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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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der Schwerpunkt Beider soll in Eins fallen. Der Schwerpunkt Preußens läßt sich
nicht nach Frankfurt verlegen, also muß die ReichSregiernng und das Parlament
nach Berlin verlegt werden. Werden die Männer in Frankfurt diese Konsequenz
haben, wird die öffentliche Meinung sie in derselben unterstützen und werden diese
beiden uns helfen? .

Ist dieser Plan unmöglich, so gibt es nur noch eine Weise, das Werk der
deutschen Einigung über den Stand der alten Bundesverfassung hinauszuführen.
Um sie zu würdigen müssen wir auf die Geschichte des deutschen VerfassnngsplaneS
seit den Märztagen zurückgehen.

Der Dcchlmann'sche sogenannte Siebzehner-Entwurf erfuhr bei seinem Erschei¬
nen von den verschiedensten Seiten die entschiedenste Ungunst. Seitdem ist oft
behauptet worden, es sei diesem Entwurf Unrecht geschehen und die Zeit habe ihn
gerechtfertigt. Wir glauben noch heute das Gegentheil. Die Bildung des Staaten¬
hauses, damals noch Oberhaus genannt, war eine gänzlich verfehlte durch die
Vertretung der Fürsten neben den Staaten, also als Privatpersonen, durch unge¬
rechte Vertheilnng der Mitglieder auf die einzelnen Staaten, ein Punkt, in dem
Dahlmann seitdem nichts gelernt hat. Das hohle Gepränge des Kaisertitels mußte
die Nation verletzen, auch den verständigen Theil, der sich nicht zum Republika-
nismus hinreißen ließ, in einem Augenblicke, wo man nur eine lange Kette un¬
verzeihlicher Fehler von Seiten der Fürsten vor Augen sah, wo Deutschland be¬
sonders durch die doctrinäre Romantik unsäglich gelitten hatte. Die langen Wahl¬
perioden der Abgeordneten waren ganz ungeeignet in einer Zeit der Verjüngung
und neu auftauchender Ideen. Der Entwurf war ein gothischer Riegel vor eine
vielversprechende Bewegung, keineswegs die Vorzeichnung zu einem großartig ru¬
higen Lauf. Der Hauptvorwurf aber ist, daß der Entwurf seine Jntensionen
versteckte. Er war eine Spottgebnrt, wenn man einen andern Kaiser als den
Träger der Krone Preußen dachte. Diese Intension war verschwiegen. Der Ent¬
wurf setzte endlich den Austritt Oestreichs voraus, ohne ihn zu fordern. Wer
diese Jntensionen nicht kannte, wandte sich von dem Entwürfe als einer Unmög¬
lichkeit ab, wer sie errieth, den verdroß der Anschein, als solle die preußische
Oberherrschaft durch Intrigue eingeführt werden. Dazu die chinesische Sprache
der Motive, das Gerede von der galten Gewohnheit des Gehorsams und den
schmerzlichen Opfern der Fürsten im Freudenrausch eiuer noch nicht befleckten Re¬
volution. Wie sehr die Stimmung sich geändert, das Königthum hält sich durch
die Ueberzeugung von seiner Nützlichkeit, als politische Institution, aber nicht durch
die alte Gewohnheit des Gehorsams, das kann man selbst aus den Adressen der
"Mit Gott sür König und Vaterlandsvereine" herauslesen.

Diesem Entwurf gegenüber stellte der Radikalismus einen ganz andern Plan.
Der naive und unverdorbene Radikalismus des März ist nicht zu verwechseln mit
dem heutigen, welcher nur der Bodensatz des damaligen ist.


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der Schwerpunkt Beider soll in Eins fallen. Der Schwerpunkt Preußens läßt sich
nicht nach Frankfurt verlegen, also muß die ReichSregiernng und das Parlament
nach Berlin verlegt werden. Werden die Männer in Frankfurt diese Konsequenz
haben, wird die öffentliche Meinung sie in derselben unterstützen und werden diese
beiden uns helfen? .

Ist dieser Plan unmöglich, so gibt es nur noch eine Weise, das Werk der
deutschen Einigung über den Stand der alten Bundesverfassung hinauszuführen.
Um sie zu würdigen müssen wir auf die Geschichte des deutschen VerfassnngsplaneS
seit den Märztagen zurückgehen.

Der Dcchlmann'sche sogenannte Siebzehner-Entwurf erfuhr bei seinem Erschei¬
nen von den verschiedensten Seiten die entschiedenste Ungunst. Seitdem ist oft
behauptet worden, es sei diesem Entwurf Unrecht geschehen und die Zeit habe ihn
gerechtfertigt. Wir glauben noch heute das Gegentheil. Die Bildung des Staaten¬
hauses, damals noch Oberhaus genannt, war eine gänzlich verfehlte durch die
Vertretung der Fürsten neben den Staaten, also als Privatpersonen, durch unge¬
rechte Vertheilnng der Mitglieder auf die einzelnen Staaten, ein Punkt, in dem
Dahlmann seitdem nichts gelernt hat. Das hohle Gepränge des Kaisertitels mußte
die Nation verletzen, auch den verständigen Theil, der sich nicht zum Republika-
nismus hinreißen ließ, in einem Augenblicke, wo man nur eine lange Kette un¬
verzeihlicher Fehler von Seiten der Fürsten vor Augen sah, wo Deutschland be¬
sonders durch die doctrinäre Romantik unsäglich gelitten hatte. Die langen Wahl¬
perioden der Abgeordneten waren ganz ungeeignet in einer Zeit der Verjüngung
und neu auftauchender Ideen. Der Entwurf war ein gothischer Riegel vor eine
vielversprechende Bewegung, keineswegs die Vorzeichnung zu einem großartig ru¬
higen Lauf. Der Hauptvorwurf aber ist, daß der Entwurf seine Jntensionen
versteckte. Er war eine Spottgebnrt, wenn man einen andern Kaiser als den
Träger der Krone Preußen dachte. Diese Intension war verschwiegen. Der Ent¬
wurf setzte endlich den Austritt Oestreichs voraus, ohne ihn zu fordern. Wer
diese Jntensionen nicht kannte, wandte sich von dem Entwürfe als einer Unmög¬
lichkeit ab, wer sie errieth, den verdroß der Anschein, als solle die preußische
Oberherrschaft durch Intrigue eingeführt werden. Dazu die chinesische Sprache
der Motive, das Gerede von der galten Gewohnheit des Gehorsams und den
schmerzlichen Opfern der Fürsten im Freudenrausch eiuer noch nicht befleckten Re¬
volution. Wie sehr die Stimmung sich geändert, das Königthum hält sich durch
die Ueberzeugung von seiner Nützlichkeit, als politische Institution, aber nicht durch
die alte Gewohnheit des Gehorsams, das kann man selbst aus den Adressen der
„Mit Gott sür König und Vaterlandsvereine" herauslesen.

Diesem Entwurf gegenüber stellte der Radikalismus einen ganz andern Plan.
Der naive und unverdorbene Radikalismus des März ist nicht zu verwechseln mit
dem heutigen, welcher nur der Bodensatz des damaligen ist.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/431>, abgerufen am 27.12.2024.