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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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der Pfingstwoche gefeiert; die unvermeidlichen Polen mischten sich in die Sache,
und nun konnte man schon voraussehen, daß irgend ein Blödsinn erfolgen würde.
Und so geschah es; Fürst Windischgrätz mußte durch die Brutalität seiner Kano¬
nen dem Treiben der Vertheidiger Oestreichs Einhalt thun.

Wie stand es damals mit der deutschen Partei? Sie war in einer falschen
Stellung; aus ihrer ursprünglichen, ccntralistischen Opposition gegen die Verkehrt¬
heiten des Regiments hatte sie sich in eine einseitige nationale Opposition gegen
den Gesammtstaat drängen lassen. Dies zu übersehen, gehe ich auf die beiden
Fraktionen der alten Opposition zurück, die ich neben der föderalistischen genannt
hatte: der iosephinischen und der revolutionäre".

Die josephinische, dnrch deren Vertretung damals die Grenzboten Vorzugs
weise das große Ansehen gewannen, dessen sie sich in Oestreich erfreuten, ging
von dem Grundsatz ans, daß die Aufrechthaltung des östreichischen Staats keines¬
wegs die menschenfeindlichen Maßregeln des Metternichschen Systems nothwen¬
dig machten, daß im Gegentheil erst dnrch eine freisinnige Reform der Verwaltung
die großen Kräfte, die im östreichischen Volke schlummerten, ins Leben gerufen
werden könnten; daß eine solche Reform nicht durch die bisherigen, in aristokra¬
tischer Einseitigkeit verhärteten Stände, noch weniger aber durch das Volk stattfin¬
den könne, weil in diesen untern Schichten die dunkeln Naturkräfte gebunden la¬
gen, deren Freilassung nicht blos für den Staat, sondern für die Gesellschaft die
entsetzlichsten Folgen nach sich ziehen müsse, daß sie also nur von Oben ausgehen
könne. In dieser Kritik hatte die Partei wenn man einer ziemlich zusammen-
hangslosen Masse unzufriedner aber wohlgesinnter Individuen diesen Beinamen zu¬
gestehen will -- vollkommen Recht; sie war aber dennoch in einer mißlichen Lage,
wenn man sie um die Mittel befragte, durch die sie ihre Reformen durchsetzen
wollte. Sie konnte das nur aus zwei Wegen hoffen; entweder daß sie auf dem
gewöhnlichen bureaukratischen Wege zur Regierung gelangte -- eine wüste Illusion!
oder durch constitutionelle Einwirkung aus die Regierung, wobei sie aber als be¬
reits zugestanden mehr voraussehen mußte, als sie überhaupt in Anspruch nahm.

Trotz dieser uustrcitbaren Mängel wozu noch der zu zählen ist, daß sie
nach dem Muster ihres Ideals dem realen Boden des volksthümlichen Bewußt¬
seins, den Wünschen, Bedürfnissen und Narrheiten des Volks zu wenig Rechnung
trug kann man dieser Partei eine segensreiche Wirkung nicht absprechen.
Trotz der tyrannischen Preßgesetze und eben mit Hilfe der Fäulniß, ^welche durch
das verruchte System über das östreichische Staatsleben gekommen war, wußte
sie sich in die höchsten Kreise einzuführen, und der schnelle Fall des alten
Staatskanzlers ist zum Theil zwar sehr einfach ans der Abneigung einer großen
Zahl der Machthaber gegen ihn zu erklären, zum größern Theil aber doch ans
dem lebendigen Gefühl der Verkehrheit im bisherigen Staatsleben, welches eben
jene Partei durch ihr unermüdliches Näsonniren geweckt hatte. Daß sie übrigens


der Pfingstwoche gefeiert; die unvermeidlichen Polen mischten sich in die Sache,
und nun konnte man schon voraussehen, daß irgend ein Blödsinn erfolgen würde.
Und so geschah es; Fürst Windischgrätz mußte durch die Brutalität seiner Kano¬
nen dem Treiben der Vertheidiger Oestreichs Einhalt thun.

Wie stand es damals mit der deutschen Partei? Sie war in einer falschen
Stellung; aus ihrer ursprünglichen, ccntralistischen Opposition gegen die Verkehrt¬
heiten des Regiments hatte sie sich in eine einseitige nationale Opposition gegen
den Gesammtstaat drängen lassen. Dies zu übersehen, gehe ich auf die beiden
Fraktionen der alten Opposition zurück, die ich neben der föderalistischen genannt
hatte: der iosephinischen und der revolutionäre».

Die josephinische, dnrch deren Vertretung damals die Grenzboten Vorzugs
weise das große Ansehen gewannen, dessen sie sich in Oestreich erfreuten, ging
von dem Grundsatz ans, daß die Aufrechthaltung des östreichischen Staats keines¬
wegs die menschenfeindlichen Maßregeln des Metternichschen Systems nothwen¬
dig machten, daß im Gegentheil erst dnrch eine freisinnige Reform der Verwaltung
die großen Kräfte, die im östreichischen Volke schlummerten, ins Leben gerufen
werden könnten; daß eine solche Reform nicht durch die bisherigen, in aristokra¬
tischer Einseitigkeit verhärteten Stände, noch weniger aber durch das Volk stattfin¬
den könne, weil in diesen untern Schichten die dunkeln Naturkräfte gebunden la¬
gen, deren Freilassung nicht blos für den Staat, sondern für die Gesellschaft die
entsetzlichsten Folgen nach sich ziehen müsse, daß sie also nur von Oben ausgehen
könne. In dieser Kritik hatte die Partei wenn man einer ziemlich zusammen-
hangslosen Masse unzufriedner aber wohlgesinnter Individuen diesen Beinamen zu¬
gestehen will — vollkommen Recht; sie war aber dennoch in einer mißlichen Lage,
wenn man sie um die Mittel befragte, durch die sie ihre Reformen durchsetzen
wollte. Sie konnte das nur aus zwei Wegen hoffen; entweder daß sie auf dem
gewöhnlichen bureaukratischen Wege zur Regierung gelangte — eine wüste Illusion!
oder durch constitutionelle Einwirkung aus die Regierung, wobei sie aber als be¬
reits zugestanden mehr voraussehen mußte, als sie überhaupt in Anspruch nahm.

Trotz dieser uustrcitbaren Mängel wozu noch der zu zählen ist, daß sie
nach dem Muster ihres Ideals dem realen Boden des volksthümlichen Bewußt¬
seins, den Wünschen, Bedürfnissen und Narrheiten des Volks zu wenig Rechnung
trug kann man dieser Partei eine segensreiche Wirkung nicht absprechen.
Trotz der tyrannischen Preßgesetze und eben mit Hilfe der Fäulniß, ^welche durch
das verruchte System über das östreichische Staatsleben gekommen war, wußte
sie sich in die höchsten Kreise einzuführen, und der schnelle Fall des alten
Staatskanzlers ist zum Theil zwar sehr einfach ans der Abneigung einer großen
Zahl der Machthaber gegen ihn zu erklären, zum größern Theil aber doch ans
dem lebendigen Gefühl der Verkehrheit im bisherigen Staatsleben, welches eben
jene Partei durch ihr unermüdliches Näsonniren geweckt hatte. Daß sie übrigens


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[0339] der Pfingstwoche gefeiert; die unvermeidlichen Polen mischten sich in die Sache, und nun konnte man schon voraussehen, daß irgend ein Blödsinn erfolgen würde. Und so geschah es; Fürst Windischgrätz mußte durch die Brutalität seiner Kano¬ nen dem Treiben der Vertheidiger Oestreichs Einhalt thun. Wie stand es damals mit der deutschen Partei? Sie war in einer falschen Stellung; aus ihrer ursprünglichen, ccntralistischen Opposition gegen die Verkehrt¬ heiten des Regiments hatte sie sich in eine einseitige nationale Opposition gegen den Gesammtstaat drängen lassen. Dies zu übersehen, gehe ich auf die beiden Fraktionen der alten Opposition zurück, die ich neben der föderalistischen genannt hatte: der iosephinischen und der revolutionäre». Die josephinische, dnrch deren Vertretung damals die Grenzboten Vorzugs weise das große Ansehen gewannen, dessen sie sich in Oestreich erfreuten, ging von dem Grundsatz ans, daß die Aufrechthaltung des östreichischen Staats keines¬ wegs die menschenfeindlichen Maßregeln des Metternichschen Systems nothwen¬ dig machten, daß im Gegentheil erst dnrch eine freisinnige Reform der Verwaltung die großen Kräfte, die im östreichischen Volke schlummerten, ins Leben gerufen werden könnten; daß eine solche Reform nicht durch die bisherigen, in aristokra¬ tischer Einseitigkeit verhärteten Stände, noch weniger aber durch das Volk stattfin¬ den könne, weil in diesen untern Schichten die dunkeln Naturkräfte gebunden la¬ gen, deren Freilassung nicht blos für den Staat, sondern für die Gesellschaft die entsetzlichsten Folgen nach sich ziehen müsse, daß sie also nur von Oben ausgehen könne. In dieser Kritik hatte die Partei wenn man einer ziemlich zusammen- hangslosen Masse unzufriedner aber wohlgesinnter Individuen diesen Beinamen zu¬ gestehen will — vollkommen Recht; sie war aber dennoch in einer mißlichen Lage, wenn man sie um die Mittel befragte, durch die sie ihre Reformen durchsetzen wollte. Sie konnte das nur aus zwei Wegen hoffen; entweder daß sie auf dem gewöhnlichen bureaukratischen Wege zur Regierung gelangte — eine wüste Illusion! oder durch constitutionelle Einwirkung aus die Regierung, wobei sie aber als be¬ reits zugestanden mehr voraussehen mußte, als sie überhaupt in Anspruch nahm. Trotz dieser uustrcitbaren Mängel wozu noch der zu zählen ist, daß sie nach dem Muster ihres Ideals dem realen Boden des volksthümlichen Bewußt¬ seins, den Wünschen, Bedürfnissen und Narrheiten des Volks zu wenig Rechnung trug kann man dieser Partei eine segensreiche Wirkung nicht absprechen. Trotz der tyrannischen Preßgesetze und eben mit Hilfe der Fäulniß, ^welche durch das verruchte System über das östreichische Staatsleben gekommen war, wußte sie sich in die höchsten Kreise einzuführen, und der schnelle Fall des alten Staatskanzlers ist zum Theil zwar sehr einfach ans der Abneigung einer großen Zahl der Machthaber gegen ihn zu erklären, zum größern Theil aber doch ans dem lebendigen Gefühl der Verkehrheit im bisherigen Staatsleben, welches eben jene Partei durch ihr unermüdliches Näsonniren geweckt hatte. Daß sie übrigens

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/339>, abgerufen am 22.07.2024.