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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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wegen entgegen zu arbeiten -- dies scheinen allerdings Anordnungen im Geiste
des alten Bundestages zu sein. Wenn man hierbei immer die Versicherung im Munde
führte, daß dem Volke Nichts an den Rechten, welche es im März errungen, ge¬
schmälert werden solle, so konnte dies einer Nation von einigen 30 Millionen
gegenüber nur wie Hohn oder innere Beängstigung vor deren ausbrechendem An¬
muth klingen. Aber diese Nation hatte ihre Kraft, wie es sich trotz aller demo¬
kratischen Agitationen zeigt, in den Märztagen bereits ausgegeben, die Deutschen
wollen die revolutionäre Kost erst innerlich verdauen und in alle Glieder und
Säfte ausnehmen -- alle Erhebungen "wie Ein Mann," alle "Schreie der Ent¬
rüstung," welche seither in den deutschen Gauen sich kundgaben, waren nur ner¬
vöse Zuckungen, eine Folge der ungewohnten Aufregung im heurigen Jahre. Dies
wurde mir immer klarer, je mehr und je aufmerksamer ich die Demonstrationen
der Volkssouveränität am Rhein und in dem als republikanisch gepriesenen denk"
schen Süden beobachtet hatte. Ich kehrte damals mit der festen Ueberzeugung
nach Wien zurück, daß jedes weitere Hinaustragen der Revolution über das im
März gesteckte Ziel nur die kopflose Arroganz der xetit-natlle-z und demnächst
eine allgemeine Reaction zur Herrschaft bringen würde.

Begreifen Sie daher, daß ich damals Ihren offenen Brief mit der darin
enthaltenen Bekehrungspredigt als bereits erledigt zur Seite legte. Die wenige
Tage darauf ausgebrochene Octoberrevolution hat mit blutigen Lettern geantwortet.
Auch für die Einsicht der Demokraten gab es diesmal ein "zu spät!" Die Waffen
mußten entscheiden, wo von beiden Seiten, von Oben wie von Unten, der kalte
Verstand das Urtheil aufgegeben hatte. Es wird Ihnen mindestens menschlich
scheinen, daß auch in diesem Kampfe mein "jugendlicher Enthusiasmus," obwohl
mir der Ausgang, so wie er kam, in keinem Augenblicke zweifelhaft war, doch
mit jener "Partei" hielt, welche im Reichstagssaale gegen die Ungesetzlichkeit der
Windischgrätz'schen Proclamationen Verwahrung einlegte. Wie Sie jetzt ans der
geschickten Handhabung des Standrechts in Wien ersehen, wurde bereits vor dem
22. October dem Ehrgefühle der Wiener keine andere Wahl gelassen, als den
Kampf aufzunehmen oder sich Capitulationsbedingnngen zu unterwerfen, welche
eine offene Verhöhnung jeder Menschenwürde enthielten. Wer die Kämpfenden
und ihre Aeußerungen beobachtete, mußte erkennen, daß nicht mehr politische Ueber¬
zeugungen, sondern die tiefste Erbitterung, die Verzweiflung des physischen Wider¬
standes den armen Wienern die Waffen in die Hand gedrückt hatte. Das Wort
"Republik" wurde nirgends ausgesprochen, eben so wenig als irgend eine andere
Parole aus die "Fahne des Aufruhrs" geschrieben war. Man fühlte nur mehr
die Nothwendigkeit, daß der Platz nicht mehr ohne Sieg oder Niederlage geräumt
werden könne, sobald die HcranLforderung und der erste Schuß in dem unseligen
Zweikampf geschehen war.

Ein Sieg des Volkes hätte wahrscheinlich zu gar keiner faktischen Entschei-


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wegen entgegen zu arbeiten — dies scheinen allerdings Anordnungen im Geiste
des alten Bundestages zu sein. Wenn man hierbei immer die Versicherung im Munde
führte, daß dem Volke Nichts an den Rechten, welche es im März errungen, ge¬
schmälert werden solle, so konnte dies einer Nation von einigen 30 Millionen
gegenüber nur wie Hohn oder innere Beängstigung vor deren ausbrechendem An¬
muth klingen. Aber diese Nation hatte ihre Kraft, wie es sich trotz aller demo¬
kratischen Agitationen zeigt, in den Märztagen bereits ausgegeben, die Deutschen
wollen die revolutionäre Kost erst innerlich verdauen und in alle Glieder und
Säfte ausnehmen — alle Erhebungen „wie Ein Mann," alle „Schreie der Ent¬
rüstung," welche seither in den deutschen Gauen sich kundgaben, waren nur ner¬
vöse Zuckungen, eine Folge der ungewohnten Aufregung im heurigen Jahre. Dies
wurde mir immer klarer, je mehr und je aufmerksamer ich die Demonstrationen
der Volkssouveränität am Rhein und in dem als republikanisch gepriesenen denk»
schen Süden beobachtet hatte. Ich kehrte damals mit der festen Ueberzeugung
nach Wien zurück, daß jedes weitere Hinaustragen der Revolution über das im
März gesteckte Ziel nur die kopflose Arroganz der xetit-natlle-z und demnächst
eine allgemeine Reaction zur Herrschaft bringen würde.

Begreifen Sie daher, daß ich damals Ihren offenen Brief mit der darin
enthaltenen Bekehrungspredigt als bereits erledigt zur Seite legte. Die wenige
Tage darauf ausgebrochene Octoberrevolution hat mit blutigen Lettern geantwortet.
Auch für die Einsicht der Demokraten gab es diesmal ein „zu spät!" Die Waffen
mußten entscheiden, wo von beiden Seiten, von Oben wie von Unten, der kalte
Verstand das Urtheil aufgegeben hatte. Es wird Ihnen mindestens menschlich
scheinen, daß auch in diesem Kampfe mein „jugendlicher Enthusiasmus," obwohl
mir der Ausgang, so wie er kam, in keinem Augenblicke zweifelhaft war, doch
mit jener „Partei" hielt, welche im Reichstagssaale gegen die Ungesetzlichkeit der
Windischgrätz'schen Proclamationen Verwahrung einlegte. Wie Sie jetzt ans der
geschickten Handhabung des Standrechts in Wien ersehen, wurde bereits vor dem
22. October dem Ehrgefühle der Wiener keine andere Wahl gelassen, als den
Kampf aufzunehmen oder sich Capitulationsbedingnngen zu unterwerfen, welche
eine offene Verhöhnung jeder Menschenwürde enthielten. Wer die Kämpfenden
und ihre Aeußerungen beobachtete, mußte erkennen, daß nicht mehr politische Ueber¬
zeugungen, sondern die tiefste Erbitterung, die Verzweiflung des physischen Wider¬
standes den armen Wienern die Waffen in die Hand gedrückt hatte. Das Wort
„Republik" wurde nirgends ausgesprochen, eben so wenig als irgend eine andere
Parole aus die „Fahne des Aufruhrs" geschrieben war. Man fühlte nur mehr
die Nothwendigkeit, daß der Platz nicht mehr ohne Sieg oder Niederlage geräumt
werden könne, sobald die HcranLforderung und der erste Schuß in dem unseligen
Zweikampf geschehen war.

Ein Sieg des Volkes hätte wahrscheinlich zu gar keiner faktischen Entschei-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/437>, abgerufen am 22.07.2024.