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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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allenfalls in das wiederhergestellte Polen allmälig verschwinden lasse, wurde
durch die Waffenthaten Radetzky's, durch den Militärdespotismus des Für¬
sten Windischgrätz, durch das Bombardement von Krakau und Lemberg, und
die furchtbaren Rüstungen gegen Ungarn Einhalt gethan. Nun muß aber
einerseits die vorgefaßte Idee der Slaven, daß an die Stelle des wiederher¬
gestellten politischen Begriffs eines einheitlichen Oestreich der nationale eines sla¬
vischen Oestreich gesetzt werden müsse -- und anderseits der Wahn der Dynastie,
daß sie jetzt ans dem besten Wege sei, ihr altes Oestreich zu erobern, gebrochen
werden.

Wir müssen wieder Oestreicher werden! Dies ist die Moral der Oktober-
revolution. Freilich ist diese Lehre vor der Hand für die Völker nicht eben er¬
baulich und überzeugend, weil sie von der Dynastie ym äomc" sua durch ihre
Generale gepredigt wird. Aber bald wird man einsehen, daß zur Anerkennung
eines untheilbaren Gesammtstaates noch eine andere Nothwendigkeit, als die der
Kanonen drängt. Gegen das unfreie, verknöcherte Oestreich von ehemals gibt es
nur den einzigen vernünftigen Gegensatz eines freien, verjüngten Oestreich von
heute; es muß in seiner Totalität wiedergeboren werden, während die Magyaren,
Italiener und Deutschen es gern zerstückeln, und die einzelnen, lebensunfähigen
Theile in den Zauberkessel der Medea werfen möchten. Ebenso können sich den
Altöstreichern nur die freien Bürger eines constitutionellen Födcrativnsstciates,
nicht aber Deutsche, Slaven n. s. w. als solche gegenüberstellen; denn die ent¬
fesselten nationalen Elemente bilden keinen Gegensatz zu dem alten politischen
Zwangszustande, sondern nur einen neuen unvernünftigen Gegensatz zu sich selbst;
wo dann, weil z. B. die Deutschen in Wien gerade radikal sind, den Slaven
nichts anderes übrig bleibt, als mit Verläugnung ihrer politischen Ueberzeugung
sich mit der altöstreichischen Partei zu verbinden, um nur den nationalen Gegen-
scch zu den Deutschen nicht aufzugeben. Daß die Bewohner des durch die März¬
revolution aufgelockerten östreichischen Ländervereins sich zunächst als Deutsche,
Slaven n. s. w. und nicht als Bürger eines freien Staates fühlten, ist frei¬
lich nur eine bedauerliche, in das befreite Oestreich hinüberreichende Folge des
Metternichismus selbst. Weil jenes alte Oestreich nur dann politisch ungefährdet
existiren konnte, wenn es die Geister seiner Völker niederhielt, und jede Aeuße¬
rung der Nationalität, die sich nicht etwa zur Bezähmung eines andern Volkes
verwenden ließ, gewaltsam unterdrückte: so machte sich nach der Befreiung Oest¬
reichs in deu Märztage" zunächst das gedrückte, nationale Bewußtsein ans so aus¬
schließende Weise-geltend, daß es gar nicht über sich selbst hinauskommen konnte.
Es war ein Wahn, daß die Völker ihre nationalen Ansprüche der Dynastie gegen¬
über geltend zu macheu glaubten; ein Volk machte sie dem andern gegenüber gel¬
tend, und ein jedes verlor, diesem neuen Gegensatze ganz hingegeben, mehr oder
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allenfalls in das wiederhergestellte Polen allmälig verschwinden lasse, wurde
durch die Waffenthaten Radetzky's, durch den Militärdespotismus des Für¬
sten Windischgrätz, durch das Bombardement von Krakau und Lemberg, und
die furchtbaren Rüstungen gegen Ungarn Einhalt gethan. Nun muß aber
einerseits die vorgefaßte Idee der Slaven, daß an die Stelle des wiederher¬
gestellten politischen Begriffs eines einheitlichen Oestreich der nationale eines sla¬
vischen Oestreich gesetzt werden müsse — und anderseits der Wahn der Dynastie,
daß sie jetzt ans dem besten Wege sei, ihr altes Oestreich zu erobern, gebrochen
werden.

Wir müssen wieder Oestreicher werden! Dies ist die Moral der Oktober-
revolution. Freilich ist diese Lehre vor der Hand für die Völker nicht eben er¬
baulich und überzeugend, weil sie von der Dynastie ym äomc» sua durch ihre
Generale gepredigt wird. Aber bald wird man einsehen, daß zur Anerkennung
eines untheilbaren Gesammtstaates noch eine andere Nothwendigkeit, als die der
Kanonen drängt. Gegen das unfreie, verknöcherte Oestreich von ehemals gibt es
nur den einzigen vernünftigen Gegensatz eines freien, verjüngten Oestreich von
heute; es muß in seiner Totalität wiedergeboren werden, während die Magyaren,
Italiener und Deutschen es gern zerstückeln, und die einzelnen, lebensunfähigen
Theile in den Zauberkessel der Medea werfen möchten. Ebenso können sich den
Altöstreichern nur die freien Bürger eines constitutionellen Födcrativnsstciates,
nicht aber Deutsche, Slaven n. s. w. als solche gegenüberstellen; denn die ent¬
fesselten nationalen Elemente bilden keinen Gegensatz zu dem alten politischen
Zwangszustande, sondern nur einen neuen unvernünftigen Gegensatz zu sich selbst;
wo dann, weil z. B. die Deutschen in Wien gerade radikal sind, den Slaven
nichts anderes übrig bleibt, als mit Verläugnung ihrer politischen Ueberzeugung
sich mit der altöstreichischen Partei zu verbinden, um nur den nationalen Gegen-
scch zu den Deutschen nicht aufzugeben. Daß die Bewohner des durch die März¬
revolution aufgelockerten östreichischen Ländervereins sich zunächst als Deutsche,
Slaven n. s. w. und nicht als Bürger eines freien Staates fühlten, ist frei¬
lich nur eine bedauerliche, in das befreite Oestreich hinüberreichende Folge des
Metternichismus selbst. Weil jenes alte Oestreich nur dann politisch ungefährdet
existiren konnte, wenn es die Geister seiner Völker niederhielt, und jede Aeuße¬
rung der Nationalität, die sich nicht etwa zur Bezähmung eines andern Volkes
verwenden ließ, gewaltsam unterdrückte: so machte sich nach der Befreiung Oest¬
reichs in deu Märztage» zunächst das gedrückte, nationale Bewußtsein ans so aus¬
schließende Weise-geltend, daß es gar nicht über sich selbst hinauskommen konnte.
Es war ein Wahn, daß die Völker ihre nationalen Ansprüche der Dynastie gegen¬
über geltend zu macheu glaubten; ein Volk machte sie dem andern gegenüber gel¬
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[0317] allenfalls in das wiederhergestellte Polen allmälig verschwinden lasse, wurde durch die Waffenthaten Radetzky's, durch den Militärdespotismus des Für¬ sten Windischgrätz, durch das Bombardement von Krakau und Lemberg, und die furchtbaren Rüstungen gegen Ungarn Einhalt gethan. Nun muß aber einerseits die vorgefaßte Idee der Slaven, daß an die Stelle des wiederher¬ gestellten politischen Begriffs eines einheitlichen Oestreich der nationale eines sla¬ vischen Oestreich gesetzt werden müsse — und anderseits der Wahn der Dynastie, daß sie jetzt ans dem besten Wege sei, ihr altes Oestreich zu erobern, gebrochen werden. Wir müssen wieder Oestreicher werden! Dies ist die Moral der Oktober- revolution. Freilich ist diese Lehre vor der Hand für die Völker nicht eben er¬ baulich und überzeugend, weil sie von der Dynastie ym äomc» sua durch ihre Generale gepredigt wird. Aber bald wird man einsehen, daß zur Anerkennung eines untheilbaren Gesammtstaates noch eine andere Nothwendigkeit, als die der Kanonen drängt. Gegen das unfreie, verknöcherte Oestreich von ehemals gibt es nur den einzigen vernünftigen Gegensatz eines freien, verjüngten Oestreich von heute; es muß in seiner Totalität wiedergeboren werden, während die Magyaren, Italiener und Deutschen es gern zerstückeln, und die einzelnen, lebensunfähigen Theile in den Zauberkessel der Medea werfen möchten. Ebenso können sich den Altöstreichern nur die freien Bürger eines constitutionellen Födcrativnsstciates, nicht aber Deutsche, Slaven n. s. w. als solche gegenüberstellen; denn die ent¬ fesselten nationalen Elemente bilden keinen Gegensatz zu dem alten politischen Zwangszustande, sondern nur einen neuen unvernünftigen Gegensatz zu sich selbst; wo dann, weil z. B. die Deutschen in Wien gerade radikal sind, den Slaven nichts anderes übrig bleibt, als mit Verläugnung ihrer politischen Ueberzeugung sich mit der altöstreichischen Partei zu verbinden, um nur den nationalen Gegen- scch zu den Deutschen nicht aufzugeben. Daß die Bewohner des durch die März¬ revolution aufgelockerten östreichischen Ländervereins sich zunächst als Deutsche, Slaven n. s. w. und nicht als Bürger eines freien Staates fühlten, ist frei¬ lich nur eine bedauerliche, in das befreite Oestreich hinüberreichende Folge des Metternichismus selbst. Weil jenes alte Oestreich nur dann politisch ungefährdet existiren konnte, wenn es die Geister seiner Völker niederhielt, und jede Aeuße¬ rung der Nationalität, die sich nicht etwa zur Bezähmung eines andern Volkes verwenden ließ, gewaltsam unterdrückte: so machte sich nach der Befreiung Oest¬ reichs in deu Märztage» zunächst das gedrückte, nationale Bewußtsein ans so aus¬ schließende Weise-geltend, daß es gar nicht über sich selbst hinauskommen konnte. Es war ein Wahn, daß die Völker ihre nationalen Ansprüche der Dynastie gegen¬ über geltend zu macheu glaubten; ein Volk machte sie dem andern gegenüber gel¬ tend, und ein jedes verlor, diesem neuen Gegensatze ganz hingegeben, mehr oder ' SeMjbot-ii. IV. 40

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/317>, abgerufen am 22.07.2024.