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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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Das alte System war nicht nur in seinen obersten Trägern, sondern in seinen
ganzen Organismen total discreditirt und sür den Augenblick völlig machtlos.
Hätten in der Zeit, wo die alten Regierungsgewalten gelähmt und so gut wie
suspendirt waren, neue Kräfte eine gedeihliche Wirksamkeit entfaltet, so hätte das
Alte nie sein Haupt erhoben. Darauf rechnete man. Der Revolution, die eigent¬
lich nur die Declaration einer allgemeinen Ueberzeugung war, -- die physische
Anstrengung war nicht der Rede werth, ein Ruck, -- war ein langer geistiger
Kampf vorausgegangen. Man konnte erwarten, daß die Opposition, die ihre
geistige Ueberlegenheit so lange bewährt hatte, nun die positive Arbeit machen
werde. Auch hoffte man, daß zahlreich verborgene Kräfte emporquellen würden.
Ihnen und den bewährten Freiheitskämpfern wollte man die Zukunft anvertrauen,
in einer großartigen parlamentarischen Negierung nach englischem Muster, und
fürchtete keine Widerstandsfähigkeit von Seiten der gestürzten Gewalten.

Man wollte eine innere Landessouveränität mit den Fürsten bestehen lassen,
so weit sie den großen Nationalzusammenhang nicht unmittelbar berühre. An der
Spitze der Reichsregierung wollte man einen Präsidenten. Dieser Titel drückte
keine republikanischen Sympathien aus, sondern die Abneigung gegen das leere
Gepränge einer neuen Krone. Als die Namen Reichsverweser, Reichsstatthalter
hervorgesucht wurden, ließ man sich dieselben als besser klingend gefallen und hatte
nichts dagegen, diese Würde einem Prinzen oder regierenden Fürsten zu übertragen.

Nun zeigte sich aber der Unterschied zwischen Kritik, Theorie, literarischer
Opposition und praktischer Staatskunst. Die siegreichen Theorien waren noch lange
keine hohlen, wie uns das alte Regime weiß machen wollte, weil sie vielfacher
Umbildung, Bestimmung und Abklärung durch die Praxis bedurften; aber sie
waren unmittelbar nicht zu gebrauchen. Es ist besser so, daß die uncomprom-
mittirten Männer der alten Praxis sich bekehren, ihre praktische Uebung in den
Dienst der neuen Ideen stellen, daß die bildungsfähigen Theoretiker der alten
Opposition mit Jener Hilfe sich bei dem neuen Aufbau praktisch Schulen und es
kann nicht anders sein. Das hatten wir im Rausch des März vergessen, als wir
glaubten, die Theorie käme aus dem frischen Boden. Aber daß die radikalen
Ideen eine so schmachvolle Niederlage erlitten, ist die Schuld bestimmter Subjecte.

Die radikalen Ideen zu vertreten, war die Aufgabe der Linken zu Frankfurt.
Die allgemeine Sympathie wandte sich ihr bei der Eröffnung des Parlaments um
so lebhafter zu, als ein Theil der Wahlen besorgnißerregend ausgefallen war.
Die Listen der Abgeordneten zeigten Ultramontane, Torys, Bureaukraten, Doctri-
närs und einige Koryphäen des alten Systems, wie Nadowitz.

Noch vor Eröffnung des Parlaments begann der schäumende Wem der Re¬
volution anzugehen anstatt sich zu klären. Der anhaltende Rausch eines unerwar¬
teten Sieges nach einem langen geistigen Kampfe mußte sich nnnatmlich steigern
und zu phantastischen Ausgeburten führen. Sofort mischten sich unlautere Be-


Das alte System war nicht nur in seinen obersten Trägern, sondern in seinen
ganzen Organismen total discreditirt und sür den Augenblick völlig machtlos.
Hätten in der Zeit, wo die alten Regierungsgewalten gelähmt und so gut wie
suspendirt waren, neue Kräfte eine gedeihliche Wirksamkeit entfaltet, so hätte das
Alte nie sein Haupt erhoben. Darauf rechnete man. Der Revolution, die eigent¬
lich nur die Declaration einer allgemeinen Ueberzeugung war, — die physische
Anstrengung war nicht der Rede werth, ein Ruck, — war ein langer geistiger
Kampf vorausgegangen. Man konnte erwarten, daß die Opposition, die ihre
geistige Ueberlegenheit so lange bewährt hatte, nun die positive Arbeit machen
werde. Auch hoffte man, daß zahlreich verborgene Kräfte emporquellen würden.
Ihnen und den bewährten Freiheitskämpfern wollte man die Zukunft anvertrauen,
in einer großartigen parlamentarischen Negierung nach englischem Muster, und
fürchtete keine Widerstandsfähigkeit von Seiten der gestürzten Gewalten.

Man wollte eine innere Landessouveränität mit den Fürsten bestehen lassen,
so weit sie den großen Nationalzusammenhang nicht unmittelbar berühre. An der
Spitze der Reichsregierung wollte man einen Präsidenten. Dieser Titel drückte
keine republikanischen Sympathien aus, sondern die Abneigung gegen das leere
Gepränge einer neuen Krone. Als die Namen Reichsverweser, Reichsstatthalter
hervorgesucht wurden, ließ man sich dieselben als besser klingend gefallen und hatte
nichts dagegen, diese Würde einem Prinzen oder regierenden Fürsten zu übertragen.

Nun zeigte sich aber der Unterschied zwischen Kritik, Theorie, literarischer
Opposition und praktischer Staatskunst. Die siegreichen Theorien waren noch lange
keine hohlen, wie uns das alte Regime weiß machen wollte, weil sie vielfacher
Umbildung, Bestimmung und Abklärung durch die Praxis bedurften; aber sie
waren unmittelbar nicht zu gebrauchen. Es ist besser so, daß die uncomprom-
mittirten Männer der alten Praxis sich bekehren, ihre praktische Uebung in den
Dienst der neuen Ideen stellen, daß die bildungsfähigen Theoretiker der alten
Opposition mit Jener Hilfe sich bei dem neuen Aufbau praktisch Schulen und es
kann nicht anders sein. Das hatten wir im Rausch des März vergessen, als wir
glaubten, die Theorie käme aus dem frischen Boden. Aber daß die radikalen
Ideen eine so schmachvolle Niederlage erlitten, ist die Schuld bestimmter Subjecte.

Die radikalen Ideen zu vertreten, war die Aufgabe der Linken zu Frankfurt.
Die allgemeine Sympathie wandte sich ihr bei der Eröffnung des Parlaments um
so lebhafter zu, als ein Theil der Wahlen besorgnißerregend ausgefallen war.
Die Listen der Abgeordneten zeigten Ultramontane, Torys, Bureaukraten, Doctri-
närs und einige Koryphäen des alten Systems, wie Nadowitz.

Noch vor Eröffnung des Parlaments begann der schäumende Wem der Re¬
volution anzugehen anstatt sich zu klären. Der anhaltende Rausch eines unerwar¬
teten Sieges nach einem langen geistigen Kampfe mußte sich nnnatmlich steigern
und zu phantastischen Ausgeburten führen. Sofort mischten sich unlautere Be-


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[0432] Das alte System war nicht nur in seinen obersten Trägern, sondern in seinen ganzen Organismen total discreditirt und sür den Augenblick völlig machtlos. Hätten in der Zeit, wo die alten Regierungsgewalten gelähmt und so gut wie suspendirt waren, neue Kräfte eine gedeihliche Wirksamkeit entfaltet, so hätte das Alte nie sein Haupt erhoben. Darauf rechnete man. Der Revolution, die eigent¬ lich nur die Declaration einer allgemeinen Ueberzeugung war, — die physische Anstrengung war nicht der Rede werth, ein Ruck, — war ein langer geistiger Kampf vorausgegangen. Man konnte erwarten, daß die Opposition, die ihre geistige Ueberlegenheit so lange bewährt hatte, nun die positive Arbeit machen werde. Auch hoffte man, daß zahlreich verborgene Kräfte emporquellen würden. Ihnen und den bewährten Freiheitskämpfern wollte man die Zukunft anvertrauen, in einer großartigen parlamentarischen Negierung nach englischem Muster, und fürchtete keine Widerstandsfähigkeit von Seiten der gestürzten Gewalten. Man wollte eine innere Landessouveränität mit den Fürsten bestehen lassen, so weit sie den großen Nationalzusammenhang nicht unmittelbar berühre. An der Spitze der Reichsregierung wollte man einen Präsidenten. Dieser Titel drückte keine republikanischen Sympathien aus, sondern die Abneigung gegen das leere Gepränge einer neuen Krone. Als die Namen Reichsverweser, Reichsstatthalter hervorgesucht wurden, ließ man sich dieselben als besser klingend gefallen und hatte nichts dagegen, diese Würde einem Prinzen oder regierenden Fürsten zu übertragen. Nun zeigte sich aber der Unterschied zwischen Kritik, Theorie, literarischer Opposition und praktischer Staatskunst. Die siegreichen Theorien waren noch lange keine hohlen, wie uns das alte Regime weiß machen wollte, weil sie vielfacher Umbildung, Bestimmung und Abklärung durch die Praxis bedurften; aber sie waren unmittelbar nicht zu gebrauchen. Es ist besser so, daß die uncomprom- mittirten Männer der alten Praxis sich bekehren, ihre praktische Uebung in den Dienst der neuen Ideen stellen, daß die bildungsfähigen Theoretiker der alten Opposition mit Jener Hilfe sich bei dem neuen Aufbau praktisch Schulen und es kann nicht anders sein. Das hatten wir im Rausch des März vergessen, als wir glaubten, die Theorie käme aus dem frischen Boden. Aber daß die radikalen Ideen eine so schmachvolle Niederlage erlitten, ist die Schuld bestimmter Subjecte. Die radikalen Ideen zu vertreten, war die Aufgabe der Linken zu Frankfurt. Die allgemeine Sympathie wandte sich ihr bei der Eröffnung des Parlaments um so lebhafter zu, als ein Theil der Wahlen besorgnißerregend ausgefallen war. Die Listen der Abgeordneten zeigten Ultramontane, Torys, Bureaukraten, Doctri- närs und einige Koryphäen des alten Systems, wie Nadowitz. Noch vor Eröffnung des Parlaments begann der schäumende Wem der Re¬ volution anzugehen anstatt sich zu klären. Der anhaltende Rausch eines unerwar¬ teten Sieges nach einem langen geistigen Kampfe mußte sich nnnatmlich steigern und zu phantastischen Ausgeburten führen. Sofort mischten sich unlautere Be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/432>, abgerufen am 27.12.2024.