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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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Geschichte, besonders der Hohenstaufen, sattsam Zeugniß ablegt. Uebrigens hat
es sich auch kein einziges Mal mehr rein und unvermischt den Vertretern des
Reichs und Volkseinheit entgegengestemmt, sondern immer nur mit anderen revo¬
lutionären Tendenzen zusammen. So z. B. in der Empörung der Sachsen gegen
Heinrich IV., bei Heinrich dem Löwen und sonst.

Alle neuen Einzelstaatbildungen -- sie datiren bekanntlich meist aus dem 11.
und 12. Jahrhundert -- beruhen auf den damals die Zeit beherrschenden Prin¬
cipien des Lehnswesens und haben mit ihm seine verschiedenen Phasen von der
älteren strengen Abhängigkeit vom Lehnsherrn und Staatsoberhaupt bis zu der
freien christlichen Stellung der an Land und Leuten reicheren Vasallen durchgemacht,
bis auch dieses Princip mit dem Beginn der neueren Geschichte sich ausgelebt hatte.
Von da an machte ein jeder der bisherigen Territorialherren den Versuch, aus
seinen Ländern oder Ländchen einen modernen Staat zu bilden, nicht jeder ge¬
schickt und glücklich. Die Veränderungen in dem Besitzstand innerhalb der deut¬
schen Reichsgrenzen seit dem 16. Jahrhundert, hauptsächlich aber seit der Mitte
des 17., seit dem westphälischen Frieden sind alle aus diesem Principe heraus zu
erklären -- ob sich der einzelne Fürst oder Staat dessen mehr oder minder klar
bewußt war, ist uns hier gleichgiltig; für ihn freilich weniger, denn davon hing
eS gewöhnlich ab, ob er in die Höhe kam oder verkümmerte. Am consequentesten
und einschneidend in alle bisherigen Besitzverhältnisse geschah es denn zuletzt bei
der Auflösung des Reichs und dem Wiener Kongresse. -- Wo ist also seit dem
8. oder 9. Jahrhundert nur noch einen-al die Rede von den Stämmen und ihren
Eigenthümlichkeiten? In welcher Tausch- oder Verkaufsurkunde des Mittelalters,
in welchem Friedensinstrnment der späteren Zeit ist anch nur die leiseste Rücksicht
auf sie genommen? Sie waren politisch todt und sind es bis zu dieser Stunde
geblieben. Ja selbst ihr Name ist in der Politik entweder ganz verklungen oder,
wo es sich erhalten hat, verkümmert oder travestirt. Daß er im übrigen Leben
der Nation noch hastete, hat so wenig Einfluß auf die deutsche politische Geschichte
gehabt, wie die uralten Volksmärchen auf unsere neuere Literatur. Und wie
schwankend und confus wird er auch da in den meisten Fällen angewandt! Der
Würtenberger weiß zur Noth noch, daß er ein Schwabe ist, aber der Bewohner
des Breisgaues wird es für einen Schimpf halten, wenn man ihn so nennt. Und
doch gehörte er so gut wie jeuer einst zu dem Alemannischen Stammesstaat, aber
es sind freilich viele Jahrhunderte, eine unendlich reiche Geschichte seit der Zeit
an ihm vorübergezogen, und darüber hat er es vergessen.

Es bliebe wirklich nur das eine Mittel übrig, was ich bereits zu einem ähn¬
lichen Zwecke vorgeschlagen habe, den guten Leuten ihre Zusammengehörigkeit mittelst
der Grammatik begreiflich zu machen, obgleich auch das in einzelnen Fällen nicht
statthaft sein würde. Hie und da -- ich gebe zu, nur sehr ausnahmsweise --
haben sich nämlich im Laufe der Jahrhunderte selbst die Dialectgrenzen bedeutend


Geschichte, besonders der Hohenstaufen, sattsam Zeugniß ablegt. Uebrigens hat
es sich auch kein einziges Mal mehr rein und unvermischt den Vertretern des
Reichs und Volkseinheit entgegengestemmt, sondern immer nur mit anderen revo¬
lutionären Tendenzen zusammen. So z. B. in der Empörung der Sachsen gegen
Heinrich IV., bei Heinrich dem Löwen und sonst.

Alle neuen Einzelstaatbildungen — sie datiren bekanntlich meist aus dem 11.
und 12. Jahrhundert — beruhen auf den damals die Zeit beherrschenden Prin¬
cipien des Lehnswesens und haben mit ihm seine verschiedenen Phasen von der
älteren strengen Abhängigkeit vom Lehnsherrn und Staatsoberhaupt bis zu der
freien christlichen Stellung der an Land und Leuten reicheren Vasallen durchgemacht,
bis auch dieses Princip mit dem Beginn der neueren Geschichte sich ausgelebt hatte.
Von da an machte ein jeder der bisherigen Territorialherren den Versuch, aus
seinen Ländern oder Ländchen einen modernen Staat zu bilden, nicht jeder ge¬
schickt und glücklich. Die Veränderungen in dem Besitzstand innerhalb der deut¬
schen Reichsgrenzen seit dem 16. Jahrhundert, hauptsächlich aber seit der Mitte
des 17., seit dem westphälischen Frieden sind alle aus diesem Principe heraus zu
erklären — ob sich der einzelne Fürst oder Staat dessen mehr oder minder klar
bewußt war, ist uns hier gleichgiltig; für ihn freilich weniger, denn davon hing
eS gewöhnlich ab, ob er in die Höhe kam oder verkümmerte. Am consequentesten
und einschneidend in alle bisherigen Besitzverhältnisse geschah es denn zuletzt bei
der Auflösung des Reichs und dem Wiener Kongresse. — Wo ist also seit dem
8. oder 9. Jahrhundert nur noch einen-al die Rede von den Stämmen und ihren
Eigenthümlichkeiten? In welcher Tausch- oder Verkaufsurkunde des Mittelalters,
in welchem Friedensinstrnment der späteren Zeit ist anch nur die leiseste Rücksicht
auf sie genommen? Sie waren politisch todt und sind es bis zu dieser Stunde
geblieben. Ja selbst ihr Name ist in der Politik entweder ganz verklungen oder,
wo es sich erhalten hat, verkümmert oder travestirt. Daß er im übrigen Leben
der Nation noch hastete, hat so wenig Einfluß auf die deutsche politische Geschichte
gehabt, wie die uralten Volksmärchen auf unsere neuere Literatur. Und wie
schwankend und confus wird er auch da in den meisten Fällen angewandt! Der
Würtenberger weiß zur Noth noch, daß er ein Schwabe ist, aber der Bewohner
des Breisgaues wird es für einen Schimpf halten, wenn man ihn so nennt. Und
doch gehörte er so gut wie jeuer einst zu dem Alemannischen Stammesstaat, aber
es sind freilich viele Jahrhunderte, eine unendlich reiche Geschichte seit der Zeit
an ihm vorübergezogen, und darüber hat er es vergessen.

Es bliebe wirklich nur das eine Mittel übrig, was ich bereits zu einem ähn¬
lichen Zwecke vorgeschlagen habe, den guten Leuten ihre Zusammengehörigkeit mittelst
der Grammatik begreiflich zu machen, obgleich auch das in einzelnen Fällen nicht
statthaft sein würde. Hie und da — ich gebe zu, nur sehr ausnahmsweise —
haben sich nämlich im Laufe der Jahrhunderte selbst die Dialectgrenzen bedeutend


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[0380] Geschichte, besonders der Hohenstaufen, sattsam Zeugniß ablegt. Uebrigens hat es sich auch kein einziges Mal mehr rein und unvermischt den Vertretern des Reichs und Volkseinheit entgegengestemmt, sondern immer nur mit anderen revo¬ lutionären Tendenzen zusammen. So z. B. in der Empörung der Sachsen gegen Heinrich IV., bei Heinrich dem Löwen und sonst. Alle neuen Einzelstaatbildungen — sie datiren bekanntlich meist aus dem 11. und 12. Jahrhundert — beruhen auf den damals die Zeit beherrschenden Prin¬ cipien des Lehnswesens und haben mit ihm seine verschiedenen Phasen von der älteren strengen Abhängigkeit vom Lehnsherrn und Staatsoberhaupt bis zu der freien christlichen Stellung der an Land und Leuten reicheren Vasallen durchgemacht, bis auch dieses Princip mit dem Beginn der neueren Geschichte sich ausgelebt hatte. Von da an machte ein jeder der bisherigen Territorialherren den Versuch, aus seinen Ländern oder Ländchen einen modernen Staat zu bilden, nicht jeder ge¬ schickt und glücklich. Die Veränderungen in dem Besitzstand innerhalb der deut¬ schen Reichsgrenzen seit dem 16. Jahrhundert, hauptsächlich aber seit der Mitte des 17., seit dem westphälischen Frieden sind alle aus diesem Principe heraus zu erklären — ob sich der einzelne Fürst oder Staat dessen mehr oder minder klar bewußt war, ist uns hier gleichgiltig; für ihn freilich weniger, denn davon hing eS gewöhnlich ab, ob er in die Höhe kam oder verkümmerte. Am consequentesten und einschneidend in alle bisherigen Besitzverhältnisse geschah es denn zuletzt bei der Auflösung des Reichs und dem Wiener Kongresse. — Wo ist also seit dem 8. oder 9. Jahrhundert nur noch einen-al die Rede von den Stämmen und ihren Eigenthümlichkeiten? In welcher Tausch- oder Verkaufsurkunde des Mittelalters, in welchem Friedensinstrnment der späteren Zeit ist anch nur die leiseste Rücksicht auf sie genommen? Sie waren politisch todt und sind es bis zu dieser Stunde geblieben. Ja selbst ihr Name ist in der Politik entweder ganz verklungen oder, wo es sich erhalten hat, verkümmert oder travestirt. Daß er im übrigen Leben der Nation noch hastete, hat so wenig Einfluß auf die deutsche politische Geschichte gehabt, wie die uralten Volksmärchen auf unsere neuere Literatur. Und wie schwankend und confus wird er auch da in den meisten Fällen angewandt! Der Würtenberger weiß zur Noth noch, daß er ein Schwabe ist, aber der Bewohner des Breisgaues wird es für einen Schimpf halten, wenn man ihn so nennt. Und doch gehörte er so gut wie jeuer einst zu dem Alemannischen Stammesstaat, aber es sind freilich viele Jahrhunderte, eine unendlich reiche Geschichte seit der Zeit an ihm vorübergezogen, und darüber hat er es vergessen. Es bliebe wirklich nur das eine Mittel übrig, was ich bereits zu einem ähn¬ lichen Zwecke vorgeschlagen habe, den guten Leuten ihre Zusammengehörigkeit mittelst der Grammatik begreiflich zu machen, obgleich auch das in einzelnen Fällen nicht statthaft sein würde. Hie und da — ich gebe zu, nur sehr ausnahmsweise — haben sich nämlich im Laufe der Jahrhunderte selbst die Dialectgrenzen bedeutend

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/380>, abgerufen am 26.12.2024.