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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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angestellten, alle Fingerslang mit Emphase breitgetretenen Princip gleichartigste
auseinandergerissen, das ungleichartigste aneinandergelöthet. -- Ich werde dem ge¬
neigten Leser, falls er sonst nicht wissen sollte, unten noch auseinandersetzen,
daß es nur ein einziges Kriterium, aber auch ein fast untrügliches, für die Ab-
scheidung der Stämme und Stammeseigenthümlichkciten gibt, das ist die Sprache,
richtiger der Dialect im Gegensatze zu der gemeinsamen Nationalsprache. Es ist das
von der Wissenschaft schon längst ausgemacht, und wenn jemand über diese Dinge
mitzureden sich unterfängt, so muß er darüber <in eine sein. Warum ist, um nur
eines anzuführen, denn ich gedenke hier keine philologisch-historische Kritik zu
liefern, Tirol von Baiern getrennt!? Jetzt ist allerdings eine lange Reihe Schlag-
bäume und Grenzpfähle zwischen beiden, ich möchte aber den sehen, der mir nicht
blos im Dialect, obgleich schon das genügte, sondern in der ganzen Volksart
einen wirklich organischen Unterschied nachwiese, falls mau nicht das anführen
wollte, daß man in Mittenwalde diesseits der bairischen Grenze gutes Bier und
auf der Shernitz jenseits der schwarzgelben Barrieren sauren Wein trinkt? -- Aber
eigentlich ist des Pudels Kern ein ganz anderer. Ich kenne meine Leute auf der
Linken und weiß, wie vielen Aerger ihnen die compacte, preußisch - blau illuminirte
Nordost-Ecke auf der deutschen Karte bereitet. Der will man mit aller Gewalt
und allen Mitteln zu Leibe, denn es scheint dem Zartgefühle der Herren doch gar
zu anstößig, daß in der Staatengesellschaft ihres zukünftigen Deutschlands auch
eine anständige Figur und nicht lauter Lumpen Platz nehmen sollen. Vivat die
Gleichheit! Und die gibt es nicht eher, bis sich die Stammesstaaten Ur-Preußen,
Pommern, Schlesien, Brandenburg, Westphalen, Niederrhein, aus den Trümmern
des politischen Staates Preußen erheben. Ob es ein Paar mehr oder weniger,
ob sie gerade so oder anders genannt und abgegrenzt sind, ob überhaupt die ganze
Sache Unsinn ist oder nicht, darauf kommt es nicht an, wenn nur der große Stein
des Anstoßes hübsch zu Chausseekies zusammengeklopst wird, der sich bei dem
ersten Regenschauer in einen unergründlichen Schmutzbrei auflöst. Dem gemüth¬
lichen deutschen Philister, der in der Kirche Rationalist, in der Politik Mystiker
zu sein liebt, geht man mit ein Paar romantischen Phrasen um den Bart. Er
ist an und für sich, der Salzsteuer und des Zollvereins halber, der Kaffee und
Zucker vertheuert hat und dann wegen des ächt menschlichen Scham- und Neid¬
gefühls, welches heruntergekommene Vettern gegen einen wohlhabenden und ge¬
achteten Verwandten zu haben pflegen, schon lange nicht gut aus Preußen zu
sprechen, nun hetzt man ihn noch in die Stammeseigenthümlichkeiten ein, und baun
schwört er bei Himmel und Hölle, daß Preußen, als ein unorganisches Conglo-
merat, zum Heile des deutschen Vaterlandes in seine organischen Bestandtheile
tranchirt werden müsse. Daß aber der weiße Czar im Osten und der künftige
La^rvur im Westen sich bei dem Braten allein zu Gast bitten würden, sagen


angestellten, alle Fingerslang mit Emphase breitgetretenen Princip gleichartigste
auseinandergerissen, das ungleichartigste aneinandergelöthet. — Ich werde dem ge¬
neigten Leser, falls er sonst nicht wissen sollte, unten noch auseinandersetzen,
daß es nur ein einziges Kriterium, aber auch ein fast untrügliches, für die Ab-
scheidung der Stämme und Stammeseigenthümlichkciten gibt, das ist die Sprache,
richtiger der Dialect im Gegensatze zu der gemeinsamen Nationalsprache. Es ist das
von der Wissenschaft schon längst ausgemacht, und wenn jemand über diese Dinge
mitzureden sich unterfängt, so muß er darüber <in eine sein. Warum ist, um nur
eines anzuführen, denn ich gedenke hier keine philologisch-historische Kritik zu
liefern, Tirol von Baiern getrennt!? Jetzt ist allerdings eine lange Reihe Schlag-
bäume und Grenzpfähle zwischen beiden, ich möchte aber den sehen, der mir nicht
blos im Dialect, obgleich schon das genügte, sondern in der ganzen Volksart
einen wirklich organischen Unterschied nachwiese, falls mau nicht das anführen
wollte, daß man in Mittenwalde diesseits der bairischen Grenze gutes Bier und
auf der Shernitz jenseits der schwarzgelben Barrieren sauren Wein trinkt? — Aber
eigentlich ist des Pudels Kern ein ganz anderer. Ich kenne meine Leute auf der
Linken und weiß, wie vielen Aerger ihnen die compacte, preußisch - blau illuminirte
Nordost-Ecke auf der deutschen Karte bereitet. Der will man mit aller Gewalt
und allen Mitteln zu Leibe, denn es scheint dem Zartgefühle der Herren doch gar
zu anstößig, daß in der Staatengesellschaft ihres zukünftigen Deutschlands auch
eine anständige Figur und nicht lauter Lumpen Platz nehmen sollen. Vivat die
Gleichheit! Und die gibt es nicht eher, bis sich die Stammesstaaten Ur-Preußen,
Pommern, Schlesien, Brandenburg, Westphalen, Niederrhein, aus den Trümmern
des politischen Staates Preußen erheben. Ob es ein Paar mehr oder weniger,
ob sie gerade so oder anders genannt und abgegrenzt sind, ob überhaupt die ganze
Sache Unsinn ist oder nicht, darauf kommt es nicht an, wenn nur der große Stein
des Anstoßes hübsch zu Chausseekies zusammengeklopst wird, der sich bei dem
ersten Regenschauer in einen unergründlichen Schmutzbrei auflöst. Dem gemüth¬
lichen deutschen Philister, der in der Kirche Rationalist, in der Politik Mystiker
zu sein liebt, geht man mit ein Paar romantischen Phrasen um den Bart. Er
ist an und für sich, der Salzsteuer und des Zollvereins halber, der Kaffee und
Zucker vertheuert hat und dann wegen des ächt menschlichen Scham- und Neid¬
gefühls, welches heruntergekommene Vettern gegen einen wohlhabenden und ge¬
achteten Verwandten zu haben pflegen, schon lange nicht gut aus Preußen zu
sprechen, nun hetzt man ihn noch in die Stammeseigenthümlichkeiten ein, und baun
schwört er bei Himmel und Hölle, daß Preußen, als ein unorganisches Conglo-
merat, zum Heile des deutschen Vaterlandes in seine organischen Bestandtheile
tranchirt werden müsse. Daß aber der weiße Czar im Osten und der künftige
La^rvur im Westen sich bei dem Braten allein zu Gast bitten würden, sagen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/378>, abgerufen am 01.10.2024.