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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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nichts einwenden, wenn nicht: l) das slavische Naturell noch zu roh und wüst,
zu sehr in sich gespalten wäre, um die Aussicht auf eine selbstständige Cultur und
dauerhafte Staatsbildung so bald zu eröffne", als es das Interesse des civilisirten
Europa an diesem wichtigen Punkte erheischt, wenn nicht 2) es eben so natnr-
als vernunftgemäß wäre, daß das deutsche Element, welches als einziger Nachbar
der Cultur, bereits Kolonien in jene Lander ausgesandt hat, seine höhere Bildung
durch eine Humaue Oberherrschaft auf diese Volker übertrüge, ihre Entwicke¬
lung beförderte und die Interessen der Civilisation an diesem entscheidenden
Punkte vertritt; wenn nicht :y es höchst unvernünftig wäre, die deutschen Ein¬
wohner dieser Länder einer relativen Barbarei Preis zu gebe". Wir vertreten
nicht das Dogma der Nationalität, es handelt sich gar nicht darum, jeden abge¬
schnittenen Vorposten deutscher Bevölkerung zu reklamiren. Die Deutschen in Un¬
garn und Siebenbürgen aber müssen wir reklamiren im Interesse der Cultur, der
Humanität, der Freiheit.

Wie steht es aber mit der Prätension der Ungarn, in jenen Ländern die
Oberherrschaft zu führen? Denken wir uns das jetzige Ungarn und Siebenbür¬
gen mit den slavischen Nebenländern, vielleicht mit Galizien, die Grenze weit ge¬
gen Süden ausgedehnt, wie es der bevorstehende Zerfall der Türkei und die Grün-
dung fester Organisationen an ihrer Stelle erfordert, so bilden die Ungarn einen
kleinen Vruchtheil der Bevölkerung dieses großen Reiches, und ihr Plan erscheint
schon von dieser Seite als rechtlose Usurpation gegen die Slaven und Deutschen.
Er wird es vollständig, wenn wir den innern Anspruch der Magyaren in Anschlag
bringen.

Die Magyaren sind, wie die Polen, angeflogen von einem mittelalterlich cheva-
leresken Idealismus, welcher die innere Rohheit nicht aushebt, ohne sittlich her¬
vorbringende Thatkraft. "In Ungarn hat sich die Freiheit der Barone für ihre
Gewaltherrschaft behauptet," das ist die gerühmte Freiheit der Magyaren, die erst
neuerlich wieder die Sympathie unserer confusen Demokraten erweckt hat. Unter der
Herrschaft dieser Barone ist das schöne, ausgedehnte, günstig gelegene, an physischen
Hilfsquellen reiche Laud Jahrhunderte laug im Zustande der kläglichsten Unkultur geblie¬
ben. Ein Vorspiel dessen, was diese Länder unter einer magyarischen Alleinherrschaft
mit erweiterten Grenzen erwartet. Die Ohnmacht Oestreichs, die magyarische Freiheit
zu brechen, war ein Unglück für die Civilisation. -- Die Minorität wäre berechtigt
gewesen, wenn diese Unterdrückung der Deutschen und Slaven durch die magyarische
Minorität einen höhern Inhalt gehabt, wenn sie die Unterdrückten, wo nicht an
Humanität, doch an politischer Schöpferkraft übertroffen hätte. Die Magyaren
haben nichts geschaffen, die ungarischen Städte siud von Deutschen gestiftet und
erhalten, und haben im östreichischen Staatsleben, trotz der Gunst ihrer Verhält¬
nisse, nie eine hervorragende Stellung eingenommen. Sie haben jeden Einfluß
auf ihr Pnvatiuteresse abzuwehren, aber nie einen dominirenden Einfluß auf das


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nichts einwenden, wenn nicht: l) das slavische Naturell noch zu roh und wüst,
zu sehr in sich gespalten wäre, um die Aussicht auf eine selbstständige Cultur und
dauerhafte Staatsbildung so bald zu eröffne», als es das Interesse des civilisirten
Europa an diesem wichtigen Punkte erheischt, wenn nicht 2) es eben so natnr-
als vernunftgemäß wäre, daß das deutsche Element, welches als einziger Nachbar
der Cultur, bereits Kolonien in jene Lander ausgesandt hat, seine höhere Bildung
durch eine Humaue Oberherrschaft auf diese Volker übertrüge, ihre Entwicke¬
lung beförderte und die Interessen der Civilisation an diesem entscheidenden
Punkte vertritt; wenn nicht :y es höchst unvernünftig wäre, die deutschen Ein¬
wohner dieser Länder einer relativen Barbarei Preis zu gebe». Wir vertreten
nicht das Dogma der Nationalität, es handelt sich gar nicht darum, jeden abge¬
schnittenen Vorposten deutscher Bevölkerung zu reklamiren. Die Deutschen in Un¬
garn und Siebenbürgen aber müssen wir reklamiren im Interesse der Cultur, der
Humanität, der Freiheit.

Wie steht es aber mit der Prätension der Ungarn, in jenen Ländern die
Oberherrschaft zu führen? Denken wir uns das jetzige Ungarn und Siebenbür¬
gen mit den slavischen Nebenländern, vielleicht mit Galizien, die Grenze weit ge¬
gen Süden ausgedehnt, wie es der bevorstehende Zerfall der Türkei und die Grün-
dung fester Organisationen an ihrer Stelle erfordert, so bilden die Ungarn einen
kleinen Vruchtheil der Bevölkerung dieses großen Reiches, und ihr Plan erscheint
schon von dieser Seite als rechtlose Usurpation gegen die Slaven und Deutschen.
Er wird es vollständig, wenn wir den innern Anspruch der Magyaren in Anschlag
bringen.

Die Magyaren sind, wie die Polen, angeflogen von einem mittelalterlich cheva-
leresken Idealismus, welcher die innere Rohheit nicht aushebt, ohne sittlich her¬
vorbringende Thatkraft. „In Ungarn hat sich die Freiheit der Barone für ihre
Gewaltherrschaft behauptet," das ist die gerühmte Freiheit der Magyaren, die erst
neuerlich wieder die Sympathie unserer confusen Demokraten erweckt hat. Unter der
Herrschaft dieser Barone ist das schöne, ausgedehnte, günstig gelegene, an physischen
Hilfsquellen reiche Laud Jahrhunderte laug im Zustande der kläglichsten Unkultur geblie¬
ben. Ein Vorspiel dessen, was diese Länder unter einer magyarischen Alleinherrschaft
mit erweiterten Grenzen erwartet. Die Ohnmacht Oestreichs, die magyarische Freiheit
zu brechen, war ein Unglück für die Civilisation. -- Die Minorität wäre berechtigt
gewesen, wenn diese Unterdrückung der Deutschen und Slaven durch die magyarische
Minorität einen höhern Inhalt gehabt, wenn sie die Unterdrückten, wo nicht an
Humanität, doch an politischer Schöpferkraft übertroffen hätte. Die Magyaren
haben nichts geschaffen, die ungarischen Städte siud von Deutschen gestiftet und
erhalten, und haben im östreichischen Staatsleben, trotz der Gunst ihrer Verhält¬
nisse, nie eine hervorragende Stellung eingenommen. Sie haben jeden Einfluß
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/351>, abgerufen am 25.11.2024.