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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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auch wenn es zum Kampfe kommen sollte, nicht mehr zweifelhaft sein, wir dürfen
hoffen, die Wühler niederzuhalten, ohne das Militär zu reguiriren.

Wie aber verhält es sich nun mit dem Fortbestehen des Ministeriums, auch
nach Vollendung seiner provisorischen Aufgabe? Dies ist offenbar nur möglich,
wenn es ihm gelingt, sich aus dem linken Centrum zu verstärken. Nicht als ob
die Ultras es sonst stürzen würden durch ihre hochtrabenden Redensarten von be¬
waffneter Reaction, durch die Vergleichungen zwischen Pfuel und Radetzky oder
Jellachich; ach nein! aber die alte Zeit liegt noch zu nahe, das Mißtrauen im
ganzen Volke ist noch zu groß, als daß ein blos dem frühern Regime entnomme¬
nes Kabinet sich halten könnte: das timeo D-mnos et animi, dei-eutes ist noch in jede
Seele gegraben. Die Hauptsache aber ist, daß die mächtigste Fraction der Kam¬
mer sich auf keinen Fall damit begnügen würde, blos die Stütze der höchsten
Gewalt zu sein, ohne selbst an ihr zu participiren -- am wenigsten, wenn sie ei¬
nen Rodbertus unter ihren Führern zählt. Der persönliche Ehrgeiz kann auf Augen¬
blicke eingeschläfert, aber sicher nicht für immer abgelegt werden. Schon rührt der
alte Maulwurf sich wieder und stellt Anträge über Centralgewalt und dänische
Frage, dasselbe Steckenpferd, mit dem er auch das Ministerium Auerswald fort¬
während chicanirte, nachdem er demselben bei seinem eigenen Austritte noch seine
kräftigste Unterstützung zugesagt hatte. Diese Verstärkung aus dem linken Centrum
aber ist leider unmöglich geworden, zum Theil weil die Führer dieser Fraction
von der Furcht, sich zu depopularisiren, zurückgeschreckt wurden -- zum Theil aber
auch durch die Schuld des Ministeriums selbst. Ich meine sein Benehmen in der
Cölner Angelegenheit. So lächerlich d'Ester's Bravaden sind, der es der Bürger¬
wehr zum besondern Ruhm anrechnete, daß sie die Barrikaden blos habe bauen
helfen, nicht aber vertheidigen, so war das constitutionelle, das verant¬
wortliche Ministerium doch verpflichtet, nach der Habeascorpusacte wie nach dem
Verfassungsentwurf der Regierung, augenblicklich die Acten der Kammer vorzu¬
legen und die Fortdauer des Belagerungszustandes von ihrer Genehmigung ab¬
hängig zu machen. Unruh traf bei der Debatte den richtigen Punkt und nun
war es die Pflicht Eichmann's, sein Versehen auf der Stelle wieder gut zu
machen. Statt dessen verschanzte er sich hinter den Einwand, der Verfassungs¬
entwurf sei kein Gesetz und die Habeascorpusacte, obwohl sanktionirt, doch noch
nicht publicirt. Mit Recht entgegnete ihm Berg, das heiße die Verantwortlich¬
keit zum Kinderspott machen, sie dem Wortlaut nach anerkennen und ihre Konse¬
quenzen negiren. Ja, auch nachdem die ganz vernünftig motivirte Tagesordnung
angenommen war, begnügte Elch manu sich heute, zu erklären, die exceptionellen
Maßregeln würden wahrscheinlich noch in dieser Woche aufgehoben werden*). Sieht der
Minister nicht, daß der Accent auf den Worten liegt: "in der bestimmten Erwartung,



*) Ist bereits geschehen.

auch wenn es zum Kampfe kommen sollte, nicht mehr zweifelhaft sein, wir dürfen
hoffen, die Wühler niederzuhalten, ohne das Militär zu reguiriren.

Wie aber verhält es sich nun mit dem Fortbestehen des Ministeriums, auch
nach Vollendung seiner provisorischen Aufgabe? Dies ist offenbar nur möglich,
wenn es ihm gelingt, sich aus dem linken Centrum zu verstärken. Nicht als ob
die Ultras es sonst stürzen würden durch ihre hochtrabenden Redensarten von be¬
waffneter Reaction, durch die Vergleichungen zwischen Pfuel und Radetzky oder
Jellachich; ach nein! aber die alte Zeit liegt noch zu nahe, das Mißtrauen im
ganzen Volke ist noch zu groß, als daß ein blos dem frühern Regime entnomme¬
nes Kabinet sich halten könnte: das timeo D-mnos et animi, dei-eutes ist noch in jede
Seele gegraben. Die Hauptsache aber ist, daß die mächtigste Fraction der Kam¬
mer sich auf keinen Fall damit begnügen würde, blos die Stütze der höchsten
Gewalt zu sein, ohne selbst an ihr zu participiren — am wenigsten, wenn sie ei¬
nen Rodbertus unter ihren Führern zählt. Der persönliche Ehrgeiz kann auf Augen¬
blicke eingeschläfert, aber sicher nicht für immer abgelegt werden. Schon rührt der
alte Maulwurf sich wieder und stellt Anträge über Centralgewalt und dänische
Frage, dasselbe Steckenpferd, mit dem er auch das Ministerium Auerswald fort¬
während chicanirte, nachdem er demselben bei seinem eigenen Austritte noch seine
kräftigste Unterstützung zugesagt hatte. Diese Verstärkung aus dem linken Centrum
aber ist leider unmöglich geworden, zum Theil weil die Führer dieser Fraction
von der Furcht, sich zu depopularisiren, zurückgeschreckt wurden — zum Theil aber
auch durch die Schuld des Ministeriums selbst. Ich meine sein Benehmen in der
Cölner Angelegenheit. So lächerlich d'Ester's Bravaden sind, der es der Bürger¬
wehr zum besondern Ruhm anrechnete, daß sie die Barrikaden blos habe bauen
helfen, nicht aber vertheidigen, so war das constitutionelle, das verant¬
wortliche Ministerium doch verpflichtet, nach der Habeascorpusacte wie nach dem
Verfassungsentwurf der Regierung, augenblicklich die Acten der Kammer vorzu¬
legen und die Fortdauer des Belagerungszustandes von ihrer Genehmigung ab¬
hängig zu machen. Unruh traf bei der Debatte den richtigen Punkt und nun
war es die Pflicht Eichmann's, sein Versehen auf der Stelle wieder gut zu
machen. Statt dessen verschanzte er sich hinter den Einwand, der Verfassungs¬
entwurf sei kein Gesetz und die Habeascorpusacte, obwohl sanktionirt, doch noch
nicht publicirt. Mit Recht entgegnete ihm Berg, das heiße die Verantwortlich¬
keit zum Kinderspott machen, sie dem Wortlaut nach anerkennen und ihre Konse¬
quenzen negiren. Ja, auch nachdem die ganz vernünftig motivirte Tagesordnung
angenommen war, begnügte Elch manu sich heute, zu erklären, die exceptionellen
Maßregeln würden wahrscheinlich noch in dieser Woche aufgehoben werden*). Sieht der
Minister nicht, daß der Accent auf den Worten liegt: „in der bestimmten Erwartung,



*) Ist bereits geschehen.
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[0036] auch wenn es zum Kampfe kommen sollte, nicht mehr zweifelhaft sein, wir dürfen hoffen, die Wühler niederzuhalten, ohne das Militär zu reguiriren. Wie aber verhält es sich nun mit dem Fortbestehen des Ministeriums, auch nach Vollendung seiner provisorischen Aufgabe? Dies ist offenbar nur möglich, wenn es ihm gelingt, sich aus dem linken Centrum zu verstärken. Nicht als ob die Ultras es sonst stürzen würden durch ihre hochtrabenden Redensarten von be¬ waffneter Reaction, durch die Vergleichungen zwischen Pfuel und Radetzky oder Jellachich; ach nein! aber die alte Zeit liegt noch zu nahe, das Mißtrauen im ganzen Volke ist noch zu groß, als daß ein blos dem frühern Regime entnomme¬ nes Kabinet sich halten könnte: das timeo D-mnos et animi, dei-eutes ist noch in jede Seele gegraben. Die Hauptsache aber ist, daß die mächtigste Fraction der Kam¬ mer sich auf keinen Fall damit begnügen würde, blos die Stütze der höchsten Gewalt zu sein, ohne selbst an ihr zu participiren — am wenigsten, wenn sie ei¬ nen Rodbertus unter ihren Führern zählt. Der persönliche Ehrgeiz kann auf Augen¬ blicke eingeschläfert, aber sicher nicht für immer abgelegt werden. Schon rührt der alte Maulwurf sich wieder und stellt Anträge über Centralgewalt und dänische Frage, dasselbe Steckenpferd, mit dem er auch das Ministerium Auerswald fort¬ während chicanirte, nachdem er demselben bei seinem eigenen Austritte noch seine kräftigste Unterstützung zugesagt hatte. Diese Verstärkung aus dem linken Centrum aber ist leider unmöglich geworden, zum Theil weil die Führer dieser Fraction von der Furcht, sich zu depopularisiren, zurückgeschreckt wurden — zum Theil aber auch durch die Schuld des Ministeriums selbst. Ich meine sein Benehmen in der Cölner Angelegenheit. So lächerlich d'Ester's Bravaden sind, der es der Bürger¬ wehr zum besondern Ruhm anrechnete, daß sie die Barrikaden blos habe bauen helfen, nicht aber vertheidigen, so war das constitutionelle, das verant¬ wortliche Ministerium doch verpflichtet, nach der Habeascorpusacte wie nach dem Verfassungsentwurf der Regierung, augenblicklich die Acten der Kammer vorzu¬ legen und die Fortdauer des Belagerungszustandes von ihrer Genehmigung ab¬ hängig zu machen. Unruh traf bei der Debatte den richtigen Punkt und nun war es die Pflicht Eichmann's, sein Versehen auf der Stelle wieder gut zu machen. Statt dessen verschanzte er sich hinter den Einwand, der Verfassungs¬ entwurf sei kein Gesetz und die Habeascorpusacte, obwohl sanktionirt, doch noch nicht publicirt. Mit Recht entgegnete ihm Berg, das heiße die Verantwortlich¬ keit zum Kinderspott machen, sie dem Wortlaut nach anerkennen und ihre Konse¬ quenzen negiren. Ja, auch nachdem die ganz vernünftig motivirte Tagesordnung angenommen war, begnügte Elch manu sich heute, zu erklären, die exceptionellen Maßregeln würden wahrscheinlich noch in dieser Woche aufgehoben werden*). Sieht der Minister nicht, daß der Accent auf den Worten liegt: „in der bestimmten Erwartung, *) Ist bereits geschehen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/36>, abgerufen am 25.08.2024.