Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Ungarn und Italien werden darin vom Gesichtspunkte der Integrität deS Kaiser¬
staates und der Centralistrung der Executivgewalt für die Föderation deutlich be¬
grenzt, obwohl von der beabsichtigten Organisation dieser Staatsverbindungen
noch keine nähern Details angegeben werden. Aber die neue Staatsgewalt spricht
doch offen ein politisches System aus, dessen Konsequenzen durch eine Besiegung
der ungarischen Nepeal, durch die Erhaltung der Lombardei und durch die staat¬
liche Trennung Oestreichs von Deutschland nothwendig bedingt werden. Diesem
System steht die einheitliche Macht der Armeen zu Gebote und eine compacte
Kammermajorität (falls dieselbe überhaupt bei einem so vielgliedrigen Reichstage
zu berücksichtigen ist) wird dem Ordnungsstreben der Regierung den moralischen
Nachdruck geben. Vergleichen Sie nun diese Lage unserer politischen Verhältnisse
mit jener vor dem October, so wird Ihnen die Anarchie, welche sich damals aus
dem Ministerrathe durch alle Parteien und Stände verbreiten mußte, erklärlich
werden. Die Männer, welche das Ruder in Händen hatten, kannten weder das
Ziel, nach welchem sie steuern sollten, noch die eigenthümliche Structur des Staats¬
schiffes und das Fahrwasser, in welchem sie sich am sichersten bewegen könnten.
Das Ministerium Wessenberg-Bach-Latour hatte es mit allen Parteien versucht,
wollte hinter dem Rücken des Volkes und der Kammer die Nationalangelegenhei¬
ten in Ungarn, Deutschland und Italien ordnen, kokettirte nach Rechts und Links,
mit Deutschen und Czechen, mit den Demokraten und dem Hofe. So kam es,
daß keine Partei mehr Vertrauen zur Regierung und zum Staate selbst hatte.
Die Mutige Metzelei am 6. Oct. zwischen Bürgergarden im Innern der Stadt
gab den traurigen Beweis, wie tief bereits die allgemeine Verzweiflung in den
Herzen der Gesellschaft sich eingenistet hatte. Dieselbe Verzweiflung trieb auf der
einen Seite die radicale Partei in die Waffen und in die Arme der Ungarn --
auf der andern Seite ließ sich der Rumpf des Ministeriums zum willenlosen Werk¬
zeug des Hofes und der Armee gebrauchen. Der Conflict mußte durch das
Schwert gelöst werden. Robert Blum und seine Genossen am Richtplatze büßten
für die Sünden einer unverständigen Regierung -- während sie für die Freiheit
zu sterben glaubten.

Ich will hier keineswegs den Wahnwitz vieler Wiener Demagogen beschönigen.
Die wahren Demokraten, welchen es um eine schnelle und systematische Organisation
des östreichischen Staates zu thun ist, müssen sich jetzt noch einer unverzeihlicher
Schwäche beschuldigen, daß sie, aus Rücksicht für die ganze deutsche Partei, nicht
offen und energisch dem hohlen Treiben jener wenigen Industrieritter entgegenge¬
treten sind. Es konnte dies um so leichter geschehen, da der gesunde Sinn, die
Empfänglichkeit für wahren Patriotismus im östreichischen Volke mit echter Frei¬
heitsliebe gepaart ist. Ich rede hier nicht von den Herren des Wiener Gemeinde¬
raths und der großen Börse, welche sich jetzt eben so tief vor dem Kriegsgerichte
beugen als früher vor dem Centralausschusse der demokratischen Vereine. Die


55*

Ungarn und Italien werden darin vom Gesichtspunkte der Integrität deS Kaiser¬
staates und der Centralistrung der Executivgewalt für die Föderation deutlich be¬
grenzt, obwohl von der beabsichtigten Organisation dieser Staatsverbindungen
noch keine nähern Details angegeben werden. Aber die neue Staatsgewalt spricht
doch offen ein politisches System aus, dessen Konsequenzen durch eine Besiegung
der ungarischen Nepeal, durch die Erhaltung der Lombardei und durch die staat¬
liche Trennung Oestreichs von Deutschland nothwendig bedingt werden. Diesem
System steht die einheitliche Macht der Armeen zu Gebote und eine compacte
Kammermajorität (falls dieselbe überhaupt bei einem so vielgliedrigen Reichstage
zu berücksichtigen ist) wird dem Ordnungsstreben der Regierung den moralischen
Nachdruck geben. Vergleichen Sie nun diese Lage unserer politischen Verhältnisse
mit jener vor dem October, so wird Ihnen die Anarchie, welche sich damals aus
dem Ministerrathe durch alle Parteien und Stände verbreiten mußte, erklärlich
werden. Die Männer, welche das Ruder in Händen hatten, kannten weder das
Ziel, nach welchem sie steuern sollten, noch die eigenthümliche Structur des Staats¬
schiffes und das Fahrwasser, in welchem sie sich am sichersten bewegen könnten.
Das Ministerium Wessenberg-Bach-Latour hatte es mit allen Parteien versucht,
wollte hinter dem Rücken des Volkes und der Kammer die Nationalangelegenhei¬
ten in Ungarn, Deutschland und Italien ordnen, kokettirte nach Rechts und Links,
mit Deutschen und Czechen, mit den Demokraten und dem Hofe. So kam es,
daß keine Partei mehr Vertrauen zur Regierung und zum Staate selbst hatte.
Die Mutige Metzelei am 6. Oct. zwischen Bürgergarden im Innern der Stadt
gab den traurigen Beweis, wie tief bereits die allgemeine Verzweiflung in den
Herzen der Gesellschaft sich eingenistet hatte. Dieselbe Verzweiflung trieb auf der
einen Seite die radicale Partei in die Waffen und in die Arme der Ungarn —
auf der andern Seite ließ sich der Rumpf des Ministeriums zum willenlosen Werk¬
zeug des Hofes und der Armee gebrauchen. Der Conflict mußte durch das
Schwert gelöst werden. Robert Blum und seine Genossen am Richtplatze büßten
für die Sünden einer unverständigen Regierung — während sie für die Freiheit
zu sterben glaubten.

Ich will hier keineswegs den Wahnwitz vieler Wiener Demagogen beschönigen.
Die wahren Demokraten, welchen es um eine schnelle und systematische Organisation
des östreichischen Staates zu thun ist, müssen sich jetzt noch einer unverzeihlicher
Schwäche beschuldigen, daß sie, aus Rücksicht für die ganze deutsche Partei, nicht
offen und energisch dem hohlen Treiben jener wenigen Industrieritter entgegenge¬
treten sind. Es konnte dies um so leichter geschehen, da der gesunde Sinn, die
Empfänglichkeit für wahren Patriotismus im östreichischen Volke mit echter Frei¬
heitsliebe gepaart ist. Ich rede hier nicht von den Herren des Wiener Gemeinde¬
raths und der großen Börse, welche sich jetzt eben so tief vor dem Kriegsgerichte
beugen als früher vor dem Centralausschusse der demokratischen Vereine. Die


55*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0439" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/277195"/>
            <p xml:id="ID_1349" prev="#ID_1348"> Ungarn und Italien werden darin vom Gesichtspunkte der Integrität deS Kaiser¬<lb/>
staates und der Centralistrung der Executivgewalt für die Föderation deutlich be¬<lb/>
grenzt, obwohl von der beabsichtigten Organisation dieser Staatsverbindungen<lb/>
noch keine nähern Details angegeben werden. Aber die neue Staatsgewalt spricht<lb/>
doch offen ein politisches System aus, dessen Konsequenzen durch eine Besiegung<lb/>
der ungarischen Nepeal, durch die Erhaltung der Lombardei und durch die staat¬<lb/>
liche Trennung Oestreichs von Deutschland nothwendig bedingt werden. Diesem<lb/>
System steht die einheitliche Macht der Armeen zu Gebote und eine compacte<lb/>
Kammermajorität (falls dieselbe überhaupt bei einem so vielgliedrigen Reichstage<lb/>
zu berücksichtigen ist) wird dem Ordnungsstreben der Regierung den moralischen<lb/>
Nachdruck geben. Vergleichen Sie nun diese Lage unserer politischen Verhältnisse<lb/>
mit jener vor dem October, so wird Ihnen die Anarchie, welche sich damals aus<lb/>
dem Ministerrathe durch alle Parteien und Stände verbreiten mußte, erklärlich<lb/>
werden. Die Männer, welche das Ruder in Händen hatten, kannten weder das<lb/>
Ziel, nach welchem sie steuern sollten, noch die eigenthümliche Structur des Staats¬<lb/>
schiffes und das Fahrwasser, in welchem sie sich am sichersten bewegen könnten.<lb/>
Das Ministerium Wessenberg-Bach-Latour hatte es mit allen Parteien versucht,<lb/>
wollte hinter dem Rücken des Volkes und der Kammer die Nationalangelegenhei¬<lb/>
ten in Ungarn, Deutschland und Italien ordnen, kokettirte nach Rechts und Links,<lb/>
mit Deutschen und Czechen, mit den Demokraten und dem Hofe. So kam es,<lb/>
daß keine Partei mehr Vertrauen zur Regierung und zum Staate selbst hatte.<lb/>
Die Mutige Metzelei am 6. Oct. zwischen Bürgergarden im Innern der Stadt<lb/>
gab den traurigen Beweis, wie tief bereits die allgemeine Verzweiflung in den<lb/>
Herzen der Gesellschaft sich eingenistet hatte. Dieselbe Verzweiflung trieb auf der<lb/>
einen Seite die radicale Partei in die Waffen und in die Arme der Ungarn &#x2014;<lb/>
auf der andern Seite ließ sich der Rumpf des Ministeriums zum willenlosen Werk¬<lb/>
zeug des Hofes und der Armee gebrauchen.  Der Conflict mußte durch das<lb/>
Schwert gelöst werden. Robert Blum und seine Genossen am Richtplatze büßten<lb/>
für die Sünden einer unverständigen Regierung &#x2014; während sie für die Freiheit<lb/>
zu sterben glaubten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1350" next="#ID_1351"> Ich will hier keineswegs den Wahnwitz vieler Wiener Demagogen beschönigen.<lb/>
Die wahren Demokraten, welchen es um eine schnelle und systematische Organisation<lb/>
des östreichischen Staates zu thun ist, müssen sich jetzt noch einer unverzeihlicher<lb/>
Schwäche beschuldigen, daß sie, aus Rücksicht für die ganze deutsche Partei, nicht<lb/>
offen und energisch dem hohlen Treiben jener wenigen Industrieritter entgegenge¬<lb/>
treten sind. Es konnte dies um so leichter geschehen, da der gesunde Sinn, die<lb/>
Empfänglichkeit für wahren Patriotismus im östreichischen Volke mit echter Frei¬<lb/>
heitsliebe gepaart ist. Ich rede hier nicht von den Herren des Wiener Gemeinde¬<lb/>
raths und der großen Börse, welche sich jetzt eben so tief vor dem Kriegsgerichte<lb/>
beugen als früher vor dem Centralausschusse der demokratischen Vereine. Die</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> 55*</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0439] Ungarn und Italien werden darin vom Gesichtspunkte der Integrität deS Kaiser¬ staates und der Centralistrung der Executivgewalt für die Föderation deutlich be¬ grenzt, obwohl von der beabsichtigten Organisation dieser Staatsverbindungen noch keine nähern Details angegeben werden. Aber die neue Staatsgewalt spricht doch offen ein politisches System aus, dessen Konsequenzen durch eine Besiegung der ungarischen Nepeal, durch die Erhaltung der Lombardei und durch die staat¬ liche Trennung Oestreichs von Deutschland nothwendig bedingt werden. Diesem System steht die einheitliche Macht der Armeen zu Gebote und eine compacte Kammermajorität (falls dieselbe überhaupt bei einem so vielgliedrigen Reichstage zu berücksichtigen ist) wird dem Ordnungsstreben der Regierung den moralischen Nachdruck geben. Vergleichen Sie nun diese Lage unserer politischen Verhältnisse mit jener vor dem October, so wird Ihnen die Anarchie, welche sich damals aus dem Ministerrathe durch alle Parteien und Stände verbreiten mußte, erklärlich werden. Die Männer, welche das Ruder in Händen hatten, kannten weder das Ziel, nach welchem sie steuern sollten, noch die eigenthümliche Structur des Staats¬ schiffes und das Fahrwasser, in welchem sie sich am sichersten bewegen könnten. Das Ministerium Wessenberg-Bach-Latour hatte es mit allen Parteien versucht, wollte hinter dem Rücken des Volkes und der Kammer die Nationalangelegenhei¬ ten in Ungarn, Deutschland und Italien ordnen, kokettirte nach Rechts und Links, mit Deutschen und Czechen, mit den Demokraten und dem Hofe. So kam es, daß keine Partei mehr Vertrauen zur Regierung und zum Staate selbst hatte. Die Mutige Metzelei am 6. Oct. zwischen Bürgergarden im Innern der Stadt gab den traurigen Beweis, wie tief bereits die allgemeine Verzweiflung in den Herzen der Gesellschaft sich eingenistet hatte. Dieselbe Verzweiflung trieb auf der einen Seite die radicale Partei in die Waffen und in die Arme der Ungarn — auf der andern Seite ließ sich der Rumpf des Ministeriums zum willenlosen Werk¬ zeug des Hofes und der Armee gebrauchen. Der Conflict mußte durch das Schwert gelöst werden. Robert Blum und seine Genossen am Richtplatze büßten für die Sünden einer unverständigen Regierung — während sie für die Freiheit zu sterben glaubten. Ich will hier keineswegs den Wahnwitz vieler Wiener Demagogen beschönigen. Die wahren Demokraten, welchen es um eine schnelle und systematische Organisation des östreichischen Staates zu thun ist, müssen sich jetzt noch einer unverzeihlicher Schwäche beschuldigen, daß sie, aus Rücksicht für die ganze deutsche Partei, nicht offen und energisch dem hohlen Treiben jener wenigen Industrieritter entgegenge¬ treten sind. Es konnte dies um so leichter geschehen, da der gesunde Sinn, die Empfänglichkeit für wahren Patriotismus im östreichischen Volke mit echter Frei¬ heitsliebe gepaart ist. Ich rede hier nicht von den Herren des Wiener Gemeinde¬ raths und der großen Börse, welche sich jetzt eben so tief vor dem Kriegsgerichte beugen als früher vor dem Centralausschusse der demokratischen Vereine. Die 55*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/439
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/439>, abgerufen am 22.07.2024.