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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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Standebene, Produkte der alten Verderbniß hinein, die ideale Demokratie wurde
der Tummelplatz wüster Leidenschaft. Diese Erscheinung führte zu dem Hecker'schen
Aufstand, obwohl das ideale Element hier noch überwog.

Die Linke wurde von diesen Elementen theils fortgerissen, theils inficirt.
Sie koqnettirte mit denselben und suchte sich darauf zu stützen, oder sie wenigstens
als Schreckbild zu benutzen. Aber im Interesse der Idee, die sie verfocht, war
Niemand so verpflichtet, den radicalen Elementen ein "bis Hieher und nicht weiter"
zuzurufen, als die Linke. Ihre Aufgabe war die parlamentarische Negierung Deutsch¬
lands zu gründen. Diese Idee konnte nnr gelingen, wenn das Parlament der
Schauplatz aller überlegenen geistigen Kräfte der Nation wurde, so daß die legi¬
timen Gewalten durch seine imponirende Intelligenz und polirische Fähigkeit auf
die lokale Autorität eingeschränkt und gefügige Organe des Ccntralwillens blieben.
Die Idee mußte mißlingen, wenn der letzte Rest lokaler Autorität zerstört wurde.
Dann herrschte nicht mehr die Intelligenz, sondern die Willkür aufgeregter Massen,
die von der Sophistik jedes Winkcldemagogen irre geleitet werden. Das Parla¬
ment konnte sein Ansehen nnr aus der produktiven Kraft für die großen gemein¬
samen Nationalverhältnisse schöpfen, nicht aus der Einmischung in die Lokalange-
lcgenheiten. Die Republikaner wollten selbst keine ktepulzli,juo uno et in^ivisibls,
sondern eine untergeordnete Selbstständigkeit. Aber wo sollte das Parlament die
Macht und Handhaben herbekommen, aus dem Schutthaufen ein haltbares Ge¬
bäude aufzubauen? ES war klar, daß die fortgesetzte Zerstörung zum Untergang
oder -- und das war viel wahrscheinlicher -- durch den Instinkt der Selbsterhal¬
tung zur Reaction führen mußte.

Wie verstand uun die Linke ihre Aufgabe? Sie repräsentirte im Anfange
die reinen Flegeljahre der Demokratie, ein kindisches Wohlgefallen an der Dikta¬
tur, eine kleinliche Revanche an den Fürsten, überall Bürgermeister absetzen, Re¬
gimenter dislociren, den Regierungen Cabinctsordres zuschicken, den Bundestag
verhöhnen, der jetzt aus Männern der Opposition bestand ze. :c.

Die parlamentarische Regierung erfordert eine Execntivgewalt mit weitgesteckten
Befugnissen bei strenger Verantwortlichkeit, die sich ans umfassende Resultate, auf
große Abschnitte ihrer Thätigkeit erstrecken muß, damit sich in der Regierung die
gediegene Einheit einer gebildeten Subjectivität ausdrückt, ohne welche ihre
Schöpfungen widerspruchsvoll, lebeusnnfähige Mißgeburten sind. Der Execntiv¬
gewalt muß aber dann die Appellation an Neuwahlen freistehen. Die Linke ver¬
zerrte den Wunsch nach parlamentarischer Regierung zu dem ungeberdigen Verlan¬
gen nach einem Convent, der einen Vollziehnngscmsschuß, d. h. ein mechanisches
Instrument nnter sich hat, welches für jede Einzelnhcit der Bestimmung die Ge¬
nehmigung der Versammlung einholt. Eine einfache, aber unendlich hohe Vor¬
stellung, welche zu wahnwitzigen Experimenten führt, deren trauriger Ausgang
den Völkern Europas noch hinreichend im Gedächtniß ist.


Standebene, Produkte der alten Verderbniß hinein, die ideale Demokratie wurde
der Tummelplatz wüster Leidenschaft. Diese Erscheinung führte zu dem Hecker'schen
Aufstand, obwohl das ideale Element hier noch überwog.

Die Linke wurde von diesen Elementen theils fortgerissen, theils inficirt.
Sie koqnettirte mit denselben und suchte sich darauf zu stützen, oder sie wenigstens
als Schreckbild zu benutzen. Aber im Interesse der Idee, die sie verfocht, war
Niemand so verpflichtet, den radicalen Elementen ein „bis Hieher und nicht weiter"
zuzurufen, als die Linke. Ihre Aufgabe war die parlamentarische Negierung Deutsch¬
lands zu gründen. Diese Idee konnte nnr gelingen, wenn das Parlament der
Schauplatz aller überlegenen geistigen Kräfte der Nation wurde, so daß die legi¬
timen Gewalten durch seine imponirende Intelligenz und polirische Fähigkeit auf
die lokale Autorität eingeschränkt und gefügige Organe des Ccntralwillens blieben.
Die Idee mußte mißlingen, wenn der letzte Rest lokaler Autorität zerstört wurde.
Dann herrschte nicht mehr die Intelligenz, sondern die Willkür aufgeregter Massen,
die von der Sophistik jedes Winkcldemagogen irre geleitet werden. Das Parla¬
ment konnte sein Ansehen nnr aus der produktiven Kraft für die großen gemein¬
samen Nationalverhältnisse schöpfen, nicht aus der Einmischung in die Lokalange-
lcgenheiten. Die Republikaner wollten selbst keine ktepulzli,juo uno et in^ivisibls,
sondern eine untergeordnete Selbstständigkeit. Aber wo sollte das Parlament die
Macht und Handhaben herbekommen, aus dem Schutthaufen ein haltbares Ge¬
bäude aufzubauen? ES war klar, daß die fortgesetzte Zerstörung zum Untergang
oder — und das war viel wahrscheinlicher — durch den Instinkt der Selbsterhal¬
tung zur Reaction führen mußte.

Wie verstand uun die Linke ihre Aufgabe? Sie repräsentirte im Anfange
die reinen Flegeljahre der Demokratie, ein kindisches Wohlgefallen an der Dikta¬
tur, eine kleinliche Revanche an den Fürsten, überall Bürgermeister absetzen, Re¬
gimenter dislociren, den Regierungen Cabinctsordres zuschicken, den Bundestag
verhöhnen, der jetzt aus Männern der Opposition bestand ze. :c.

Die parlamentarische Regierung erfordert eine Execntivgewalt mit weitgesteckten
Befugnissen bei strenger Verantwortlichkeit, die sich ans umfassende Resultate, auf
große Abschnitte ihrer Thätigkeit erstrecken muß, damit sich in der Regierung die
gediegene Einheit einer gebildeten Subjectivität ausdrückt, ohne welche ihre
Schöpfungen widerspruchsvoll, lebeusnnfähige Mißgeburten sind. Der Execntiv¬
gewalt muß aber dann die Appellation an Neuwahlen freistehen. Die Linke ver¬
zerrte den Wunsch nach parlamentarischer Regierung zu dem ungeberdigen Verlan¬
gen nach einem Convent, der einen Vollziehnngscmsschuß, d. h. ein mechanisches
Instrument nnter sich hat, welches für jede Einzelnhcit der Bestimmung die Ge¬
nehmigung der Versammlung einholt. Eine einfache, aber unendlich hohe Vor¬
stellung, welche zu wahnwitzigen Experimenten führt, deren trauriger Ausgang
den Völkern Europas noch hinreichend im Gedächtniß ist.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/433>, abgerufen am 26.12.2024.