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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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chem der Geist sich nur in der Verläugnmig der Natur bethätigte, ist um über¬
wunden, nicht aber die Neigung, in die Tiefe der Seele zu graben, um dort die
Räthsel des Universums zu lösen. Das ethische Moment kann für die bildende
Kunst nicht in der Tiefe gesucht werden; mit Recht breitet es die Schule, welcher
Kaulbach angehört, in epische Sinnlichkeit aus, und zeigt die Größe des künst¬
lerischen Blicks in der symbolischen Auffassung weltgeschichtlicher Symbolik. Sie schreibt
mit einem gewissen Lapidarstyl die Dialektik des Geistes in den unendlichen Nah¬
men der Geschichte. -- Diese Aeußerlichkeit führt aber bei uns Deutschen, die wir
uns gern ins Unbestimmte, ins sogenannte Unendliche verlieren, zu einem ent¬
gegengesetzten Fehler. Aehnlich wie in der göttlichen Komödie wollen wir in einem
einzelnen Gemälde die Totalität unserer Weltanschauung umfassen; künstlerische Un¬
geheuer wie der Faust und seine Bewunderer gingen aus dieser falschen Universali¬
tät hervor. Meister Dante schweifte zwar in seinem Flug über Himmel und Hölle
hiu, aber zu Hause war er immer in Florenz, und im Himmel und in der Hölle
fand er nur seine Florentiner wieder. Wir dagegen sangen jetzt erst an, uns
unsere Heimath einzurichten; wir spannen die Fäden unseres Gewebes ins Un¬
endliche hinaus, aber es fehlt der Mittelpunct, um den wir es concentriren. Zu
leicht verliert sich daher die Fülle der Anschauung in Arabesken, in fein ge¬
schlungenen Linien; die Gruppirung wird nach äußerlicher, architektonischer syme-
trie angelegt, die Bedeutung durch Ideen-Association hergestellt. Auch unsere
größten Gemälde erschienen so als Producte der Reflexion.

Auch in Kaulbach's Entwurf fehlte diese Gluth des alles beherrschenden Gei¬
stes. Der Gott, der da oben an dem Thurme schwebt, ist erst später hingezeich¬
net in das bunte Leben, welches das klare Künstlerauge in reizender Fülle auf¬
gefaßt, die sichere Künstlerhand in lebendiger Anschaulichkeit wiedergegeben hat;
er ist nicht die Seele, die diese Erscheinung durchdringt. Es ist ein stummer
Hieroglyph, zu dem uns der Schlüssel sehlt. Es ist nicht der menschlich zürnende
Gott der naiven Religion in der Majestät sinnlicher Schrecken, er ist der reflec-
tirte Gott des modernen Rationcilismns, der in die Geschichte, in die Natur
eingreifen soll, man weiß nicht wie, der im Verborgenen waltet, obgleich, was wir
von ihm wissen oder behaupten, nur Resultate des Verstandes sind.

Der dichterische Geist, der mit ursprünglicher Genialität ein Kunstwerk schaf¬
fen wird, das nicht aus unbestimmtem Streben nach dem Unendlichen, sondern
aus unmittelbaren Erguß einer edlen und starken Seele hervorgehet, ein solcher
Geist nur kann der Schöpfer einer neuen Kunstepoche sein.


Julian Schmidt.


chem der Geist sich nur in der Verläugnmig der Natur bethätigte, ist um über¬
wunden, nicht aber die Neigung, in die Tiefe der Seele zu graben, um dort die
Räthsel des Universums zu lösen. Das ethische Moment kann für die bildende
Kunst nicht in der Tiefe gesucht werden; mit Recht breitet es die Schule, welcher
Kaulbach angehört, in epische Sinnlichkeit aus, und zeigt die Größe des künst¬
lerischen Blicks in der symbolischen Auffassung weltgeschichtlicher Symbolik. Sie schreibt
mit einem gewissen Lapidarstyl die Dialektik des Geistes in den unendlichen Nah¬
men der Geschichte. — Diese Aeußerlichkeit führt aber bei uns Deutschen, die wir
uns gern ins Unbestimmte, ins sogenannte Unendliche verlieren, zu einem ent¬
gegengesetzten Fehler. Aehnlich wie in der göttlichen Komödie wollen wir in einem
einzelnen Gemälde die Totalität unserer Weltanschauung umfassen; künstlerische Un¬
geheuer wie der Faust und seine Bewunderer gingen aus dieser falschen Universali¬
tät hervor. Meister Dante schweifte zwar in seinem Flug über Himmel und Hölle
hiu, aber zu Hause war er immer in Florenz, und im Himmel und in der Hölle
fand er nur seine Florentiner wieder. Wir dagegen sangen jetzt erst an, uns
unsere Heimath einzurichten; wir spannen die Fäden unseres Gewebes ins Un¬
endliche hinaus, aber es fehlt der Mittelpunct, um den wir es concentriren. Zu
leicht verliert sich daher die Fülle der Anschauung in Arabesken, in fein ge¬
schlungenen Linien; die Gruppirung wird nach äußerlicher, architektonischer syme-
trie angelegt, die Bedeutung durch Ideen-Association hergestellt. Auch unsere
größten Gemälde erschienen so als Producte der Reflexion.

Auch in Kaulbach's Entwurf fehlte diese Gluth des alles beherrschenden Gei¬
stes. Der Gott, der da oben an dem Thurme schwebt, ist erst später hingezeich¬
net in das bunte Leben, welches das klare Künstlerauge in reizender Fülle auf¬
gefaßt, die sichere Künstlerhand in lebendiger Anschaulichkeit wiedergegeben hat;
er ist nicht die Seele, die diese Erscheinung durchdringt. Es ist ein stummer
Hieroglyph, zu dem uns der Schlüssel sehlt. Es ist nicht der menschlich zürnende
Gott der naiven Religion in der Majestät sinnlicher Schrecken, er ist der reflec-
tirte Gott des modernen Rationcilismns, der in die Geschichte, in die Natur
eingreifen soll, man weiß nicht wie, der im Verborgenen waltet, obgleich, was wir
von ihm wissen oder behaupten, nur Resultate des Verstandes sind.

Der dichterische Geist, der mit ursprünglicher Genialität ein Kunstwerk schaf¬
fen wird, das nicht aus unbestimmtem Streben nach dem Unendlichen, sondern
aus unmittelbaren Erguß einer edlen und starken Seele hervorgehet, ein solcher
Geist nur kann der Schöpfer einer neuen Kunstepoche sein.


Julian Schmidt.


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[0315] chem der Geist sich nur in der Verläugnmig der Natur bethätigte, ist um über¬ wunden, nicht aber die Neigung, in die Tiefe der Seele zu graben, um dort die Räthsel des Universums zu lösen. Das ethische Moment kann für die bildende Kunst nicht in der Tiefe gesucht werden; mit Recht breitet es die Schule, welcher Kaulbach angehört, in epische Sinnlichkeit aus, und zeigt die Größe des künst¬ lerischen Blicks in der symbolischen Auffassung weltgeschichtlicher Symbolik. Sie schreibt mit einem gewissen Lapidarstyl die Dialektik des Geistes in den unendlichen Nah¬ men der Geschichte. — Diese Aeußerlichkeit führt aber bei uns Deutschen, die wir uns gern ins Unbestimmte, ins sogenannte Unendliche verlieren, zu einem ent¬ gegengesetzten Fehler. Aehnlich wie in der göttlichen Komödie wollen wir in einem einzelnen Gemälde die Totalität unserer Weltanschauung umfassen; künstlerische Un¬ geheuer wie der Faust und seine Bewunderer gingen aus dieser falschen Universali¬ tät hervor. Meister Dante schweifte zwar in seinem Flug über Himmel und Hölle hiu, aber zu Hause war er immer in Florenz, und im Himmel und in der Hölle fand er nur seine Florentiner wieder. Wir dagegen sangen jetzt erst an, uns unsere Heimath einzurichten; wir spannen die Fäden unseres Gewebes ins Un¬ endliche hinaus, aber es fehlt der Mittelpunct, um den wir es concentriren. Zu leicht verliert sich daher die Fülle der Anschauung in Arabesken, in fein ge¬ schlungenen Linien; die Gruppirung wird nach äußerlicher, architektonischer syme- trie angelegt, die Bedeutung durch Ideen-Association hergestellt. Auch unsere größten Gemälde erschienen so als Producte der Reflexion. Auch in Kaulbach's Entwurf fehlte diese Gluth des alles beherrschenden Gei¬ stes. Der Gott, der da oben an dem Thurme schwebt, ist erst später hingezeich¬ net in das bunte Leben, welches das klare Künstlerauge in reizender Fülle auf¬ gefaßt, die sichere Künstlerhand in lebendiger Anschaulichkeit wiedergegeben hat; er ist nicht die Seele, die diese Erscheinung durchdringt. Es ist ein stummer Hieroglyph, zu dem uns der Schlüssel sehlt. Es ist nicht der menschlich zürnende Gott der naiven Religion in der Majestät sinnlicher Schrecken, er ist der reflec- tirte Gott des modernen Rationcilismns, der in die Geschichte, in die Natur eingreifen soll, man weiß nicht wie, der im Verborgenen waltet, obgleich, was wir von ihm wissen oder behaupten, nur Resultate des Verstandes sind. Der dichterische Geist, der mit ursprünglicher Genialität ein Kunstwerk schaf¬ fen wird, das nicht aus unbestimmtem Streben nach dem Unendlichen, sondern aus unmittelbaren Erguß einer edlen und starken Seele hervorgehet, ein solcher Geist nur kann der Schöpfer einer neuen Kunstepoche sein. Julian Schmidt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/315>, abgerufen am 22.07.2024.