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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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organischen Neugestaltung der deutschen Territorialverhältnisse ans dieser Basis beliebt
würde, es nur mit sorgfältiger Beziehung der Grammatik und der Lexica geschehen
könnte, ja daß es, da beide in diesem Augenblicke noch etwas lückenhaft sind, aus
diesem Grunde allein schon nicht recht möglich ist. Andrerseits böte sich freilich dem
wissenschaftlichen Disput hier ein Feld, wie sie noch gar keines gehabt. Sonst
streiten sich die gelehrten Herren um Worte und Namen, ohne daß um ihretwillen
auch nur ein Blättchen am Baume sich regte, dann dürften vielleicht gar die Köpfe
schockweise aus keiner anderen Ursache fallen, als weil der eine, mit der Gramma¬
tik in der Hand, bewiesen hatte, daß z. B. die Stadt Nürnberg der bajoarischen
Stammeseigenthümlichkeit zugethan sei, während sie der andere nach seinem Laut¬
systeme der deutschen Sprache Franken zuspräche. Jedenfalls wäre ein großer
Congreß aller deutschen Sprach - und Geschichtsforscher das erste unerläßlich
Nöthige. Dort mußte dann ein Canon deutscher historischer Grammatik fest¬
gesetzt und seine authentische Auslegung besagtem Professorenconcil vorbehalten
werden. Außerdem gelangte man wohl zu Mord und Todschlag und vielen ge¬
lehrten Streitschriften, wobei unsere Grammatik riesenhafte Fortschritte machen
würde, aber niemals zu einer Realisirung des Schaffrath-Hagen'schen Organisa-
tionsprojects, besonders wenn man es sich auch nach seiner anderen, Hieher eigent¬
lich nicht gehörigen Seite, ausgeführt denkt. Ich meine die Wiederbelebung des
vortrefflichen Instituts der leider ausgegangenen polnischen Reichstage, womit die
neuorgcmistrten Staatenwickelkinder bei ihrer Taufe angebunden werden sollen.
Wie lieblich wird es in unserem Vaterlande zu wohnen sein, wenn man erstens
sich schon deswegen todtschlagen darf, weil man nicht weiß, zu welchem Stamme
man gehört, zweitens weil man die Verpflichtung hat, sich selbst zu constituiren
und das Staatsoberhaupt nach eigenem Ermessen zu wählen! Dann ist das
goldne Zeitalter der Büchsenmacher und Sensenschmiede auf Erden erschienen und
die Organisatoren haben sich wenigstens um eine Menschenclasse unvergängliche
Verdienste erworben.

Scherz bei Seite! -- wer von "organisch" so viel spricht, von dem kann
man doch wohl mit Recht fordern, daß er sich in das Wesen dieser Panacee so
viel Einsicht verschafft hat, um wenigstens nicht das gerade Gegentheil damit zu
meinen. Man könnte wohl z. B. von Herrn Hagen, der ein ganz gelehrter Mann
ist, erwarten, daß er weiß, welche Stammeseigenthümlichkeiten in unserem Volke
vorhanden sind und welche Massen in den projectirten Staaten, wenn es einmal
eine solche Basis für unsere zukünftige Geschichte geben soll, zusammengebracht
werden müssen, um diese auch zu ächten Vollblut-Stammzüchtereien zu erheben.
Aber mit Erstannen sieht man in dem vorgelegten Plane der 21 wahrhaft orga¬
nisch gebildeten Staaten -- ich beschränke mich mit Vorsatz jetzt auf diejen, weil
er mit dem meisten Geräusch in die Welt getreten ist und ich in seiner Miene zu
lesen glaube, daß er noch viel mehr zu machen bestimmt ist -- das nach dem vor-


organischen Neugestaltung der deutschen Territorialverhältnisse ans dieser Basis beliebt
würde, es nur mit sorgfältiger Beziehung der Grammatik und der Lexica geschehen
könnte, ja daß es, da beide in diesem Augenblicke noch etwas lückenhaft sind, aus
diesem Grunde allein schon nicht recht möglich ist. Andrerseits böte sich freilich dem
wissenschaftlichen Disput hier ein Feld, wie sie noch gar keines gehabt. Sonst
streiten sich die gelehrten Herren um Worte und Namen, ohne daß um ihretwillen
auch nur ein Blättchen am Baume sich regte, dann dürften vielleicht gar die Köpfe
schockweise aus keiner anderen Ursache fallen, als weil der eine, mit der Gramma¬
tik in der Hand, bewiesen hatte, daß z. B. die Stadt Nürnberg der bajoarischen
Stammeseigenthümlichkeit zugethan sei, während sie der andere nach seinem Laut¬
systeme der deutschen Sprache Franken zuspräche. Jedenfalls wäre ein großer
Congreß aller deutschen Sprach - und Geschichtsforscher das erste unerläßlich
Nöthige. Dort mußte dann ein Canon deutscher historischer Grammatik fest¬
gesetzt und seine authentische Auslegung besagtem Professorenconcil vorbehalten
werden. Außerdem gelangte man wohl zu Mord und Todschlag und vielen ge¬
lehrten Streitschriften, wobei unsere Grammatik riesenhafte Fortschritte machen
würde, aber niemals zu einer Realisirung des Schaffrath-Hagen'schen Organisa-
tionsprojects, besonders wenn man es sich auch nach seiner anderen, Hieher eigent¬
lich nicht gehörigen Seite, ausgeführt denkt. Ich meine die Wiederbelebung des
vortrefflichen Instituts der leider ausgegangenen polnischen Reichstage, womit die
neuorgcmistrten Staatenwickelkinder bei ihrer Taufe angebunden werden sollen.
Wie lieblich wird es in unserem Vaterlande zu wohnen sein, wenn man erstens
sich schon deswegen todtschlagen darf, weil man nicht weiß, zu welchem Stamme
man gehört, zweitens weil man die Verpflichtung hat, sich selbst zu constituiren
und das Staatsoberhaupt nach eigenem Ermessen zu wählen! Dann ist das
goldne Zeitalter der Büchsenmacher und Sensenschmiede auf Erden erschienen und
die Organisatoren haben sich wenigstens um eine Menschenclasse unvergängliche
Verdienste erworben.

Scherz bei Seite! — wer von „organisch" so viel spricht, von dem kann
man doch wohl mit Recht fordern, daß er sich in das Wesen dieser Panacee so
viel Einsicht verschafft hat, um wenigstens nicht das gerade Gegentheil damit zu
meinen. Man könnte wohl z. B. von Herrn Hagen, der ein ganz gelehrter Mann
ist, erwarten, daß er weiß, welche Stammeseigenthümlichkeiten in unserem Volke
vorhanden sind und welche Massen in den projectirten Staaten, wenn es einmal
eine solche Basis für unsere zukünftige Geschichte geben soll, zusammengebracht
werden müssen, um diese auch zu ächten Vollblut-Stammzüchtereien zu erheben.
Aber mit Erstannen sieht man in dem vorgelegten Plane der 21 wahrhaft orga¬
nisch gebildeten Staaten — ich beschränke mich mit Vorsatz jetzt auf diejen, weil
er mit dem meisten Geräusch in die Welt getreten ist und ich in seiner Miene zu
lesen glaube, daß er noch viel mehr zu machen bestimmt ist — das nach dem vor-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/377>, abgerufen am 27.12.2024.