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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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ihm bekannt machen solle, das konnte nnr der resignirte Jude. Nathan's Ironie
-- ein hervorstechender Zug seines Charakters -- ist nicht wie die des Sokrates,
das Spiel der Katze mit der Maus, es ist die nothwendige Schutzwaffe des
Schwächern, die endlich zur Gewohnheit und zum Bedürfniß wird. Spinoza's
leitender Grundsatz war: was wir Zeit, Raum, Welt, Geschichte nennen, ist nur
Form unsrer Vorstellung; an sich sind sie nur Erscheinungen des Wesens, das stets
dasselbe bleibt. Diese Idee ist die theoretische Ueberwindung der leidenschaftlichen
Subjektivität; practisch bezwingt und bildet man sie durch Arbeit und Liebe.

Nathan und Shylock sind die beiden poetischen Pole des Judenthums; die
Hingebung des ersten hat etwas Weiches, ich möchte sagen etwas Weibliches; der
Haß des zweiten bei aller Härte und aller praktischen Geriebenheit etwas Phanta¬
stisch-Romantisches. Ich habe Juden gekannt, edle tüchtige Mäuner, die von
dem Gespenst ihrer Pariaschast so verfolgt worden, daß sie auf Augenblicke in ab-
stracten gegenstandlosen Haß ausbrachen. Sie liebten das Judenthum so wenig,
als ihre Verfolger, nur die Ehre band sie an den alten Namen. Die Unter¬
drückung der Juden war in unser" Tagen eigentlich nur noch ideell, wenigstens bei
den gebildeten Nationen, aber diese ideelle Empfindung -- die durch die drollig¬
sten Aeußerlichkeiten erregt werdeu konnte, war ihre Romantik, die sie nicht los
werden konnten -- die letzte Spur von dem Traume des künftigen Zion, das frü¬
her das Wesen der jüdischen Geschichte war und das nun noch als bittere
Stimmung gegen die Gegenwart sich Lust macht. Nathan hat diese Idee über¬
wunden, aber sie hat Narben in seinem Gefühl hinterlassen, die das Lächeln der
Resignation nicht ganz verdeckt.

Die Sage vom ewigen Juden -- dem Gedanken des Reiches, das stets kom¬
men soll und stets schwindenwird jetzt ihre Bedeutung verlieren. Man nimmt sie
nur noch als äußere Zierrath, wie Eugen Sue, ohne sich etwas dabei zu denken.
Tragisch auszubilden war sie nicht, alle derartigen Versuche sind verunglückt. Am
meisten poetisch hat sie sich Goethe ausgedacht. Er nahm Ahasver als einen
praktischen, nüchternen Empiriker, der durchaus im Endlichen befangen, der Idee
unzugänglich war. Das ist ganz richtig die eine Seite des Judenthums. Schar¬
fer Verstand im Detail und darum Ironie gegen das Ideelle; auf der andern
Seite ein Aberglaube, der schon zu Horaz' Zeiten den Juden Apella zu Spott
machte. Mangel an Stolz im Einzelnen, durch das Bedürfniß erzeugt, sich überall
den Glauben erst zu erwerben -- darum sind die Juden der entschiedenste Ge¬
gensatz gegen den Adel -- dagegen romantische Ueberschätzung des Volks Gottes,
das in einer träumerischen Zukunft und einer eben so träumerischen Vergangenheit
seine einzige Realität sucht. Energie des Gewinns, gemüthlose Zähigkeit im Ver¬
halten gegen die gesammte übrige Welt, und wieder Spuren des hingebenden Ge¬
müths im Innern der Familie. Trockne Prosa des Lebens und phantastische Sym¬
bolik des Cultus. Grenzenlose Abstraction der Gottesidee und eigensinniges Ver-


ihm bekannt machen solle, das konnte nnr der resignirte Jude. Nathan's Ironie
— ein hervorstechender Zug seines Charakters — ist nicht wie die des Sokrates,
das Spiel der Katze mit der Maus, es ist die nothwendige Schutzwaffe des
Schwächern, die endlich zur Gewohnheit und zum Bedürfniß wird. Spinoza's
leitender Grundsatz war: was wir Zeit, Raum, Welt, Geschichte nennen, ist nur
Form unsrer Vorstellung; an sich sind sie nur Erscheinungen des Wesens, das stets
dasselbe bleibt. Diese Idee ist die theoretische Ueberwindung der leidenschaftlichen
Subjektivität; practisch bezwingt und bildet man sie durch Arbeit und Liebe.

Nathan und Shylock sind die beiden poetischen Pole des Judenthums; die
Hingebung des ersten hat etwas Weiches, ich möchte sagen etwas Weibliches; der
Haß des zweiten bei aller Härte und aller praktischen Geriebenheit etwas Phanta¬
stisch-Romantisches. Ich habe Juden gekannt, edle tüchtige Mäuner, die von
dem Gespenst ihrer Pariaschast so verfolgt worden, daß sie auf Augenblicke in ab-
stracten gegenstandlosen Haß ausbrachen. Sie liebten das Judenthum so wenig,
als ihre Verfolger, nur die Ehre band sie an den alten Namen. Die Unter¬
drückung der Juden war in unser» Tagen eigentlich nur noch ideell, wenigstens bei
den gebildeten Nationen, aber diese ideelle Empfindung — die durch die drollig¬
sten Aeußerlichkeiten erregt werdeu konnte, war ihre Romantik, die sie nicht los
werden konnten — die letzte Spur von dem Traume des künftigen Zion, das frü¬
her das Wesen der jüdischen Geschichte war und das nun noch als bittere
Stimmung gegen die Gegenwart sich Lust macht. Nathan hat diese Idee über¬
wunden, aber sie hat Narben in seinem Gefühl hinterlassen, die das Lächeln der
Resignation nicht ganz verdeckt.

Die Sage vom ewigen Juden — dem Gedanken des Reiches, das stets kom¬
men soll und stets schwindenwird jetzt ihre Bedeutung verlieren. Man nimmt sie
nur noch als äußere Zierrath, wie Eugen Sue, ohne sich etwas dabei zu denken.
Tragisch auszubilden war sie nicht, alle derartigen Versuche sind verunglückt. Am
meisten poetisch hat sie sich Goethe ausgedacht. Er nahm Ahasver als einen
praktischen, nüchternen Empiriker, der durchaus im Endlichen befangen, der Idee
unzugänglich war. Das ist ganz richtig die eine Seite des Judenthums. Schar¬
fer Verstand im Detail und darum Ironie gegen das Ideelle; auf der andern
Seite ein Aberglaube, der schon zu Horaz' Zeiten den Juden Apella zu Spott
machte. Mangel an Stolz im Einzelnen, durch das Bedürfniß erzeugt, sich überall
den Glauben erst zu erwerben — darum sind die Juden der entschiedenste Ge¬
gensatz gegen den Adel — dagegen romantische Ueberschätzung des Volks Gottes,
das in einer träumerischen Zukunft und einer eben so träumerischen Vergangenheit
seine einzige Realität sucht. Energie des Gewinns, gemüthlose Zähigkeit im Ver¬
halten gegen die gesammte übrige Welt, und wieder Spuren des hingebenden Ge¬
müths im Innern der Familie. Trockne Prosa des Lebens und phantastische Sym¬
bolik des Cultus. Grenzenlose Abstraction der Gottesidee und eigensinniges Ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/32>, abgerufen am 25.12.2024.