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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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das Gouvernement werde bei einer Fortdauer des Kriegszustandes nicht versäu¬
men, die Genehmigung der Kammer einzuholen?" Ob die Suspension der Grund¬
rechte noch eine Woche oder einen Monat fortdauert, ist dabei ganz irrelevant.
Freilich gab Elch manu nachher dem Andringen der Versammlung nach, aber
eben darin, daß er den Zwang abwartete, liegt das Gefährliche, das Mißtrauen
Erregende. Berg und Blom waren im höchsten Grade erbittert über diese '
Winkelzüge. "Daß doch überall der Zopf hervorguckt durch die schönen Redens¬
arten," meinte der letztere -- und seitdem ist von Unterhandlungen mit dem lin¬
ken Centrum nicht mehr die Rede. Jede, auch die unbedeutendste Tergiversation
eines Kabinets ist in der jetzigen Zeit der erste Schritt zu seinem Sturze. --

In der That versichern anch gut unterrichtete Deputirte, daß das Ministerium
sich nur uoch als ein proviforisches betrachtet, seitdem die Vereinigung mit dem
linken Centrum mißlungen ist. Daß Rodbertus die Hoffnung, in kurzer Zeit
Präsident eines neuen Cabinets zu werden, keineswegs aufgegeben hat, ist wenig¬
stens außer allem Zweifel. Doch man weiß, wie es mit solchen Provisorien geht:
im Augenblicke des Mißmuths mögen die Herren sich nicht für ein Jnterimistikum
entscheiden -- sobald sie irgendwo einen Rettungsanker zu sehen glauben, hat
auch wieder das definitive Portefeuille seinen Reiz. Ich möchte daher solchen pa¬
triotischen, von jedem Egoismus freien Versprechungen nicht allzuviel trauen. Im
Interesse des Landes ist freilich zu wünschen, daß sie ernst gemeint sind und daß
das Ministerium Pfuel seine Sendung als vollendet betrachtet, nachdem es ihm
gelungen ist, die Ruhe wieder herzustellen, die gesetzlichen Autoritäten und die
constitutionelle Partei der Kammer zu stärken, eine Brücke über die Kluft zu
bauen, die seit dem 7. September Potsdam und die Nationalversammlung von
einander trennte. Treten die Minister jetzt freiwillig zurück, so haben sie das
große Verdienst, der äußersten Linken ihren Sieg entrissen und den Weg geebnet
zu haben für ein neues populäres Cabinet. Das Bewußtsein ihres segensreichen
Wirkens, das hochherzige Gefühl, aus bloßer Vaterlandsliebe in so schwierigen
Zeiten die höchsten Stellen bekleidet zu haben, wird sie leicht über die kurze Dauer
ihrer Amtszeit trösten. Wollen sie sich dagegen länger halten, so würde ihr Bund
mit dem linken Centrum wahrscheinlich bald ein Ende haben; die ungünstige Stim¬
mung des Volkes, die äußerste Linke und die ehrgeizigen Fraktionshäupter würden
sich in kurzem mit einander vereinen. Wir hätten dann wieder das alte ekelhafte
Schauspiel der rein Persönlichen Intriguen, wie in der letzten Zeit des Ministe¬
riums Auerswald, wir würden anf's Neue unnatürliche Bündnisse entstehen sehen
und statt eines ehrenvollen Rücktrittes wäre wahrscheinlich eine schmähliche Nie¬
derlage der Schluß des Pfuel'schen Cabinets. Es liegt also nicht weniger im
Interesse der neuen Minister selbst, als in dem des Landes, daß sie sich nnr als
ein Provisorium betrachten und ihre Portefeuilles dem linken Centrum überliefern,
sobald sie nicht mehr daran denken können, sich durch die Führer desselben zu verstärken.


das Gouvernement werde bei einer Fortdauer des Kriegszustandes nicht versäu¬
men, die Genehmigung der Kammer einzuholen?" Ob die Suspension der Grund¬
rechte noch eine Woche oder einen Monat fortdauert, ist dabei ganz irrelevant.
Freilich gab Elch manu nachher dem Andringen der Versammlung nach, aber
eben darin, daß er den Zwang abwartete, liegt das Gefährliche, das Mißtrauen
Erregende. Berg und Blom waren im höchsten Grade erbittert über diese '
Winkelzüge. „Daß doch überall der Zopf hervorguckt durch die schönen Redens¬
arten," meinte der letztere — und seitdem ist von Unterhandlungen mit dem lin¬
ken Centrum nicht mehr die Rede. Jede, auch die unbedeutendste Tergiversation
eines Kabinets ist in der jetzigen Zeit der erste Schritt zu seinem Sturze. —

In der That versichern anch gut unterrichtete Deputirte, daß das Ministerium
sich nur uoch als ein proviforisches betrachtet, seitdem die Vereinigung mit dem
linken Centrum mißlungen ist. Daß Rodbertus die Hoffnung, in kurzer Zeit
Präsident eines neuen Cabinets zu werden, keineswegs aufgegeben hat, ist wenig¬
stens außer allem Zweifel. Doch man weiß, wie es mit solchen Provisorien geht:
im Augenblicke des Mißmuths mögen die Herren sich nicht für ein Jnterimistikum
entscheiden — sobald sie irgendwo einen Rettungsanker zu sehen glauben, hat
auch wieder das definitive Portefeuille seinen Reiz. Ich möchte daher solchen pa¬
triotischen, von jedem Egoismus freien Versprechungen nicht allzuviel trauen. Im
Interesse des Landes ist freilich zu wünschen, daß sie ernst gemeint sind und daß
das Ministerium Pfuel seine Sendung als vollendet betrachtet, nachdem es ihm
gelungen ist, die Ruhe wieder herzustellen, die gesetzlichen Autoritäten und die
constitutionelle Partei der Kammer zu stärken, eine Brücke über die Kluft zu
bauen, die seit dem 7. September Potsdam und die Nationalversammlung von
einander trennte. Treten die Minister jetzt freiwillig zurück, so haben sie das
große Verdienst, der äußersten Linken ihren Sieg entrissen und den Weg geebnet
zu haben für ein neues populäres Cabinet. Das Bewußtsein ihres segensreichen
Wirkens, das hochherzige Gefühl, aus bloßer Vaterlandsliebe in so schwierigen
Zeiten die höchsten Stellen bekleidet zu haben, wird sie leicht über die kurze Dauer
ihrer Amtszeit trösten. Wollen sie sich dagegen länger halten, so würde ihr Bund
mit dem linken Centrum wahrscheinlich bald ein Ende haben; die ungünstige Stim¬
mung des Volkes, die äußerste Linke und die ehrgeizigen Fraktionshäupter würden
sich in kurzem mit einander vereinen. Wir hätten dann wieder das alte ekelhafte
Schauspiel der rein Persönlichen Intriguen, wie in der letzten Zeit des Ministe¬
riums Auerswald, wir würden anf's Neue unnatürliche Bündnisse entstehen sehen
und statt eines ehrenvollen Rücktrittes wäre wahrscheinlich eine schmähliche Nie¬
derlage der Schluß des Pfuel'schen Cabinets. Es liegt also nicht weniger im
Interesse der neuen Minister selbst, als in dem des Landes, daß sie sich nnr als
ein Provisorium betrachten und ihre Portefeuilles dem linken Centrum überliefern,
sobald sie nicht mehr daran denken können, sich durch die Führer desselben zu verstärken.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/37>, abgerufen am 22.07.2024.