfechtung erhaben darzustellen,
so mußte natürlich jeder Versuch, dieses infallible Publikum in etwas belehren zu
wollen, in den dringenden Verdacht reactionärer Gestuuuug bringen, und da das¬
selbe in den Fäusten stärker ist als mit der Zunge, so war eine handgreifliche
Manifestation eines solchen Verdachts nur in der Ordnung.

Freilich wenn ein eigentlicher Volkssührer, ein Mann, der durch lauge Be¬
kanntschaft der Masse wirklich Herr war, die Versammlung lenkte, — ein Blum,
ein Held — so war man vor unmittelbaren Aeußerungen der Volkssouverünität
in etwas gesichert. Herr Held sagte dann etwa: Volk, du bist viel zu groß, als
daß felle Verdächtigungen dich irgendwie kränken könnten, zeige, daß du gro߬
müthig bist, wo du zermalmen könntest, laß den Burschen laufen u. s. w., je
nach der oratorischen Richtung, die er gerade eingeschlagen hatte. Sagen Sie
mir, werther Fremd, ist das etwa eine Lage, in der man sich Wohlgefallen kann?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/443>, abgerufen am 26.12.2024.