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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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Oestreich Ungarn gegenüber nie die Stellung einer bildenden, sondern stets einer hem¬
menden Gewalt eingenommen hat, daß seit den Zeiten der französischen Revolution die
Ideen der Demokratie und des constitutionellen Staatslebens das alte Band zwischen
beiden Völkern wieder anknüpften, daß endlich Ungarns Zukunft nur durch die Idee
einer solchen innigen Verbindung sich aufhellt -- so kann man ihm einerseits zurufen:
venis sie" nrl'voi-t?, Air. .lossü! andrerseits aber sieht man doch daraus, welche Ideen
schon im Jahre 1847 die sogenannte patriotische Partei in Ungarn mit sich herumtrug.

Also ein französischer Papst war es, der Ungarn zum Christenthum bekehrte.
Eine französische Dynastie führte das Land in die Reihe der civilisirten Nationen ein.
Der ungarische Adel behielt auch nach der Wahl eines östreichischen Königs das Recht
der Jnsurrection, das ihm durch sein Reichsgrnndgesctz, die goldne Bulle von 1222,
garantirt war. Der Adel allein gab dem König seine Heere und war dafür steuerfrei.
"Man berief die Schaaren, indem man königliche Boten im Lande umhersandte, die einen
blanken, mit Blut bestrichenen Säbel trugen. An die Magnaten richtete man Briefe
in der Art des folgenden: "Wir Nikolaus von Szirma, Graf von Szolnok, thun
zu wissen, daß unser Herr und erlauchter König befiehlt, daß man sich gegen die tar-
tarischen Hunde bewaffne, einvcrständig mit dem Woiwoden. Kommt also bis zum
fünfzehnten Tag, sonst verliert Ihr Eure Köpfe. Gegeben am ersten Ostertag des
Jahres 1382."

Bis zur Einverleibung in Oestreich streng katholisch, wie es einem Volke ziemt, dessen vor¬
züglichster Beruf die Bekämpfung der Ungläubigen war, trat der Adel aus Opposition gegen das
katholische Oestreich zum Protestantismus über, und zwar in der französischen Form, wie
er durch Calvin festgestellt war. Ludwig XIV. unterstützte den Aufstand der Ungarn.
Als durch Annahme der pragmatischen Sanction 1722 auch die weibliche Erbfolge
Oestreichs gesichert war, konnte nur die Persönlichkeit Maria Theresia's dem Gesetz Le¬
ben verschaffen. "Diese Königin hatte die Ungarn gefesselt, indem sie sie vorzüglich
zu würdigen verstand und sich ihnen anschmiegte, dann indem sie ihnen Anlaß gab,
Ruhm zu erwerben und öffentlich ihren ritterlichen Charakter bewunderte. Die hinrei¬
ßende Gewalt, welche sie über ein von Natur enthusiastisches Volk ausübte, eignete sie
ganz dazu, ein Werk zu unternehmen, das auch mir einzig sie vollenden konnte. Sie
versuchte Diejenigen einzuschläfern, die ihre Vorgänger nicht hatten überwältigen kön¬
nen. Die Söhne jener rauhen Krieger, die die Waffe" so lange gegen den Kaiser
getragen, wurden nach Wien gelockt und mit Gnaden überhäuft. Die Kaiserin kannte
sie Alle, nannte sie Alle, verheirathete sie Alle an ihre Oestrcicheriunen und wurde die
Taufmutter ihrer Kinder.

Es ist merkwürdig, in den Schlössern Ungarns die Gallerien von Familienbild-
nisscn zu sehen. Die Männer haben jenes heroische Aussehn, wie man sich diese kühnen
Reiter vorstellt, die fast Alle zuletzt in irgend einem Gefecht gegen die Türken
umkamen. Die Frauen sind streng und schwermüthig, wie es denn auch in der That
sein mußte.

Von Maria Theresia an wird Alles anders, sowohl die Gesichter, als der Aus¬
druck der Personen. Man sieht es ihnen an, daß sie am Wiener Hofe aufgetreten
sind und schöne Manieren gelernt haben. Der Abstand ist auffallend am ersten Mag¬
naten, der eine Deutsche ehelichte. Der Ungarn allein nimmt eine Ecke der Leinwand
ein. Er steht würdevoll, die Linke am Griff des krummen Säbels, die Rechte führt
einen Streitkolben. Furchtbare Sporen sind an seine gelben Halbstiefcl befestigt. Er
trägt einen langen Dolman, mit Borten besetzt und ein goldgesticktes Husarenbeinkleid;


Oestreich Ungarn gegenüber nie die Stellung einer bildenden, sondern stets einer hem¬
menden Gewalt eingenommen hat, daß seit den Zeiten der französischen Revolution die
Ideen der Demokratie und des constitutionellen Staatslebens das alte Band zwischen
beiden Völkern wieder anknüpften, daß endlich Ungarns Zukunft nur durch die Idee
einer solchen innigen Verbindung sich aufhellt — so kann man ihm einerseits zurufen:
venis sie« nrl'voi-t?, Air. .lossü! andrerseits aber sieht man doch daraus, welche Ideen
schon im Jahre 1847 die sogenannte patriotische Partei in Ungarn mit sich herumtrug.

Also ein französischer Papst war es, der Ungarn zum Christenthum bekehrte.
Eine französische Dynastie führte das Land in die Reihe der civilisirten Nationen ein.
Der ungarische Adel behielt auch nach der Wahl eines östreichischen Königs das Recht
der Jnsurrection, das ihm durch sein Reichsgrnndgesctz, die goldne Bulle von 1222,
garantirt war. Der Adel allein gab dem König seine Heere und war dafür steuerfrei.
„Man berief die Schaaren, indem man königliche Boten im Lande umhersandte, die einen
blanken, mit Blut bestrichenen Säbel trugen. An die Magnaten richtete man Briefe
in der Art des folgenden: „Wir Nikolaus von Szirma, Graf von Szolnok, thun
zu wissen, daß unser Herr und erlauchter König befiehlt, daß man sich gegen die tar-
tarischen Hunde bewaffne, einvcrständig mit dem Woiwoden. Kommt also bis zum
fünfzehnten Tag, sonst verliert Ihr Eure Köpfe. Gegeben am ersten Ostertag des
Jahres 1382."

Bis zur Einverleibung in Oestreich streng katholisch, wie es einem Volke ziemt, dessen vor¬
züglichster Beruf die Bekämpfung der Ungläubigen war, trat der Adel aus Opposition gegen das
katholische Oestreich zum Protestantismus über, und zwar in der französischen Form, wie
er durch Calvin festgestellt war. Ludwig XIV. unterstützte den Aufstand der Ungarn.
Als durch Annahme der pragmatischen Sanction 1722 auch die weibliche Erbfolge
Oestreichs gesichert war, konnte nur die Persönlichkeit Maria Theresia's dem Gesetz Le¬
ben verschaffen. „Diese Königin hatte die Ungarn gefesselt, indem sie sie vorzüglich
zu würdigen verstand und sich ihnen anschmiegte, dann indem sie ihnen Anlaß gab,
Ruhm zu erwerben und öffentlich ihren ritterlichen Charakter bewunderte. Die hinrei¬
ßende Gewalt, welche sie über ein von Natur enthusiastisches Volk ausübte, eignete sie
ganz dazu, ein Werk zu unternehmen, das auch mir einzig sie vollenden konnte. Sie
versuchte Diejenigen einzuschläfern, die ihre Vorgänger nicht hatten überwältigen kön¬
nen. Die Söhne jener rauhen Krieger, die die Waffe» so lange gegen den Kaiser
getragen, wurden nach Wien gelockt und mit Gnaden überhäuft. Die Kaiserin kannte
sie Alle, nannte sie Alle, verheirathete sie Alle an ihre Oestrcicheriunen und wurde die
Taufmutter ihrer Kinder.

Es ist merkwürdig, in den Schlössern Ungarns die Gallerien von Familienbild-
nisscn zu sehen. Die Männer haben jenes heroische Aussehn, wie man sich diese kühnen
Reiter vorstellt, die fast Alle zuletzt in irgend einem Gefecht gegen die Türken
umkamen. Die Frauen sind streng und schwermüthig, wie es denn auch in der That
sein mußte.

Von Maria Theresia an wird Alles anders, sowohl die Gesichter, als der Aus¬
druck der Personen. Man sieht es ihnen an, daß sie am Wiener Hofe aufgetreten
sind und schöne Manieren gelernt haben. Der Abstand ist auffallend am ersten Mag¬
naten, der eine Deutsche ehelichte. Der Ungarn allein nimmt eine Ecke der Leinwand
ein. Er steht würdevoll, die Linke am Griff des krummen Säbels, die Rechte führt
einen Streitkolben. Furchtbare Sporen sind an seine gelben Halbstiefcl befestigt. Er
trägt einen langen Dolman, mit Borten besetzt und ein goldgesticktes Husarenbeinkleid;


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[0392] Oestreich Ungarn gegenüber nie die Stellung einer bildenden, sondern stets einer hem¬ menden Gewalt eingenommen hat, daß seit den Zeiten der französischen Revolution die Ideen der Demokratie und des constitutionellen Staatslebens das alte Band zwischen beiden Völkern wieder anknüpften, daß endlich Ungarns Zukunft nur durch die Idee einer solchen innigen Verbindung sich aufhellt — so kann man ihm einerseits zurufen: venis sie« nrl'voi-t?, Air. .lossü! andrerseits aber sieht man doch daraus, welche Ideen schon im Jahre 1847 die sogenannte patriotische Partei in Ungarn mit sich herumtrug. Also ein französischer Papst war es, der Ungarn zum Christenthum bekehrte. Eine französische Dynastie führte das Land in die Reihe der civilisirten Nationen ein. Der ungarische Adel behielt auch nach der Wahl eines östreichischen Königs das Recht der Jnsurrection, das ihm durch sein Reichsgrnndgesctz, die goldne Bulle von 1222, garantirt war. Der Adel allein gab dem König seine Heere und war dafür steuerfrei. „Man berief die Schaaren, indem man königliche Boten im Lande umhersandte, die einen blanken, mit Blut bestrichenen Säbel trugen. An die Magnaten richtete man Briefe in der Art des folgenden: „Wir Nikolaus von Szirma, Graf von Szolnok, thun zu wissen, daß unser Herr und erlauchter König befiehlt, daß man sich gegen die tar- tarischen Hunde bewaffne, einvcrständig mit dem Woiwoden. Kommt also bis zum fünfzehnten Tag, sonst verliert Ihr Eure Köpfe. Gegeben am ersten Ostertag des Jahres 1382." Bis zur Einverleibung in Oestreich streng katholisch, wie es einem Volke ziemt, dessen vor¬ züglichster Beruf die Bekämpfung der Ungläubigen war, trat der Adel aus Opposition gegen das katholische Oestreich zum Protestantismus über, und zwar in der französischen Form, wie er durch Calvin festgestellt war. Ludwig XIV. unterstützte den Aufstand der Ungarn. Als durch Annahme der pragmatischen Sanction 1722 auch die weibliche Erbfolge Oestreichs gesichert war, konnte nur die Persönlichkeit Maria Theresia's dem Gesetz Le¬ ben verschaffen. „Diese Königin hatte die Ungarn gefesselt, indem sie sie vorzüglich zu würdigen verstand und sich ihnen anschmiegte, dann indem sie ihnen Anlaß gab, Ruhm zu erwerben und öffentlich ihren ritterlichen Charakter bewunderte. Die hinrei¬ ßende Gewalt, welche sie über ein von Natur enthusiastisches Volk ausübte, eignete sie ganz dazu, ein Werk zu unternehmen, das auch mir einzig sie vollenden konnte. Sie versuchte Diejenigen einzuschläfern, die ihre Vorgänger nicht hatten überwältigen kön¬ nen. Die Söhne jener rauhen Krieger, die die Waffe» so lange gegen den Kaiser getragen, wurden nach Wien gelockt und mit Gnaden überhäuft. Die Kaiserin kannte sie Alle, nannte sie Alle, verheirathete sie Alle an ihre Oestrcicheriunen und wurde die Taufmutter ihrer Kinder. Es ist merkwürdig, in den Schlössern Ungarns die Gallerien von Familienbild- nisscn zu sehen. Die Männer haben jenes heroische Aussehn, wie man sich diese kühnen Reiter vorstellt, die fast Alle zuletzt in irgend einem Gefecht gegen die Türken umkamen. Die Frauen sind streng und schwermüthig, wie es denn auch in der That sein mußte. Von Maria Theresia an wird Alles anders, sowohl die Gesichter, als der Aus¬ druck der Personen. Man sieht es ihnen an, daß sie am Wiener Hofe aufgetreten sind und schöne Manieren gelernt haben. Der Abstand ist auffallend am ersten Mag¬ naten, der eine Deutsche ehelichte. Der Ungarn allein nimmt eine Ecke der Leinwand ein. Er steht würdevoll, die Linke am Griff des krummen Säbels, die Rechte führt einen Streitkolben. Furchtbare Sporen sind an seine gelben Halbstiefcl befestigt. Er trägt einen langen Dolman, mit Borten besetzt und ein goldgesticktes Husarenbeinkleid;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/392>, abgerufen am 25.12.2024.